Neue Berliner Regierung: Welche Wirtschaftsthemen für Rot-Schwarz wichtig werden
Es könnte das wichtigste Betätigungsfeld der rot-schwarzen Koalition werden: Berlin zu einer starken Wirtschaftsmetropole zu machen. Wo liegen die Schwerpunkte?
In kaum einem Bereich sind sich SPD und CDU so einig wie in der Wirtschaftspolitik. „Es gibt unterschiedliche Akzente, aber keine unversöhnlichen Positionen“, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete und Unternehmer Frank Steffel. Auch der SPD-Landes- und Fraktionschef Michael Müller sieht „nicht die großen Kontroversen“. Beide Politiker sind bei diesem Thema die Verhandlungsführer in den Koalitionsgesprächen.
Derzeit gibt es etwa 100.000 Industriearbeitsplätze in Berlin. Doppelt so viele wären nach Meinung von Experten nötig, um das Niveau anderer europäischer Millionenstädte zu erreichen. Auch im nationalen Vergleich hat die deutsche Hauptstadt einen großen Nachholbedarf. In den industriellen Großbetrieben Berlins arbeiten 46,3 Prozent der industriell Beschäftigten. In Hamburg sind es 63,3 Prozent. Jeder Industriejob ist auch deshalb wichtig, weil er weitere Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor schafft.
2010 wurden ein Masterplan erarbeitet und ein Steuerungskreis zur Industriepolitik gegründet, dem der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), Unternehmensverbände und Gewerkschaftsvertreter angehören. Aber noch ist der CDU-Mann Steffel skeptisch und glaubt, dass der Koalitionspartner SPD „nicht so viel am Hut mit der Industrie“ habe. Aber beide Parteien wollen wichtige Projekte anschieben, um die Berliner Wirtschaft nach vorn zu bringen.
Bündelung der Kräfte
Viele Fachleute loben Berlins „einzigartige Wissenslandschaft“, die besondere Chancen für einen wirtschaftlichen Aufschwung biete. Um die Zusammenarbeit zwischen Forschern und Firmen zu verbessern, könnte die Wirtschaftsfördergesellschaft Berlin Partner mit der Technologiestiftung Berlin (TSB) fusioniert werden. Eine solche Bündelung der Kräfte wird von SPD, CDU und der Industrie- und Handelskammer (IHK) unterstützt.
Industriepark Tegel
Der Flughafen Tegel, der im Juni 2012 geschlossen wird, soll ein „Forschungs- und Industriepark für Zukunftstechnologien“ werden, etwa für E-Mobilität und Solarenergie. Darin sind sich Sozial- und Christdemokraten einig. Firmen aus aller Welt und Institutionen wie die Weddinger Beuth-Hochschule für Technik könnten ab 2013 dort angesiedelt werden. Eine Tochtergesellschaft des Technologieparks Adlershof hat kürzlich die Federführung zur Entwicklung des Standorts übernommen. Frank Steffel kritisiert, es sei von Rot-Rot „viel Zeit verplempert“ worden. Die Konzepte der bisher SPD-geführten Stadtentwicklungsverwaltung und der CDU für Tegel seien aber „nicht so verschieden“.
E-Mobility
Die Elektromobilität wurde in Berlin erfunden – mit der Straßenbahn. In Zukunft soll die Stadt ein Entwicklungs- und Produktionszentrum modernster Antriebs- und Batterietechniken für Autos werden. 100.000 Elektroautos könnten 2020 in Berlin fahren, sagt die SPD voraus. Auch die CDU drängt. Bis spätestens 2014 sollten die ersten 20.000 Elektroautos an öffentliche und private Kunden ausgeliefert werden.
Andere Zukunftsfelder
Über die „Kompetenzfelder“ und „Cluster“, die Berlin ökonomisch voranbringen, ist sich Rot-Schwarz weitgehend einig. Neben Adlershof, Berlin-Buch und Tegel sollen in Charlottenburg, Dahlem, Oberschöneweide und nördlich des Hauptbahnhofs rund um bestehende Hochschulen und Betriebe innovative Wirtschaftsstandorte entstehen. Mit den Schwerpunkten: Biotechnologie, Biomedizin und Medizintechnik, Informations- und Kommunikationstechnologien, Optische Technologien und Mikrosystemtechnik, Verkehr, Mobilität und Energietechnik.
Verkehrliche Infrastruktur
Der Ausbau der Autobahn A 100 ist zwischen CDU und SPD unstrittig. Auch weil dadurch 3000 Berliner Unternehmen, der Großflughafen und Adlershof besser in den Stadtverkehr eingebunden werden. Die Union wirbt jetzt schon für den Weiterbau über Treptow hinaus. Der Ausbau des internationalen Flughafens BER in Schönefeld soll ebenfalls ein rot-schwarzes Vorzeigeobjekt werden, das zehntausende Arbeitsplätze schafft und auch die Berliner Wirtschaft auf möglichst kurzem Weg mit den weltweiten Märkten verbindet. Andere Verkehrsprojekte wie die Tangentialverbindung Ost werden ebenfalls zum gemeinsamen Regierungsprogramm gehören.
Internet
An der flächendeckenden Breitbandversorgung für ein schnelles Internet haben beide Koalitionspartner großes Interesse. Glasfasernetze sollen vorrangig alle wichtigen Berliner Wirtschaftsstandorte anbinden. Geredet wird auch über kostenlose Wlan-Netze.
Messe und Kongresse
Der CDU-Unterhändler Steffel würde gern über eine Teilprivatisierung sprechen: An der Messe Berlin könnten sich beispielsweise „große internationale Messeveranstalter, die Deutsche Bahn oder die Lufthansa beteiligen“. Für die SPD ist dies bisher kein Thema. Die Zukunft des Internationalen Congress Centrums (ICC) ist aber gesichert: Beide Regierungspartner wollen das Gebäude am Messedamm sanieren und gleichzeitig eine neue Tagungs- und Messehalle bauen, wo jetzt noch die Deutschlandhalle steht. Über die Größe des Ergänzungsbaus werde in der SPD noch diskutiert, sagt Müller. Man wolle vermeiden, dass die Messegesellschaft den Neubau zur zentralen Kongressstätte macht und das ICC doch aufgibt. Die CDU kann sich eine stärkere Zwischennutzung des Tempelhofer Feldes durch die Messegesellschaft vorstellen.
Einzelhandel
„Die Ansiedlung großflächigen Einzelhandels könnte kontrovers diskutiert werden“, sagt Müller. Die SPD sehe neue Shoppingcenter, Möbelhäuser und Discounter-Supermärkte sehr kritisch. Noch nicht beendet sei die innerparteiliche Diskussion um sogenannte Business Improvement Districts (BID). Die CDU befürwortet das aus den USA stammende Modell, das Geschäftsleute verpflichtet, sich finanziell an Aufwertungsmaßnahmen in ihrer Umgebung zu beteiligen. Auch beim Ladenschluss gibt es Meinungsverschiedenheiten. Die CDU fordert den unbeschränkten Sonntagsverkauf im Hauptbahnhof und damit die Gleichbehandlung der Händler mit Shops in Flughäfen. Die SPD sieht laut Müller „keine große Bereitschaft, das Thema neu anzufassen“. Die Sozialdemokraten halten es für ausreichend, dass sonntags in allen Berliner Fernbahnhöfen Alltags- und Reisebedarf verkauft werden darf.
Tourismus
Für Berlin ist der internationale Fremdenverkehr mit 20 Millionen Übernachtungen jährlich ein enorm wichtiges Wirtschaftsfeld. Dazu gehören auch der Gesundheits- und Kongresstourismus. Bis 2020 könnte die Zahl der Übernachtungen auf 30 Millionen ausgebaut werden. Neue Hotels und andere Übernachtungsmöglichkeiten müssten dafür geschaffen werden. Die CDU sieht vor allem in Osteuropa und Asien große Chancen, viele neue Touristen nach Berlin zu locken. Als neue Quelle zur Finanzierung der touristischen Infrastruktur hat die SPD die City-Tax (Touristenabgabe) ausgemacht. Die Union ist eher skeptisch.
Senatsressort
Eine Fusion der Senatsverwaltungen für Wirtschaft und Wissenschaft ist vorerst kein Thema, obwohl sich IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder und FU-Präsident Peter-André Alt dafür ausgesprochen haben und dieses Modell auch in beiden künftigen Regierungsparteien einige Freunde hat. Über den Ressortzuschnitt werde ohnehin erst Mitte November in der Schlussrunde der Koalitionsverhandlungen entschieden, sagt Steffel. „Im Übrigen sollte eher über die Zusammenlegung von Wirtschaft und Arbeit nachgedacht werden.“