Berliner Alltagsprobleme, Folge 1: Was tut Berlin gegen all den Lärm?
Mehr als 40.000 Stimmen wurden in unserer Leserumfrage zu Berliner Alltagsproblemen abgegeben. Das Ergebnis: Lärm stört am meisten. Wir haben recherchiert, warum die Stadt so laut ist und was Berlin gegen den Lärm tut.
"Eines Tages wird der Mensch den Lärm ebenso unerbittlich bekämpfen müssen wie die Cholera und die Pest", prognostizierte einst der Mediziner und Nobelpreisträger Robert Koch. Angesichts der furchtbaren Bilder aus Haiti kommt uns der Vergleich gerade in diesen Tagen nicht unbedingt angebracht vor. Doch Lärm ist in jedem Fall ein drängendes Problem unserer Zeit - nicht zuletzt wegen gesundheitlicher Folgen. Unserer Umfrage zufolge ist Lärm für die Leser von Tagesspiegel.de mit 12.849 und damit fast einem Drittel der abgegebenen 40.122 Stimmen das Berliner Alltagsproblem Nummer Eins.
Eine repräsentative Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2009 stützt die Ergebnisse unserer nicht repräsentativen Online-Umfrage: Berliner leiden unter den Begleiterscheinungen des Großstadtlebens. Das Leben in der Hauptstadt empfinden viele als anstrengend und stressig. In Berlin wird vor allem der Straßenverkehr als belastend empfunden.
Lärm ist störend, ärgerlich, an den Nerven zerrend und gesundheitsschädlich. Nach Angaben des Bundesumweltamtes ärgern sich rund 70 Prozent der deutschen Bevölkerung über Lärm. "Die Rangliste der schlimmsten Lärmquellen führt der Straßenverkehr an, vor dem Nachbarschaftslärm und dem Fluglärm", sagt Jens Ortscheid vom Bundesumweltamt. Und ab einem Mittlungspegel von 65 Dezibel steige das Risiko für einen Herzinfarkt oder erhöhten Blutdruck. Aber auch psychische Probleme seien die Folge. Studien, die im Auftrag der Weltgesundheitsbehörde (WHO) erstellt wurden, bestätigen die Gesundheitsgefahren, die insbesondere von nächtlichem Lärm ausgehen. Bei Menschen, die unter lärmbedingten Schlafstörungen leiden, steigt das Risiko für Allergien, Herzkreislauferkrankungen, Bluthochdruck und Migräne erheblich. Die WHO sieht Gefahren bereits bei Lärmpegel, die langfristig über 55 Dezibel liegen. Der Grenzwert für Nachtlärm sollte nach Ansicht der Behörde sogar bei 40 Dezibel liegen.
Auch Thomas Keil vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Berliner Charité sieht vor allem in Nachtlärm einen Risikofaktor für den Herzinfarkt. "Bevölkerungsstudien haben gezeigt: Wenn Menschen Nachts dauerhaft Lärm ausgesetzt sind, finden Stressreaktionen im Körper statt. Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol werden ausgeschüttet, die Blutfettwerte steigen und der Blutdruck erhöht sich in Folge." Bluthochdruck kann langfristig zu Schlaganfall oder Herzinfarkt führen.
Laut Bernd Lehming von der Senatsverwaltung Umwelt ist Lärm eines der Umweltprobleme, das die Bevölkerung besonders bedrückt. "Lärm nimmt man unmittelbar wahr", so Lehming, wobei insbesondere der Verkehrslärm die Berliner nervt. "Am Tag sind etwa 330.000 Berliner vom allgemeinen Verkehrslärm, einschließlich Straßenbahnen, Fluglärm usw. betroffen. In der Nacht, in der der Schwellenwert bei 55 statt bei 65 Dezibel liegt, sind es sogar 400.000 Berliner".
Doch der eigene Hund macht keinen Lärm, er bellt nur, sagte Kurt Tucholsky. Lärmempfinden ist individuell. Wer mit einem Feierabendbier im Sommer auf der Admiralbrücke sitzt, kann das Gitarrespiel des Straßenmusikers genießen - der Anwohner eher nicht. Doch wie soll man auf Lärm reagieren, wie kann man ihn bekämpfen? Was tut Berlin gegen den Lärm? Und warum besteht das Problem weiterhin so akut? Wir haben nachgefragt.
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Hauptproblem Verkehrslärm - was tut der Senat?
Lärm gefährdet die Gesundheit zahlreicher Berliner. Besonders betroffen sind Anlieger von Autobahnen und großen Verkehrsachsen in der Stadt, wie beispielsweise die Frankfurter Allee, und von Ausfallstraßen wie dem Tempelhofer Damm. Wer es sich leisten kann, zieht weg von den Hauptverkehrsstraßen. Deshalb droht in besonders belasteten Gebieten die Entstehung "sozialer Brennpunkte". Dieser Entwicklung versucht der Berliner Senat seit einiger Zeit mit einem "Aktionsplan" entgegen zu treten.
Bereits im Jahr 2002 hat die Europäische Union Vorschriften zur systematischen Erfassung von Lärmbelastungen und zur Erstellung von Lärmaktionsplänen erlassen. Im Lärmminderungsplan aus dem Jahr 2008 erläutert die Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, wie es um die Lärmbelastung in Berlin steht und wie der Umgebungslärm in der Hauptstadt bekämpft werden soll. Danach sollen in zunächst zwölf "Konzeptgebieten" die Anwohner künftig besser vor Verkehrslärm geschützt werden. Der Lärmaktionsplan sieht für die ausgewählten Kieze beispielsweise ein nächtliches Tempolimit von 30 km/h vor. Tempo 30 wirkt sich laut Lärmverminderungsplan durch geringere Geschwindigkeit und gleichmäßigeren Verkehrsfluss deutlich positiv auf die Lärmbelastung aus. "Das bringt oft schon alleine ein Lärmverminderung von 2,5 Dezibel", sagt Lehming. Bessere Luft gibt es obendrein. Kein Wunder also, dass die Spitzenkandidatin der Grünen zur Berliner Abgeordnetenhauswahl, Renate Künast, sich dieses Themas annimmt. Sie hat kürzlich die Forderung ihres Berliner Landesverbands nach einem drastischen Ausbau der Tempo-30-Zonen in der Hauptstadt bekräftigt.
Doch der beste Schutz vor Verkehrslärm ist die Nutzung lärmarmer Verkehrsarten: zu Fuß gehen, Fahrrad fahren oder öffentliche Verkehrsmittel statt das Auto nutzen. Mit mehr und besseren Wegen sollen daher möglichst viele Menschen dazu gebracht werden, aufs Rad umzusteigen. Straßen sollen umgestaltet werden, um Radfahrern mehr Platz zu schaffen und den fließenden Verkehr möglichst weit von Wohngebäuden fernzuhalten. Auf Hauptverkehrs- und Einkaufsstraßen werden dazu Radspuren auf der Fahrbahn markiert. Diese "Multifunktionsmaßnahme" fördert einerseits den Radverkehr und die Sicherheit der Radfahrer, da diese auf der Fahrbahn besser gesehen werden als auf einer Radspur hinter geparkten Autos. Andererseits gibt es unmittelbare positive akustische Effekte: Der Abstand des Fahrbahnrandes zur Bebauung vergrößert sich und die Reduzierung der Fahrbahnbreite führt zu einem gleichmäßigerem und leiserem Verkehrsfluss.
Geplant sind zudem Fahrbahnsanierungen - einzelne Modellstraßen, wie zum Beispiel die Gneisenaustraße von Schleiermacherstraße bis Mehringdamm (Kreuzberg) und verschieden Fahrbahnen im Bezirk Reinickendorf, bekommen einen lärmarmen Asphalt. Schadhafte Fahrbahnen werden ausgebessert und teilweise das Kopfsteinpflaster entfernt, was eine große Lärmminderung bringt. "Insgesamt erbringen diese Maßnahmen eine Lärmminderung zwischen 2,5 und 5 Dezibel", erläutert Lehming. Zum Vergleich: Die Halbierung eines Verkehrsaufkommens bringt in der Regel eine Lärmreduzierung von rund drei Dezibel.
Auch die Parkraumbewirtschaftung, wie sie momentan in Teilen des Prenzlauer Bergs durchgeführt wird, wird im Lärmminderungsplan angeführt. Ziel ist es, die Verkehrsbelastung insgesamt zu reduzieren. Beschäftigte sollen häufiger ohne Auto zur Arbeit fahren, das Parken in der zweiten Reihe soll unterbunden und die Parkplatzsuche erleichtert werden.
Die 15 Millionen Euro schwere Posten "Lärmschutz" aus dem Konjunkturpaket des Bundes wurde innerhalb von zwei Jahren ausgegeben. Als Beispiel nennt Lehming auch das Anbringen von Schallschutzfenstern wie beispielsweise an der Frankfurter Allee oder der Klosterstraße in Spandau. "In einigen, sehr lauten Fällen muss man zu dieser letzten Maßnahme greifen", sagt Lehming, der rund 80 Prozent der im Lärmminderungsplan aufgeführten Maßnahmen als umgesetzt sieht. Allerdings gebe es noch weitere, ähnliche Pläne, die noch abgearbeitet würden. Bevölkerungsbefragungen, wie sie in der Dudenstraße in Tempelhof/Kreuzberg/Schöneberg und in der Brandenburgischen Straße in Charlottenburg-Wilmersdorf durchgeführt wurden, bilden die Grundlage für die Maßnahmen zur Lärmminderung - beispielsweise den entsprechenden Umbau der Straßen. "Interessant an den Ergebnissen solcher Befragungen ist auch der Zusammenhang zwischen sozialer Mischung und Lärmempfinden", sagt Lehming. So seien die Mieten in ruhigeren Straßen häufig sehr viel höher als in belasteten Verkehrsadern, weshalb nicht zuletzt die Immobilienwirtschaft stark an einer Reduzierung des Verkehrslärms interessiert sei.
Die Senatsverwaltung für Gesundheit hat die Lärmkarten und die Pläne zur Lärmminderung ins Internet gestellt. Jeder Berliner kann dort durch die Eingabe seines Wohnorts prüfen, ob und wie er von starkem Lärm betroffen ist.
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Aktuelles Problem Fluglärm - was ist mit den BBI-Flugrouten?
Fluglärm ist ein Problem, nicht nur in Berlin. Rund ein Drittel der Bevölkerung klagt über Fluglärm - das zeigen repräsentative Umfragen des Umweltbundesamtes. Hochgradig belästigt fühlen sich fünf Millionen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Kein Wunder also, dass die Anwohner um den neuen Flughafen Schönefeld auf die Straße gehen. Doch worum geht es bei den Protesten?
Zunächst gingen Bürger und Verwaltung davon aus, dass die Maschinen vom neuen Flughafen BBI geradeaus starten. So sah es eine Grobplanung 1998 vor. Sicherheits-Richtlinien fordern aber, dass parallel von zwei Bahnen abhebende Maschinen sich unmittelbar nach dem Start im Winkel von 15 Grad von einander entfernen. Ein Parallelbetrieb auf beiden Start- und Landebahnen in Schönefeld erscheint des Flughafenbetreibern unerlässlich. Entsprechende neue Routen präsentierte die Deutsche Flugsicherung (DFS) am 6. September – zur Überraschung der Betroffenen in Brandenburger Gemeinden und einigen Berliner Bezirken. Besonders die Lebensqualität in Mahlow, Stahnsdorf, Blankenfelde, Teltow und Wannsee könnte durch den Lärm aufsteigender Flugzeuge eingeschränkt werden, lauten die Befürchtungen. Der Großflughafen "Berlin Brandenburg International" (BBI) in Schönefeld soll im Juni 2012 eröffnet werden.
Das Bürgerbündnis gegen die geplanten Flugrouten des künftigen Großflughafens umfasst inzwischen zwölf Initiativen. Gemeinsames Ziel ist die Rücknahme der im September veröffentlichten abbiegenden Routen bei Parallelstarts vom BBI und die Rückkehr zu den geradeaus führenden Abflugvarianten des Planfeststellungsverfahrens. Einem Sprecher zufolge vertritt das Bündnis 756.000 potenziell Betroffene.
Dabei es geht nicht nur um Lebensqualität in der betroffenen Region sondern auch um Immobilienpreise. Die Hausbesitzer in der Region befürchten Werteverluste. Der Verband der Grundstücksnutzer prognostiziert einen Schaden von rund zwei Milliarden Euro in der Region. Entschädigungsansprüche erscheinen indes juristisch kaum durchsetzbar.
Jedoch ist nicht ausgemacht, ob es zu einem nachhaltigen Werteverlust kommt. Einer Studie der Universität Hamburg aus dem Jahr 2008 zufolge waren in einer Entfernung bis zu 5000 Metern zum Luftkorridor des Flughafens Tempelhof Wertminderungen von etwa 5 bis 9 Prozent zu verzeichnen. Allerdings war dies im Flugkorridor von Tegel nicht festzustellen. Offenbar gab es im Fall von Tegel gewerbliche Immobiliennutzer, die die Nähe zu Flughafen gesucht haben. Auch Wohnnachfrage von Beschäftigten des Flughafens und der Luftfahrtindustrie ist denkbar.
Unabhängig davon können vom Fluglärm des künftigen Großflughafens BBI Betroffene bis Mitte 2017 Fördergelder für Schallschutzmaßnahmen beantragen. Darauf verwiesen die Umweltministerinnen von Berlin und Brandenburg, Katrin Lompscher und Anita Tack. Den Streit um die Flugrouten wird dies nicht beenden.
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Saisonales Problem Laubbläser - muss das denn sein?
Einige unserer User klagten über lärmende Laubbläser der BSR. Die Senatsverwaltung für Umwelt warnte Anfang Oktober vor dem Einsatz der Geräte. "Laubbläser und Laubsammler bringen erhebliche Lärmbelästigungen mit sich. Geräte mit Verbrennungsmotoren erzeugen Krach in einem Bereich zwischen 106 bis 112 Dezibel. Dieser hohe Pegel belästigt nicht nur Anwohner erheblich, sie können auch bei den Benutzern selbst Gehörschäden verursachen."
Nichtsdestotrotz nutzt die Berliner Stadtreinigung (BSR) in der Innenstadt ausgiebig die knatternden Laubbläser. Die Maschinen seien jedoch notwendig, um in Bereichen in denen viele Autos unter Bäumen parken, die Blätter auch zügig entsorgen zu können. Der Besen sei leider weniger effektiv, sagt BSR-Sprecherin Sabine Thümler. Doch das Unternehmen ist nach eigener Aussage bemüht, den Lärmpegel möglichst gering zu halten. "Wir haben die leisesten Laubbläser nach dem aktuellen Stand der Technik. Bei voller Leistung liegen sie noch unter 100 Dezibel, bei Normalbetrieb deutlich darunter", sagt Thümler. Bleibt trotzdem die Frage, wie die Stadtreinigung Jahrzehnte lang ohne Laubbläser auskommen konnte.
Wo wir gerade bei der BSR sind. Ein Kollege beklagte sich, dass BSR-Mitarbeiter schon um halb sieben Uhr morgens bei ihm klingeln und ihn unsanft aus dem Schlaf reißen. Das trifft offenbar in Einzelfällen zu. "Wo kein Schlüssel für das Haus vorhanden ist, da müssen wir klingeln", sagt die BSR-Sprecherin. Es werde aber versucht, die Schlüssel von den Hausverwaltungen zu organisieren. Immerhin hält die BSR die Nachtruhe von 22 bis 6 Uhr am Morgen nach Landes-Immissionsschutzgesetz ein.
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Nachbarschaftliches Problem Partylärm - was passiert zum Beispiel an der Admiralbrücke?
"Im Jahr 2010 gab es im Bereich Haus- und Nachbarschaftslärm bislang 165 Verwarnungen und 73 Bußgelder", heißt es im Ordnungsamt Friedrichshain-Kreuzberg. Im Bereich der Admiralbrücke seien die Fallzahlen jedoch gering, da letztlich nur einzelne Musiker mit Bußgeldern belegt werden könnten, die ohne Genehmigung dort Musik machen und über die sich Anwohner beschwerten. Die Polizei habe jedoch mehrfach Platzverweise ausgesprochen und die Brücke geräumt. Dabei habe es sich jeweils um mehrere Hundert Personen gehandelt.
Der Streit um die Kreuzberger Admiralbrücke geht seit etwa zwei Jahren. In lauen Sommernächten treffen sich zahlreiche Menschen auf der Brücke im Graefekiez. Sie singen und trinken, reden und lachen, musizieren und tanzen auf der Brücke über den Landwehrkanal. Mitunter treten Kleinkünstler und Musikgruppen auf. Die Verbindung zwischen Fraenkelufer und Planufer hat es bereits als Tipp in manche Reiseführer geschafft. Zum großen Ärger vieler Anwohner, die genervt sind vom allabendlichen Krach, der ihnen den Schlaf raubt. Nach vielen Beschwerden von Anwohnern und zahlreichen Polizeieinsätzen hatte das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg Mediatoren beauftragt, zwischen Nutzern, Anwohnern und Gewerbetreibenden zu vermitteln. Zunächst schien diese Maßnahme von Erfolg gekrönt zu sein: Nach Angaben der Mediatoren habe im Laufe des Sommers das Musizieren auf der Brücke seit Beginn des Projektes am 22. Mai deutlich abgenommen. Im August gab es jedoch einen Rückschlag, als die Polizei mit einer Hundertschaft anrücken musste um die rund 200 Anwesenden dazu zu bewegen, die Admiralbrücke zu verlassen.
Der Streit um die Admiralbrücke fällt in die Rubrik Nachbarschaftslärm - so wie der Streit um Berliner Klubs wie dem Knaack Klub, der bereits seit 1952 in der Greifswalder Straße in Prenzlauer Berg beheimatet ist. Weil ein benachbarter Neubau nicht schallisoliert wurde und hinzugezogene Anwohner sich beschwerten, dürfen Konzerte nur noch bis 22 Uhr stattfinden. Außerdem musste die Lautstärke runtergedreht werden. Laut Betreiber stieß die leise Musik bei den Partygängern nicht auf Akzeptanz. Ein Sprecher bestätigt gegenüber Tagesspiegel.de das Ende nach 59 Jahren Klubgeschichte: "Am Jahresende ist nun endgültig Schluss". Seit einiger Zeit suche man nach einer neuen Räumlichkeit, bislang sei aber noch nichts in Sicht. Die Pläne für ein neues Domizil an der Oberbaumbrücke in Kreuzberg haben sich zerschlagen.
In Kreuzberg hatte ein anderer, ebenfalls traditionsreicher Club mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Beschwerden eines Nachbarn bedrohten das SO36 in der Oranienstraße, in dem seit 31 Jahren Punkkonzerte und andere Veranstaltungen stattfinden. Die Notlage des Clubs lösten eine Solidaritätswelle im Kiez aus - berühmte Bands wie die Toten Hosen gaben Solikonzerte. Der Einsatz der Musikfreunde ist in diesem Fall von Erfolg gekrönt. Der Mietvertrag wurde verlängert und die 100.000 Euro für die benötigte Lärmschutzwand sind aufgebracht.
Nachbarschaftslärm ist nicht gleich Nachbarschaftslärm: Christian Pestalozza, Verwaltungsrechtler an der Freien Universität Berlin, weist auf eine wichtige Unterscheidung hin. Bei Lärm durch laute Musik - durch Clubs, Privatpersonen oder auch Autofahrer, die ihre Musikanlage zu laut aufgedreht haben, empfiehlt es sich grundsätzlich auf die Verursacher des Krachs zuzugehen, ehe das Ordnungsamt eingeschaltet, die Polizei geholt oder das Umweltamt informiert wird.
Andererseits gibt es den öffentlich geduldeten Lärm, der auf Fußballplätzen, in Kitas oder an Schulen entsteht. So gilt Kinderlärm als "Ausdruck selbstverständlicher kindlicher Entfaltung" und steht in Berlin unter dem Schutz des Gesetzes - zumindest in vielen Fällen. Während Nachbarn das Babygeschrei hinnehmen müssen, müssen sie jedoch keineswegs den Zehnjährigen tolerieren, der permanent mit einem Hammer gegen die Heizungsrohre schlägt. Musizieren wiederum ist grundsätzlich erlaubt: Jeder hat das Recht, ein Instrument zu erlernen. Hier sind natürlich die gesetzlichen Ruhezeiten und Zimmerlautstärke einzuhalten. Doch zwei Stunden am Tag müssen Nachbarn unter Umständen das Gitarrengeschrammel des Nachwuchsrockers nebenan ertragen, und sei er noch so unmusikalisch.
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Was kann ich bei Lärmbelästigung tun?
Für Berlin gilt das Landesimmissionsschutzgesetz. Es soll die Bürger vor vermeidbarem störenden Lärm schützen. Bestimmte Zeiten sind dabei besonders geschützt: Die Nachtzeit 22 bis 6 Uhr und die Sonn- und gesetzlichen Feiertage. "Dies gilt sowohl für Lärm der durch menschliches Verhalten (z.B. Schreien und Poltern) als auch für Lärm durch den Betrieb nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen (z.B. Gewerbebetriebe, Maschinen und Geräte) verursacht wird." Auch am Tag greift das Gesetz, "soweit vermeidbare und störende Geräusche durch die Benutzung von Tonwiedergabegeräten und Musikinstrumenten, durch öffentliche Veranstaltungen im Freien oder durch die Haltung von Tieren verursacht werden." Für den sonstigen Lärm während der Tageszeit gilt das Ordnungswidrigkeitengesetzes. Wer dagegen verstößt, muss mit einem Bußgeld rechnen.
Wer sich durch Lärm belästigt fühlt, sollte zunächst das Gespräch mit dem Verursacher suchen - auch auf die Gefahr hin, als Spielverderber zu gelten. Eine ruhig und freundliche vorgetragene Bitte kann Wunder bewirken. Dabei sollte man jedoch frühzeitig handeln. Wartet man zu lange ab, ist man unter Umständen bereits so genervt, dass man nur noch aggressiv reagieren kann - eine Einigung wird dann schwierig.
Hilft alles Reden nichts, kann man sich bei andauernden und erheblich Störungen zwischen 6 bis 22 Uhr an das Ordnungsamt wenden. Während der Nacht ist die Polizei über die Wache des jeweiligen Abschnitts zuständig - in Notfällen (z.B. bei gesundheitsgefährdendem Lärm) kann der Notruf 110 gewählt werden.
Die Nachtruhe gilt natürlich auch für Bauarbeiten - sofern keine Ausnahmegenehmigung vorliegt. Diese wird für notwendige Arbeiten an der Infrastruktur gewährt, wie sie beispielsweise am Bahnhof Ostkreuz stattfinden. Im Zweifel kann der Bürger sich beim Bezirksamt erkundigen, ob tatsächlich eine Ausnahmegenehmigung vorliegt. Unter Umständen kann ihm eine Ersatzunterkunft gestellt werden.
Berlin ist hektisch, Berlin ist nervig, Berlin ist laut. Doch es gibt auch Orte der Stille und der Besinnung, in den zahlreichen Parks und Grünanlagen, in Kirchen oder auch im Raum der Stille im Brandenburger Tor. Ruhiger Raum entsteht aber in erster Linie dort, wo wir Toleranz und Rücksichtnahme walten lassen. Denn nur so lässt sich der Gestank im Ohr (Ambrose Bierce) für alle reduzieren.
Auf seiner Website listet das Umweltbundesamt umfangreiche Lärmarten auf und gibt Tipps, wie man sich helfen kann. Die Stichwörter reichen von Altglascontainer über Feuerwehrsirenen und Fluglärm bis zu Zirkus. Auch die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz informiert darüber, an wen man sich im Falle einer Ruhestörung wenden kann. Weitere Hintergrundinformationen finden sich in der Broschüre Ruhe bitte!
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