„Da hätte man mehr gestalten können“: Was Händler und Anwohner zur autofreien Friedrichstraße sagen
Seit August ist die Friedrichstraße teilweise autofrei. Das Projekt erntet auch Kritik – doch ist die auch berechtigt? Ein Rundgang auf der neuen Flaniermeile.
Das Experiment läuft, und sein Ausgang ist noch ungewiss. Seit Ende August ist die Friedrichstraße zwischen Französischer und Leipziger Straße für Pkw gesperrt. Was die einen als entspannende Verkehrsmaßnahme für Fußgänger und Radfahrer begrüßen, gilt anderen als unüberlegter Aktionismus. So fordert insbesondere die CDU Geschwindigkeitskontrollen für zu schnelle Radfahrer und warnt vor Umsatzeinbrüchen aufgrund des wegfallenden Verkehrs.
Von angespannter Stimmung ist an diesem sonnigen Nachmittag erst mal nichts zu bemerken. Die Passanten, es sind nicht viele, wirken gut gelaunt. Ein paar Sitzgelegenheiten und Bäume in Holzkästen wurden an den Rand der Fahrradstrecke gestellt, die mit grellgelben Streifen markiert ist.
Überall sind spontan aufgestellte Verkehrsschilder und Absperrungen aus Plastik zu sehen. Dass die Anlage provisorisch wirkt, ist keine Überraschung: Die Sperrung gilt erstmal nur bis Ende Januar. Dann kommen auch die dünnen Bäume in ihren Holzkästen, die etwas wild auf der Passage aufgestellt worden sind, wieder weg.
Überlegungen stehen im Raum, dass nun Street-Art auf der Straße zum Einsatz kommen könnte. Wie genau dies aussehen könnte, ist bislang noch unklar. Weitere Ansätze, die für bessere Stimmung auf der Straße sorgen sollen, drehen sich um den Bau einer Bühne sowie diverse Angebote für Kinder.
Eine große Befürchtung von Händlern war natürlich, dass Kunden wegbleiben werden. Und? Sind sie weg? In einer Bäckerei hört der Verkäufer mehr auf seinen Bauch, als dass er reale Zahlen hätte. „Ich habe das Gefühl, dass es mehr Leute geworden sind“, sagt er.
Seine Kollegin widerspricht: „So würde ich das nicht unbedingt sagen. Am Wochenende vielleicht.“ Schlangen vor Bäckereien, wegen Corona stehen die Menschen im Abstand zueinander, sind derzeit allerdings nicht unüblich. Bei der Boutique Marcell von Berlin hätte man diese Schlangen gerne, dort aber sind sie nicht zu sehen.
„Spontaneität ist verloren gegangen“
Eine junge Verkäuferin bestätigt die Sorgen der CDU. „Unsere Kunden kommen mit dem Auto und setzen sich mit ihren Einkäufen sicher nicht in die U-Bahn“, sagt sie. Auch wenn man nach wie vor in der Nähe parken könne, sei Spontaneität verloren gegangen. Zudem gebe es unnötige Probleme bei der Anlieferung. Die Lieferwagen müssen jetzt die Seitenstraßen benutzen.
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Ein paar Meter weiter kann ein Kioskbesitzer den Ärger über fehlende Parkplätze nicht verstehen. „Das ist Quatsch“, sagt er. „Die Kunden konnten vorher auch nicht parken in der Friedrichstraße. Da war immer alles voll.“ Ihn freue es, dass die Autos, die früher sogar in zweiter Reihe parkten, nun weg sind.
Konkrete Daten über die Auswirkungen auf den Umsatz am Rande der Straße fehlen bislang. Die größeren Einkaufszentren an der Friedrichstraße, das Quartier 205 sowie die Galeries Lafayette, konnten bislang weder positive noch negative Bilanzen gezogen
Die Kellnerin eines Cafés hat hingegen das Gefühl, von der Fußgängerzone zu profitieren. „Wir haben erst ein paar Monate geöffnet. Aber wir haben schon gemerkt, dass jetzt mehr Kundschaft kommt, seitdem es hier keine Autos mehr gibt.“
Wie auch viele andere Lokale hat das Café den neuen Freiraum genutzt und zusätzliche Tische aufgestellt. Gäste trinken hier in Ruhe ihren Kaffee, einige sind in Bücher vertieft. Statt lauter Motoren ist hier nur das Surren der Fahrräder und E-Tretroller zu hören. Doch Kritiker warnen gerade vor dieser Stille: Die Räder seien zu leise, Fußgänger würden von ihnen überrascht.
Radfahrer fahren vielen Passanten zu schnell
Neben intensiven Kontrollen wird auch die Einführung von Zebrastreifen gefordert. Dass die Radfahrerinnen und Radfahrer sich nicht ans Tempolimit halten, sagen Passanten in der Friedrichstraße immer wieder. Auch die Angestellte eines Kaufhauses sieht darin ein Problem. „Am Liebsten wäre mir eine reine Fußgängerzone. Ein paar Stände auf der Straße würden sicher mehr Kunden locken“, sagt sie.
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Weitere Überlegungen und Bedenken betreffen die parallel verlaufenden Straßen der Friedrichstraße. Die Sperrung könne zur Überlastung der Nebenstraßen führen, lautet die Befürchtung von Passanten. Der Berliner Verkehrsinformationszentrale teilte auf Anfrage des Tagesspiegel mit, dass bislang keine Daten über eine dramatische Zuspitzung der Verkehrslage vorlägen.
Nun will man die Verkehrsdichte insbesondere auf der Charlottenstraße überprüfen. Im Extremfall könnte diese in eine Einbahnstraße umgewandelt werden. Auch das Parkleitsystem rund um die Friedrichstraße wird wohl noch einmal auf den Prüfstand gestellt. Eine bessere Beschilderung könnte den Weg zu naheliegenden Parkhäusern erleichtern.
Ein Vorgarten für die Galeries Lafayette
Bereits ausgemacht scheint eine Änderung am Beginn der autofreien Friedrichstraße. An der U-Bahn-Haltestelle „Französische Straße“ trennt sich die Fahrradstrecke bislang entzwei. In Zukunft soll der Fahrradverkehr jedoch links in Richtung Unter den Linden an der U-Bahnstation vorbeigeleitet werden. So würde rechts vor den Galeries Lafayette neuer Raum entstehen, den das Kaufhaus wohl als Gartenfläche nutzen möchte.
Die viel geforderte Einführung von Zebrastreifen lässt hingegen auf sich warten. Grund hierfür sind verkehrsrechtliche Probleme. Eine von der Fahrradstraße ausgehende Gefahr muss zweifelsfrei belegt werden, um entsprechende Übergänge zu schaffen. Als Alternative haben Anrainer vorgeschlagen, die Straße mit „Look left – Look right“ Schriftzügen zu versehen. Diese sind in anderen Ländern bereits gang und gäbe.
Der Kioskverkäufer findet die Verkehrslage in Ordnung. „Ein Problem mit Nebenstraßen sehe ich auch nicht“, sagt er entschieden. Seine größte Kritik an der neuen Fußgängerzone ist ästhetischer Natur: „Da hätte man mehr gestalten können. Vielleicht noch ein paar Girlanden oder so irgendwas.“
Vielleicht wird es ja in der Weihnachtszeit etwas feierlicher und auch etwas bunter. Um einen Weihnachtsmarkt auf der Friedrichstraße zu organisieren, dürfte es allerdings schon zu spät sein. Momentan sieht es nicht danach aus, als würde die autofreie Zone zur Weihnachtszeit viel mehr als eine festliche Beleuchtung zu bieten haben. Über die weiteren Schritte auf der Friedrichstraße wollen Anwohner sich Ende September erneut beraten.