Serie: Was den "Berliner Unwillen" erregte
Sie nannten ihn Eisenzahn. Kurfürst Friedrich II. war ein rabiater Herrscher, der die Stadtrechte zu seinen Gunsten beschnitt. Er nutzte die Kluft zwischen Patriziern und einfachen Bürgern aus. Doch Rache ist süß, darum fluteten sie Anfang 1448 seine Schlossbaustelle.
Gurgelnd strömte das Wasser der Spree durch das geöffnete Wehr, schoss auf die aufgeschütteten Sandhaufen zu und riss sie fort, spielte Mikado mit dem Bauholz, warf Ziegelstapel um und breitete sich so rasch aus, dass Zimmerleute und Maurer panisch davonrannten. Bald hatte sich die Baustelle in einen kleinen See verwandelt, an dessen sich ausweitendem Ufer die aufgebrachten Bürger triumphierend herumsprangen, Werkzeuge der Zerstörung schwenkten, johlten und Flüche gegen den Kurfürsten ausstießen. Mochte mancher im Lande Friedrich II. schon Eisenzahn nennen wegen seines rigorosen Auftretens und entschiedenen Willens zur Macht – an ihnen, den freien Bürgern der wichtigsten Stadt in Brandenburg, würde er sich den schon noch ausbeißen. Ein Schloss will er bauen, eine Zwingburg für Berlin und Cölln? Kann er haben, aber nur als Wasserschloss! Unterwasser!
Will man dem Aufstand der Berliner und Cöllner im Frühjahr 1448, bekannt als „Berliner Unwille“, räumlich besonders nahe kommen, so muss man sich ausgerechnet in die Stille des Märkischen Museums begeben. Den Eingang zur seiner Gotischen Kapelle bildet ein imposantes Spitzbogenportal, der letzte Überrest des Hohen Hauses, des ursprünglichen Berliner Wohnsitzes des Landesfürsten, 1931 bei Abrissarbeiten neben der Klosterkirche entdeckt und ins Museum versetzt. Durch das aus Ziegeln geformte Eingangsportal war die wütende Menge gestürmt, hatte die kurfürstlichen Beamten kujoniert, die amtlichen Dokumente durchwühlt, manches vernichtet oder weggeschleppt. Das nahm Eisenzahn den Untertanen besonders übel.
Die Umwälzungen in der Doppelstadt Mitte des 15. Jahrhunderts, der Strukturwandel der Macht, lässt sich sogar am Stadtsiegel nachvollziehen. Vorher zeigte es das städtische Wappentier des Bären, der den Adler des Landesherren als Wappenschild, einer großen Hundemarke gleich, hinter sich herschleppte. Nach 1448 tauchte ein Siegel auf, das den Bären als Reittier des Adlers zeigt, der die Krallen fest in dessen Fell geschlagen hat. Unter Historikern ist diese Deutung umstritten, sie illustriert aber anschaulich, was sich zugetragen hat: die Unterwerfung der Stadt durch die Hohenzollern.
Diese hatten in Brandenburg seit 1415 als Markgrafen und Kurfürsten das Sagen. Friedrich I. hatte sich dafür durch das Aufräumen unter den regionalen Adligen qualifiziert, die oft zu Raubrittern herabgesunken waren. Doch auch die Städte waren dank jahrzehntelanger Schwäche der Zentralmacht übermächtig geworden, woran Friedrich I. noch nichts änderte. Es fehlten ihm wohl die Mittel.
Ganz anders sein Sohn Friedrich II. „Eisenzahn“, ab 1440 im Amt. Es machte die Oberen von Berlin und Cölln schon misstrauisch, dass er ihre Privilegien nur in Worten, nicht per Eid bekräftigte. Aber angesichts des innerstädtischen Ärgers, dem sie sich ausgesetzt sahen, geriet das in Vergessenheit. Denn so selbstbewusst die Doppelstadt nach außen auch auftrat, so sehr sie sich in Städtebündnissen gegen feindliche Nachbarn wie auch einen zu machtbewussten Landesfürsten zu schützen wusste, im Innern brodelte es. Und gerade ein Vertrag, der 1432 zur weiteren Vereinigung von Berlin und Cölln geschlossen wurde, barg in sich den Keim des Zerfalls des Status quo.
Der war geprägt durch den Gegensatz zwischen den Patriziern einerseits, reich geworden im Fernhandel, als Ratsherren fest im Sattel, und andererseits den vier hochangesehenen Zünften der Bäcker, Fleischer, Tuchmacher und Schuhmacher sowie dem übrigen Volk, vom politischen Geschehen ausgeschlossen. Der neue Stadtvertrag sollte diesen Zustand zementieren, der längst nicht mehr der gesellschaftlichen Entwicklung entsprach, die Spannungen nur verstärkte und indirekt zum Mittel für Eisenzahn wurde, die Dinge neu zu ordnen. Auch half ihm der Übermut der Doppelstadt, die drei Jahre später die Johannitergüter Tempelhof, Rixdorf, Marienfelde und Mariendorf erwarb, ohne die erforderliche Zustimmung des Kurfürsten einzuholen. So konnte er die Güter einziehen, hatte damit einen weiteren Trumpf in der Hand, als er von den unteren Ständen um Vermittlung angerufen wurde. Er musste aber erst – so berichtet es ein Jahrhundert später der Chronist Peter Hafftiz – mit 600 Reitern drohen, bis er seinen Willen durchsetzen konnte, vertraglich festgeschrieben am 29. August 1442.
Für Berlin und Cölln eine klare Niederlage: Vereinigung zur Doppelstadt? Aufgehoben, das gemeinsame Rathaus auf der Langen Brücke (heute: Rathausbrücke) nun Amtssitz des Hofrichters. Getrennte Stadträte also, unter Beteiligung der unteren Stände, und der Kurfürst kann sie jederzeit ablehnen. Hohe Gerichtsbarkeit, die zu Todesstrafen berechtigt? An den Landesherren verloren. Das Stapelrecht, das durchziehende Händler zwingt, ihre Waren erst in der Doppelstadt anzubieten? Passé. Als persönliche Dreingabe sicherte sich der Kurfürst einen Baugrund auf dem Cöllner Werder, zwischen Haupt- und Nebenarm der Spree, nördlich des damaligen Dominikanerklosters, an das noch die Brüderstraße erinnert. Ein Schloss wollte er dort bauen, als Wohnsitz in der künftigen Residenzstadt.
Dessen Grundsteinlegung am 31. Juli 1443 wohnte er selbst bei. Anfangs nahmen die Bürger die Bauarbeiten ohne lauteres Murren hin, obwohl schon sie eine Demütigung bedeuteten. Ihre Stadtmauer, Symbol der Selbstständigkeit, wurde auf dem Cöllner Werder kurzerhand abgerissen, der Schlossbau über die alte Stadtgrenze hinausgeschoben. Aber alles wäre wohl ruhig geblieben, hätte nicht Friedrich auch nach dem Besitz der Bürger gegriffen, deren Grundeigentum oft auf ähnlich anfechtbare Weise erworben worden war wie die Johannitergüter durch Berlin/Cölln. Das traf nicht nur die Kommune, das traf den Einzelnen.
Die genaue Chronologie des Berliner Unwillens ist nicht mehr zu rekonstruieren, aber er muss sich zwischen Mitte Januar und Mitte März 1448 abgespielt haben. Mit aufrührerischen Reden in „Weinkellern und anderswo“ fing es an, so zürnte danach der Kurfürst. Erst wurden seine Zöllner, Richter und anderen Beamten zur Einstellung ihrer Arbeit gezwungen, dann wurde seine Kanzlei im Hohen Haus geplündert, wohl auf der Suche nach alten, gegen die Bürger verwendbaren Akten, und schließlich öffnete man das „Arche“ genannte Wehr am Seitenarm der Spree, flutete den Bauplatz.
Die Bürger hatten sich des Beistands anderer Städte in der Mark versichert, waren sich ihrer Sache so gewiss, dass sie einen Gesandten Friedrichs, der die Führer des Aufstands ans Hofgericht nach Spandau vorlud, kurzerhand einsperrten. Doch Eisenzahn setzte auf Zeit, verhandelte mit den anderen Städten, drohte hier, gab dort nach, und allmählich löste sich das schöne Bündnis auf, zurück blieben Berlin und Cölln. Ende Mai 1448 mussten sie kleinlaut beigeben und den Vertrag von 1442 nun doch akzeptieren.
Allzu hart ist der Kurfürst mit seinen unbotmäßigen Untertanen nicht umgesprungen. Gewiss, Bernd Reiche, einer der beiden Bürgermeister, und andere aus der Führungsschicht wurden verbannt, es gab Geldbußen, Lehen wurden eingezogen. Aber selbst einer wie Wilke Blankenfelde, beim Berliner Unwillen vorne dabei, wurde 1454 begnadigt und war wenig später wieder Bürgermeister.
Sein Schloss hat Friedrich II. natürlich doch gebaut, so groß scheint der Schaden nicht gewesen zu sein. 1451 war es fertig, auf der ersten Darstellung Berlins 1537 taucht es als Silhouette mit vier Spitztürmen auf. Historische Darstellungen vom Aufruhr gibt es nicht, nur spätere Chroniken, den Roman „Der Roland von Berlin“ von Willibald Alexis (1840), eine um 1900 entstandene Zeichnung von Carl Röhling, die „Eisenzahn“ bei Besichtigung der Baustelle 1443 zeigt – und ein Diorama im Historiale Berlin Museum Unter den Linden. Museums- und Verlagschef Wieland Giebel hat es vor zwei Jahren beim Schmalkaldener Zinnfigurenhersteller Stefan Gampe in Auftrag gegeben, die erste Station beim Rundgang durch Berlins Geschichte und Illustration des Leitmotivs „Freiheit“. In der Mitte verbrennen Wutbürger Kanzleiakten, rechts gurgelt das Wasser durch die Baustelle. Zur Linken tagt noch der Rat, doch aus dem Hintergrund nahen Eisenzahns Reiter.
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