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Eine junge Frau in einem Frauenhaus (Symbolfoto)
© picture alliance /dpa

Gewalt im eigenen Zuhause: Warum Frauenhäuser so wichtig sind

Pro Jahr werden in Berlin fast 15.000 Fälle häuslicher Gewalt registriert. Betroffene entkommen nur schwer – weil unter anderem Wohnungen fehlen.

Anfangs waren da nur wirre Botschaften. Birgit Webers Ehemann verhielt sich zunehmend wunderlich, damals, kurz nach der Hochzeit. Weber heißt eigentlich anders. Ihr Mann versuchte ihr den Kopf zu vernebeln, sagt sie. Mit Zetteln, die in der Wohnung verteilt hingen. „Die Rede war von Messern, Schwertern, apokalyptischen Entscheidungskämpfen.“ Sie verstand nicht so recht, was dahintersteckte.

Nachts bestellte er sie dann zu „Fragestunden“ ein. Sie sollte sich rechtfertigen, ihre psychische Störung einschätzen. Doch dann schwang die Stimmung von wunderlich zu gefährlich: Er drohte Weber mit Selbstmord, er befahl ihr, ihn zu töten. An anderen Tagen erbrachte er ihr übertriebene Liebesbeweise. Immer sagte er, dass sie die Schuld an seinem Verhalten trage.

Die Gewalt ist sichtbar und unsichtbar

Weber lebte drei Jahre unter psychischer Gewalt. Unter häuslicher Gewalt. Aber kein Nachbar hört es in der Wohnung rumpeln, kein Arzt bemerkt bei der Untersuchung Hämatome.

Häusliche Gewalt ist in Berlin alltäglich: 2017 wurden 16 Menschen von ihrem Partner oder Familienangehörigen umgebracht, 13 weitere Male überlebten die Opfer nur knapp. Drei Viertel der Betroffenen waren Frauen. Fast 15.000 Mal rückte die Berliner Polizei 2017 wegen Fällen häuslicher Gewalt aus, Fälle von Stalking, Vergewaltigung oder Körperverletzung.

Am häufigsten ist die Polizei bei häuslicher Gewalt wegen Körperverletzung im Einsatz.
Am häufigsten ist die Polizei bei häuslicher Gewalt wegen Körperverletzung im Einsatz.
© Rita Böttcher, Polizei Berlin

Die unsichtbaren Fälle häuslicher Gewalt sind schwerer zu erkennen und zu ahnden. Wo hört „wir machen eine harte Zeit durch“ auf? Wo beginnt Gewalt – körperliche und psychische?

"Gaslighting" - Kontrolle durch gezielte Manipulation des Opfers

Wie Birgit Webers Mann sich verhielt, passt in ein Muster: Ein Partner versucht, den anderen durch psychische Manipulation zu kontrollieren. „Gaslighting“ ist der Fachbegriff. Diffus wie das Licht einer Gaslaterne. Er stammt aus dem gleichnamigen britischen Theaterstück aus dem Jahr 1938. Der Täter streitet jede eigene Schuld ab und gibt dem Opfer die Schuld am irrationalen Verhalten. Im Theaterstück wird die Frau am Ende beinahe wahnsinnig.

„Arbeitsunfähigkeit, Krankheit, Suizidgedanken“, beschreibt Michael Bendix-Kaden die Folgen psychischer Gewalt. Er sitzt in seinem Büro der Zentralstelle für Prävention, Landeskriminalamt, Sachstelle 2, am Columbiadamm. Er leitet den Opferschutz, aber kennt das Bild aus verschiedenen Blickwinkeln – aus denen des Streifenpolizisten, des Zielfahnders und des Ermittlers für schwere Delikte.

Als er Ende der 1980er zur Polizei kam, wurde „häusliche Gewalt“ noch „Familienstreitigkeit“ genannt. „Wir nahmen es zur Kenntnis, und vielleicht gab es mal eine Anzeige.“ Diese Gewalt war ein privates Problem.

Häusliche Gewalt ist ein strukturelles Problem

In den Neunzigern schaffte es die Berliner Initiative gegen Gewalt gegen Frauen (BIG), dass sich diese Annahme langsam änderte. Sie brachte alle Instanzen an einen Tisch: Polizei, Justiz, Senat, Jugendämter und Frauenberatungsstellen. Patricia Kielinger arbeitet seit mehr als 20 Jahren bei BIG.

Anfangs gab es trotz Schwierigkeiten eine Aufbruchstimmung, sagt sie: „Man verstand, es gibt etwas zu tun.“ Häusliche Gewalt wurde als strukturelles Problem erkannt und eine Strategie entwickelt. BIG initiierte Präventionsprogramme, eine Hotline für Frauen wurde eingerichtet, Leitlinien und Fortbildungen für die Polizei entwickelt.

Mittlerweile treffen sich Vertreter der Polizei vier Mal im Jahr bei BIG. In jedem Einsatzwagen liegt die BIG-Broschüre mit wichtigen Informationen für Betroffene.

Von 14.526 Ermittlungsverfahren wird nur bei einem Bruchteil Anklage erhoben.
Von 14.526 Ermittlungsverfahren wird nur bei einem Bruchteil Anklage erhoben.
© Rita Böttcher, Polizei Berlin
Nur bei einem Zehntel der Fälle wird strafrechtlich gegen den Täter vorgegangen.
Nur bei einem Zehntel der Fälle wird strafrechtlich gegen den Täter vorgegangen.
© Rita Böttcher, Polizei Berlin

Die Fallzahlen sind konstant hoch, was aber auch daran liegt, dass mehr Fälle gemeldet werden. „Die Zahlen gehen erst runter, wenn die Institutionen noch besser zusammenarbeiten“, vermutet Bendix-Kaden. Und seine Erfahrung zeigt: Wenn eine Frau aus einer Gewaltbeziehung aussteigt, wurde sie oft schon lange gut beraten. „Es braucht die eigene Initiative, aber gute Beratung ist essenziell.“

Auf Gewaltexzesse folgen Entschuldigungsorgien

Im Durchschnitt dauert es sieben Jahre, die Gewaltbeziehung zu verlassen. Sehr wenige Verfahren führen zu Anklagen. „Häusliche Gewalt ist ein unglaublich dynamisches Deliktfeld“, sagt Bendix-Kaden, geprägt von Gewaltexzessen und Entschuldigungsorgien. Täter und Opfer brauchen sich gegenseitig.

Die Gründe für den Verbleib beim Partner oder der Partnerin sind vielfältig: finanzielle Abhängigkeit, gemeinsames Sorgerecht für die Kinder oder, dass dem Täter oder der Täterin die Wohnung gehört, in der beide wohnen. 

Birgit Weber lebte in der Eigentumswohnung ihres Mannes. Als ihr die räumliche Nähe zu ihrem Mann zunehmend nicht mehr geheuer war, schlief sie auf der Dachterrasse.

Als er mit einem Messer vor ihr stand und rief: „Bring mich um!“ wusste sie, dass sie zu Hause nicht mehr sicher war. Sie griff nach Rucksack, Geldbörse und Laptop und verließ augenblicklich die Wohnung. Ihr Mann verfolgte sie bis auf den Hausflur.

Nur mit den Kleidern, die sie beim Aufbruch trug, zog Weber in eine Laube, die ihr gehörte. „Ich verbot mir, hier Angst zu haben“, sagt sie heute.

Ihre Sachen brachte sie später unter Polizeischutz in einen Lagerraum. Der Umzugsunternehmer blieb gelassen, als er und seine Mitarbeiter die Plakate mit Drohungen und Schuldzuweisungen in der Wohnung sahen, die ihr Mann angebracht hatte

Mangelnde Wohnungen erschweren die Schutzsuche

Der Sommer wechselte zum Herbst und in der Laube war es kalt. Hier konnte sie nicht ewig bleiben. Sie brauchte eine Wohnung. “Damals war mein Tagwerk die Wohnungssuche”, sagt sie. Wohnen wurde zu ihrem wichtigsten Thema.

Wenn sie auf der Straße oder in öffentlichen Verkehrsmitteln Obdachlosen begegnete, fühlte sie sich ihnen nah. Sie fühlte ihre Verzweiflung, fühlte, wie es ist, wenn der Winter mit großen Schritten näherkommt. Ohne Einkommen und ohne Mietschuldenfreiheitsbescheinigung, die ihr ihr Mann nicht unterschreiben würde, hatte sie kaum Chancen auf dem Berliner Wohnungsmarkt. „Ich weiß nicht, wie viele Menschen nicht nur von Berlin aus für mich eine Wohnung gesucht haben“, sagt sie.

Gewalt im privaten Umfeld nimmt einer Person das, was ihr am wichtigsten ist: Sicherheit in den vier Wänden, in denen sie wohnt. Für ihren Schutz und häufig auch den ihrer Kinder müssen Betroffene selber sorgen. Das ist noch schwieriger ohne Wohneigentum.

In Berlin gibt es insgesamt 326 Frauenhausplätze, im bundesweiten Vergleich ist das die zweitbeste Ausstattung. Im Jahr 2017 waren die Plätze berlinweit zu 87 Prozent gefüllt. Diese Zahl sagt aber wenig über die tatsächlichen Chancen der Frauen aus, einen Platz zu bekommen.

„Unser Haus ist immer voll belegt“, sagt die Koordinatorin des Frauenhauses der Interkulturellen Initiative. Die BIG-Hotline kümmert sich um die Verteilung auf die sechs Frauenhäuser in Berlin. Doch oft müssen sie Betroffene vertrösten. Auch Weber erlebte das. „Die Frauen am Telefon wollten helfen, aber konnten keinen Platz mehr vergeben“, sagt sie. Ihr blieb die Laube.

Eine Erklärung für leere Betten ist, dass Frauen mit Kindern eigene Zimmer bekommen. Umbau- oder Renovierungsarbeiten führen auch dazu, dass nicht alle Plätze vergeben werden können. Und es dauert immer länger, bis Frauen eine Wohnung finden und ausziehen können.

Ein Wunsch: Sozialwohnungen für betroffene Frauen

Berlin hat von allen Bundesländern die zweitbeste Versorgung mit Frauenhausplätzen. Dennoch müssen viele abgewiesen werden.
Berlin hat von allen Bundesländern die zweitbeste Versorgung mit Frauenhausplätzen. Dennoch müssen viele abgewiesen werden.
© Rita Böttcher, Senatsverwaltung für Gleichstellung

„Ein Desaster“, nennt das die Koordinatorin. Die Senatsverwaltung für Gleichstellung bestätigt, dass die Verweildauer in den vergangenen Jahren gestiegen ist, weil der Wohnungsmarkt immer schwieriger wurde.

Die Stadt Berlin hat zudem 45 Zufluchtswohnungen und 46 „Zweite-Stufe-Wohnungen“. Letztere sollen Frauen, die nicht mehr akut gefährdet sind, aber noch Unterstützung benötigen, bis zur Wohnungsfindung zur Verfügung stehen.

Die Koordinatorin plädiert für mehr sozialen Wohnungsbau, speziell für Betroffene häuslicher Gewalt. Zudem hilft in Berlin die Wohnungsvermittlung „Hestia“ gewaltbetroffenen Frauen. 2017 wurden 217 Frauen mit ihren Kindern darüber in ein eigenes Mietverhältnis vermittelt.

Das Problem der mangelnden Frauenhausplätze hat auch Familienministerin Franziska Giffey (SPD) erkannt: Die Zahl soll deutschlandweit steigen, kündigte sie im November an. Noch spürt die Koordinatorin des Frauenhauses davon wenig. „Solange wir keine Wohnungen finden, bleibt es beim Alten.“

Im aktuellen Berliner Haushalt stehen laut Senatsverwaltung Mittel für 30 weitere Frauenhausplätze zur Verfügung, die 2020 realisiert werden sollen. Der weitere Ausbau werde ab 2019 geplant.

Die Narben bleiben - und geben Mut

Birgit Weber fand nach fünf Monaten eine Wohnung. Die Mühen der Freunde hatten sich gelohnt, eine Frauenberatungsstelle gab ihr Kraft weiterzumachen. Sie arbeitet wieder in ihrem alten Beruf, die Energie von früher ist zurück.

Die unsichtbaren Narben, die werden vielleicht bleiben. „Aber sie geben mir Mut zu handeln“, sagt Weber. Sie hat erfahren, wo Menschen Hilfe finden können. Ihr bleibt das Wissen um die eigene Stärke.

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