Diskussion in Berlin-Kreuzberg: Warum dürfen Bibliotheken sonntags nicht öffnen?
In ganz Deutschland bleiben Bibliotheken am siebten Tag zu – ist das noch zeitgemäß? Beim Festival am Blücherplatz wird das erneut diskutiert.
Hier kann man schon tun, was überall sonst in Deutschland verboten ist. Dabei ist es doch eigentlich ganz harmlos: Schmökern, lernen, ausleihen, plaudern oder einfach nur in Ruhe in der Ecke sitzen und Lesen. Seit gut einem Jahr ist die Amerika-Gedenkbibliothek am Kreuzberger Blücherplatz sonntags geöffnet, 11 bis 17 Uhr, dazu ein wechselndes Programm für Familien – ein Pilotprojekt, das in dieser Form einmalig ist. Bislang. Denn die Diskussion, Bibliotheken am Sonntag zu öffnen, gibt es seit Jahren, im Rahmen des Bibliotheksfestivals wird sie an diesem Wochenende wieder geführt.
Am heutigen Sonntag etwa kann man sich im Rahmen der sogenannten „Zeitbibliothek“ irgendwo hinsetzen, sich mit unbekannten Personen unterhalten. Vielleicht mit einer Lachyogalehrerin oder einer Hebamme. Oder man trifft sich zum „Shared Reading“ im großen Lesesaal, studiert gemeinsam Texte, wie in der Uni, nur eben ohne Prüfungsdruck. Derweil findet in der Kinder- und Jugendbibliothek ein Puppen-, Masken- und Schattentheater für die ganze Familie statt.
Das Sonntagsprogramm werde „super genutzt“, sagt AGB-Chef Volker Heller, „die Leute lieben das.“ Für ihn kann es keine zwei Meinungen geben und er ist damit ganz auf Linie mit dem Deutschen Bibliotheksverband: Das Sonntagsöffnungsverbot für Bibliotheken muss abgeschafft werden. Zwingend notwendig sei das, alternativlos. Bibliotheken müssten behandelt werden wie Museen, Kinos und Theater auch, wie andere Institutionen für Kultur und Bildung. Diese hätten ja auch gerade sonntags geöffnet, weil die meisten Menschen an diesem freien Tag die nötige Zeit und Muße für einen Besuch hätten. „Die Bibliothek ist ein Ort, der den Bürgern gehört“, sagt Heller. Und die sollten eben auch sonntags von ihrem Nutzungsrecht Gebrauch machen dürfen.
Seit Jahren schon versucht der Deutsche Bibliotheksverband, sich mit dieser Argumentation Gehör zu verschaffen. Bislang ohne Erfolg. Vor allen den Gewerkschaften ist das Anliegen nicht geheuer. Volker Heller nennt diese Blockadehaltung „völlig absurd“. Derzeit dürfen nur „Wissenschaftliche Präsenzbibliotheken“ am Sonntag öffnen, so steht es im Arbeitszeitgesetz – entsprechend voll ist es sonntags in den Universitätsbibliotheken. Das Gesetz ließe sich ganz einfach ändern: die zwei Worte „wissenschaftliche Präsenz“ streichen, dann könnten die Bundesländer selbst entscheiden, an welchen Tagen ihre Bibliotheken öffnen dürfen. Interesse daran gibt es in vielen Ländern, doch alle Initiativen dazu im Bundestag liefen bislang ins Leere. Im Koalitionsvertrag der rot-rot-grünen Landesregierung sind die Bibliotheken zwar als „meistgenutzte Kultureinrichtungen der Stadt“ aufgeführt, ein Vorhaben zur Veränderung der Öffnungszeiten gibt es allerdings nicht.
Wenn die AGB irgendwann regulär öffnen dürfte, hätte das jedoch einen möglichen Nebeneffekt: das Ende des beliebten Sonntagsprogramms. Das muss die AGB nämlich anbieten, um das Verbot zu umgehen; öffnen darf die Bibliothek nur für Veranstaltungen. Nicht erlaubt: Bibliothekarische Beratung und Service. Die Ausleihe funktioniert nur automatisch. Das zahlt die ZLB aus eigener Tasche, das Festival wird zwar aus Lotto-Mitteln bezahlt, die reguläre Sonntagsöffnung jedoch nicht. Doch bei dem großen Erfolg von Lachyoga und Kindertheater ist es kaum vorstellbar, dass die ZLB das zulässt.
Über die Sonntagsöffnung diskutieren am heutigen Sonntag, 16 Uhr, die Grünen-Politikerin Kirsten Kapperth-Gonther (Grüne), Eva Högl (SPD), Martin Patzelt (CDU), Barbara Lison (Deutscher Bibliotheksverband) und Verdi-Chef Frank Bsirske. Im Campus-Plenum neben der AGB, Blücherplatz 1, Kreuzberg. Das Festival öffnet heute noch von 11 bis 17 Uhr.