Ausflug aufs Land in Zeiten von Corona?: Warum die Kleinstaaterei die Berliner besonders schmerzt
So nah, und doch so fern in diesen Krisenzeiten – Brandenburg. Da werden die Maßnahmen eines kleinen Dorfes zum Problem. Ein Kommentar.
Wie wunderbar hat Kurt Tucholsky die Berliner beschrieben. „Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße“, das sei ihr Ideal. Daran hat sich in bald hundert Jahren nicht viel geändert. Berlin wächst, und damit wächst der Drang ins Freie. In diesen Tagen, Wochen und vielleicht auch noch Monaten, wenn die Krise anhält, hilft das alles nichts. Der Urlaub in Mecklenburg-Vorpommern fällt aus, in Italien oder Spanien ohnehin, Hotels geschlossen, Strände leer.
Aber auch Tucholskys Erzählung von einem zauberisch-verliebten Wochenende in „Rheinsberg“ klingt im März 2020 wie ferne Vergangenheit oder bloße Zukunftsmusik. Wegen der Corona-Gefahr haben nicht nur die Seebäder dichtgemacht, auch der Landkreis Ostprignitz-Ruppin schottet sich gegen Besucher ab. Selbst das eigene Ferienhaus soll dort für Berliner tabu sein.
Da zieht sich die Welt immer mehr zu. Berlin und Brandenburg haben zwar keine Ausgangssperren verhängt. Doch in der Realität, die das Virus bestimmt, kann man es so empfinden: Die Grenze ist die Wohnungstür. Urlaubsplanung, Familienbesuche, all das fällt zu Ostern aus. Das Treffen mit Freunden zum Spargelessen sowieso. Wer soll die weißen Stangen auf den Brandenburger Feldern stechen, wie retten die Landwirte die Ernte?
Die Sehnsucht nach dem Lande
Ganz anders als städtische Parks und Uferanlagen hat das Land eine Weite, die das Herz öffnet. „Wie alle Großstädter bewunderten sie maßlos einen einfachen Strauch, überschätzten seine Schönheit, sahen die Dinge vielleicht ebenso einseitig an wie der Bauer – nur von der andern Seite“, spottet Tucholsky liebevoll über die Sommerfrischler in „Rheinsberg“. Das heißt dann auch: Beide Seiten, Stadt und Land, gehören zusammen, menschlich, geografisch, kulturell und wirtschaftlich. In der jüngsten Debatte um Landidioten und Großstadtschlauberger sahen alle blöd aus.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke hat das Ruppiner Einreiseverbot kritisiert, der Alleingang des Landrats soll juristisch überprüft werden. Ohnehin gibt es die eindringliche Mahnung, die Hauptstadtbewohner mögen auf Ausflüge ins Umland verzichten. Das schmerzt besonders, wenn der Frühling sich ankündigt und das Coronavirus einen seltsam milden, irrealen Winter verlängert.
Klimawandel und Pandemie sind globale Phänomene. Und ja: An einem Brandenburger See, in einem Dorf mit ein paar Hundert Seelen, Pferden und Hunden kann man das alles für ein paar Stunden vergessen. Die Illusion gehört zur Erholung wie der Kontakt mit der Natur.
Nicht einfach nur eine lokale Maßnahme
Nun ließe sich die Ruppiner Abriegelung als eine unbedeutende lokale Maßnahme abtun. Das Landratsamt will seine Dörfer schützen, verständlich. Die Ostprignitz schien die letzte Option für Urlauber zu sein. Die Grenzen in der Europäischen Union sind dicht. Da wird die Sache zu einem großen politischen Problem, da zeigt sich der nicht nur in Deutschland verbreitete Hang zur Klein- und Kleinststaaterei.
Die Brandenburger Landkreise sind sich nicht einig, wie sie mit ihren Berlinern umgehen sollen. Das Beispiel dafür liefert die EU in Brüssel und die Konferenz der deutschen Landesväter und -mütter: Die große Familie ist zerstritten. So wie die Menschen im Moment viel Solidarität üben – das Virus kann auch Gemeinschaft zersetzen.
Ohne das eine ist das andere nichts
Und wenn das Schule macht? Stehen an den Autobahnabfahrten Streifenwagen und halten Fahrzeuge mit Berliner Kennzeichen an, die ins Grüne entkommen wollen? Werden im Gegenzug Autos aus MOL, LDS oder UM aus der Bundeshauptstadt verbannt? Es könnte nötig sein.
Wenn der Corona-Sturm kommt, vor dem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn warnt. Aber dann muss eine so radikale Einschränkung der Freizügigkeit begründet, koordiniert und gerechtfertigt sein. Auch wenn es immer noch zwei übrigens recht arme Bundesländer sind: Brandenburg ist nichts ohne Berlin, und Berlin ist nichts ohne Brandenburg.