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Ende März dieses Jahres zählt Berlin 3.669.098 Einwohner.
© Christoph Soeder/dpa

Neue Berechnungen: Warum Berlins Bevölkerungszahl plötzlich stagniert

Seit Jahren nahm die Zahl der Einwohner in Berlin pro Jahr um rund ein Prozent zu – bis jetzt.

Das seit Jahren anhaltende Bevölkerungswachstum der Hauptstadt gerät ins Stocken: Nur 61 Einwohner mehr zählt Berlin im ersten Quartal dieses Jahres – ein überraschend niedriger Zuwachs. Das zeigen neue Daten des Landesamt für Statistik. Während in den vergangenen Jahren die Zuzüge im ersten Quartal jeweils im Tausenderbereich lagen, zog es Anfang 2020 deutlich weniger Menschen in die Hauptstadt. Im Vorjahreszeitraum lag der Zuzugsüberschuss bei 9270 Menschen, im ersten Quartal 2018 bei 7199.

Seit Jahren nahm die Zahl der Einwohner in Berlin pro Jahr um rund ein Prozent zu. Nur in diesem Jahr stagniert das Wachstum bisher. Während es noch mehr Männer nach Berlin zog (+91), verließen Frauen dagegen in der Summe sogar die Stadt (-30).

Die Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum von Januar bis März dieses Jahres und schließen damit schon die beginnende Coronakrise mit ein. Ende März 2020 zählte Berlin 3.669.098 Einwohner, ein Jahr zuvor waren es 3.652.885.

Vor allem für Zuzügler aus dem Ausland (+2581) oder anderen Bundesländern (+795) war Berlin zu Beginn des Jahres weiter attraktiv. Ersteres lässt sich auch anhand der Staatsangehörigkeit erkennen: Anfang des Jahres zog es 3632 Ausländer mehr nach Berlin als umgekehrt, allerdings ist auch hier ein deutlicher Rückgang um 64 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal (10.098) zu beobachten.

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Deutsche Staatsbürger verlassen dagegen zunehmend Berlin. Im ersten Quartal dieses Jahres verzeichnet die Hauptstadt ein Minus von 3571 deutschen Einwohnern. Im Vorjahresquartal waren es dagegen nur 828 Einwohner mit deutschem Pass weniger.

Wohin zieht es die Berliner? Viele wohnen nun etwas außerhalb: Brandenburg zählte im ersten Quartal dieses Jahres 3315 mehr Zuzügler als Abwanderer. Damit kehrten deutlich mehr Berliner der Hauptstadt den Rücken als Brandenburger nach Berlin zogen.

Die meisten siedelten sich im Berliner Umland (+2419) an. Auch hier ist die Tendenz steigend: Im Jahr 2019 zogen 34.465 Berliner nach Brandenburg – also doppelt so viele wie in die andere Richtung. Gerade Menschen zwischen 30 und 45 Jahren zieht es raus ins benachbarte Bundesland.

Das geringe Plus bringt der Stadt ein wenig Atempause auf dem Wohnungsmarkt und für die überforderten Bildungseinrichtungen. Die ohnehin belasteten Verkehrswege müssen dagegen noch mehr Berufspendler verkraften. Denn Berlins Bevölkerung wächst auch deshalb nicht, weil vor allem junge Familien mangels Wohnraum nach Brandenburg ziehen.

Tausende Haushalte mehr zogen ins Umland als von dort in die Stadt, und da viele weiterhin in Berlin arbeiten, ist mit zusätzlichen Staus auf den Ausfallstraßen und einer stärkeren Belastung von Bussen und Bahnen zu rechnen, sollte sich die Entwicklung verstetigen.

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Den Senat trifft die Nachricht nicht unvorbereitet: Bereits vor Monaten hatte Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) in einer Bestandsaufnahme zu Finanzen, Bevölkerungsentwicklung und kommunalen Wohnungsbau ein Abknicken der Wachstumskurse infolge der Grenzschließungen während der Coronakrise für wahrscheinlich erklärt.

Mit einer dauerhaften Entlastung rechnet er allerdings nicht – im Gegenteil. Wegen des Einbruchs der Wirtschaft, der andere europäische Länder mutmaßlich härter treffen werde als Deutschland, sei im Gegenteil mit einer neuen Wanderungswelle innerhalb Europas nach Deutschland – auch nach Berlin – zu rechnen.

Daher geht der Senat vorerst weiter mit einem kräftigen Zuwachs der Bevölkerungszahl bis zum Jahr 2030 aus. Knapp vier Millionen Einwohner wird die Hauptstadt nach dem „mittleren Szenario“ der Fachleute in rund zehn Jahren zählen.

Mit dem seit Jahren anhaltenden Wachstum der Bevölkerungszahl kann der Wohnungsbau in der Stadt nicht mithalten. Je nach Schätzungen fehlt es in Berlin akut an 60.000 bis 100.000 Wohnungen. Zwar sind viele neue Wohnungen genehmigt und Siedlungsvorhaben auf den Weg gebracht. Doch fertig gestellt werden diese erst in vielen Jahren. Hinzu kommt, dass in vielen Fällen noch der Ausbau der Verkehrswege nicht oder nicht abschließend geklärt ist.

Auch der Bau von Schulen und Kitas geht nicht zügig genug voran. Im Senat wird nach dem Rücktritt der zuständigen Senatorin Katrin Lompscher (Linke) deshalb verstärkt nach einer ressortübergreifenden Generalplanung und Steuerung der Entwicklung Berlins gerufen sowie nach einem umfassenden Bauprogramm. Bis dahin werden wohl noch viele junge Familien im Umland einen neuen Lebensmittelpunkt suchen.

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