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Ein Schießstand der Berliner Polizei.
© Rainer Jensen/dpa
Update

Nach Schüssen auf Flüchtling in Berlin: Wann dürfen Polizisten töten?

Juristisch gesehen handelten die Polizisten an der Flüchtlingsunterkunft in Moabit als "Nothelfer". Doch wer auf Menschen schießt, muss sich innerhalb enger gesetzlicher Grenzen bewegen.

Von Ronja Ringelstein

Viele Fragen sind noch offen rund um das Geschehen, das sich am Dienstagabend in einer Flüchtlingsunterkunft in der Kruppstraße in Moabit zugetragen hat. Fest steht, dass am Ende ein 29-Jähriger durch Schüsse der Polizei starb. Nach der Darstellung der Polizei war der Mann der Angreifer, soll mit einem Messer auf einen 27-Jährigen, schon durch die Polizei in Gewahrsam Genommenen, losgerannt sein. Die Beamten handelten, um den Mann zu schützen, der bereits im Polizeiauto gesessen habe.

Juristisch nennt man diese Konstellation "Nothilfe" - die Beamten handelten, um von einem anderen die Lebensgefahr abzuwenden. Immer wieder enden Schüsse der Polizei für den Angreifer tödlich - der schießende Polizist tötet zwar, was natürlich auch in dem Fall eine Straftat darstellt, aber er gilt als gerechtfertigt.

Der Fall

Wie die Polizei mitteilte, wurden die Polizeibeamten zu der Flüchtlingsunterkunft gerufen, da ein Bewohner der Unterkunft ein Kind sexuell missbraucht haben soll. Ein 27-Jähriger, gegen den der Verdacht des sexuellen Missbrauchs besteht, wurde vorläufig festgenommen und in ein Polizeifahrzeug gebracht. Als er im Einsatzwagen saß, stürmte der 29-Jährige mit einem Messer in der Hand aus der Unterkunft auf den Mann im Fahrzeug zu. "Er ignorierte mehrmalige Aufforderungen stehenzubleiben, woraufhin mehrere Polizisten auf den Angreifer schossen", so heißt es in der Polizeimeldung. Der 29-Jährige erlag im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen. Wie bei Schusswaffengebräuchen üblich, hat eine Mordkommission die Ermittlungen übernommen.

Der genaue Hergang des Vorfalls sowie der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs eines sechsjährigen Mädchens, die vermutlich die Tochter des Getöteten ist, sind Gegenstand der Ermittlungen, die von der 2. Mordkommission und einem Fachkommissariat für Sexualdelikte des Landeskriminalamtes geführt werden.

Die Gewerkschaft der Polizei Berlin betonte am Mittwochmorgen, dass es sich im vorliegenden Fall um eine "akute Gefahr, in der sekundenschnell gehandelt werden musste" gehandelt habe. "Man sollte sehr vorsichtig sein, diesen traurigen Fall dafür zu missbrauchen, Anschuldigungen gegen die Kollegen zu erheben und eine Debatte um den Schusswaffengebrauch der Polizei anzustoßen. Sie befanden sich in einer Lage, in der sie in Sekundenschnelle eine Entscheidung treffen mussten. Es bestand akute Gefahr für ihr Leben und das des Festgenommenen. Wir reden hier darüber, dass ein Mann mit Messer auf andere Menschen zustürmte und keinen Zweifel daran ließ, dieses benutzen zu wollen“, sagte die GdP-Landesvorsitzende Kerstin Philipp am Mittwochmittag.

Die "Nothilfe"

Die Polizisten haben auf den den 29-Jährigen offenbar geschossen, um dessen Angriff auf den 27-Jährigen abzuwehren. Im Strafrecht spricht man bei dieser Konstellation von einer „Nothilfe“. Die ist im Strafgesetzbuch geregelt und stellt einen sogenannten Rechtfertigungsgrund einer Straftat dar. Sie erlaubt jedem einen anderen vor einem „gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff“ zu verteidigen – das darf nicht nur die Polizei.

So wie jedermann das Recht hat, sich selbst in Notwehr zu verteidigen, darf man auch anderen helfen. Dabei dürfen allerdings gewisse Grenzen nicht überschritten werden. Man muss dabei nämlich zum mildesten aller Mittel greifen, die zur Auswahl stehen, um diesen Angriff abzuwehren. Ein Schuss, der zum Tod führt, kann das „mildeste Mittel“ sein, wenn man mit jedem anderen Verhalten riskieren würde, dass der Angreifer trotzdem Erfolg hat.

Obwohl häufig so argumentiert wird, weist Clemens Arzt, Rechtswissenschaftler der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin daraufhin: "Die Nothilfe als Jedermannsrecht ist aber nach herrschender Meinung keine Eingriffsbefugnis für die Polizei, diese kann nur nach den Begrenzungen des polizeilichen Zwangsrechtes zur Schusswaffe greifen."

Die Anforderungen

Grundsätzlich sind an den Einsatz von Schusswaffen durch Polizisten aber immer besonders hohe Anforderungen geknüpft – auch, wenn der Angreifer in diesem Fall ein Messer hatte, waren ihm die Polizisten mit ihren Schusswaffen überlegen. Die Polizeibeamten müssen nach Gesetz den Schusswaffeneinsatz zunächst androhen, was auch durch einen Warnschuss möglich ist und danach zunächst in weniger gefährliche Körperbereiche, wie Arme oder Beine schießen. Das regelt das Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwangs. Das Recht auf Notwehr bleibt davon aber unberührt. Erst als Ultima Ratio ist ein gezielter Schuss abzugeben.

Praktisch fehlt für dieses Stufenverfahren oft die Zeit. Dann kann eben doch gleich der gezielte Schuss gerechtfertigt sein. Die Polizeipressestelle hat bislang noch nicht bekanntgegeben, wie viele Polizisten schossen und wo das Opfer getroffen wurde.

Der "finale Rettungsschuss"

Bei Polizisten, die einen Menschen töten, kann es sich auch um den sogenannten „finalen Rettungsschuss“ handeln. Dies ist der gezielte Todesschuss von Polizeibeamten, allerdings als hoheitliche, also staatliche, Befugnis. Die Situationen, in denen es zum finalen Rettungsschuss kommt gestalten sich in der Regel anders als die Situation in der Moabiter Flüchtlingsunterkunft. Es geht dabei typischerweise zum Beispiel um die gezielte Tötung des Geiselnehmers durch einen Scharfschützen.

Die Rettung im Affekt, wie sich der Fall im Flüchtlingsheim nach derzeitigem Kenntnisstand darstellt, hat mit dem finalen Rettungsschuss weniger zu tun. 13 von 16 Bundesländer haben die Befugnis für Polizisten zum gezielten Töten in bestimmten Situationen in ihre Gesetze aufgenommen – in Berlin fehlt eine solche Regelung bislang. Doch auch hier ist der "finale Rettungsschuss" möglich - es wird wiederum über die Regelung der Nothilfe gelöst. Allerdings: "Der finale Rettungsschuss ist ohne gesetzliche Grundlage nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar, das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte so entschieden", sagt Rechtswissenschaftler Clemens Arzt.

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