zum Hauptinhalt
Der Journalist Günter Wallraff (Archivbild)
© Henning Kaiser/dpa
Exklusiv

Nach Undercover-Recherche: Wallraff ist das kleinere Problem für Vivantes

Eine Wallraff-Recherche hat die Vivantes-Kliniken in Verlegenheit gebracht. Doch viel größer sind die finanziellen Schwierigkeiten des Berlin-eigenen Konzerns.

Die Berliner Vivantes-Kliniken stehen in diesen Tagen nicht nur wegen RTL unter Druck. Das Team um den Journalisten Günter Wallraff hatte dem Landesunternehmen in einer RTL-Sendung am Montagabend massive Versäumnisse in seinen Psychiatrien vorgeworfen. Unabhängig davon haben in den vergangenen Wochen aber drei Spitzenmanager den Konzern verlassen. Das wird intern als erhebliches Problem eingestuft, denn Vivantes steht vor großen betriebsinternen Veränderungen.

In der Sendung „Team Wallraff – Reporter undercover“ ging es um die Lage in deutschen Psychiatrien; dazu hatte sich ein Wallraff-Mitarbeiter als Praktikant getarnt auch in der Akutstation der Vivantes-Klinik Spandau einsetzen lassen. Mit versteckter Kamera filmte der Reporter beispielsweise, dass einem Patienten ein Medikament, dass er sich zu nehmen weigerte, ins Essen gemischt wurde. 

Die Beschäftigten hätten hohe Ansprüche, so sein Fazit, seien zuweilen aber resigniert. Eine anonyme Vivantes-Mitarbeiterin berichtete, dass ein Mediziner derzeit für bis zu 60 Patienten zuständig sei – das sind deutlich mehr Fälle als in früheren Jahren. Die RTL-Sendung, die auch aus anderen Kliniken berichtete, sahen 2,74 Millionen Zuschauer.

Vivantes-Betriebsrat: RTL zeigt Probleme – aber nicht die Ursachen

Gesundheitsstaatssekretär Martin Matz (SPD) sagte dem Tagesspiegel: „Wir erwarten, dass Menschen mit psychiatrischen Problemen, menschenwürdig versorgt werden. Wir fordern von Vivantes eine Aufklärung der in dem Fernsehbeitrag erhobenen Vorwürfe.“ Der Vivantes-Vorstand erklärte am Dienstag, die Situation stelle sich „bei genauerer Betrachtung zum Teil völlig anders dar, als in der skandalisierenden Berichterstattung von RTL suggeriert wird“. 

Leider habe „Team Wallraff“ versäumt, die vorgeführten Mitarbeiter und Patienten um Einverständnis zu fragen, es fehlten auch nachträgliche Erklärungen, die es erlauben würden, sich „ohne Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht“ zu den Vorgänge öffentlich zu äußern. Vivantes-Betriebsratschef Giovanni Ammirabile sagte dem Tagesspiegel: „Die Sendung hat tatsächlich massive Probleme aufgezeigt, allerdings versäumte es RTL, die Ursachen dafür angemessen anzusprechen.“ 

So sei Fachwelt und Politik bekannt, wie knapp gerade kommunale Kliniken finanziert seien. Das Geld der Krankenkassen reiche ohnehin kaum und das für Gebäude und Technik zuständige Land zahle nötige Investitionen nur zögerlich.

Nach Tagesspiegel-Informationen hat Vivantes im vergangenen Jahr circa 16 Millionen Euro Plus gemacht – etwas mehr als im Vorjahr; aber gegenüber rund 1,3 Milliarden Euro Jahresumsatz quasi eine schwarze Null. Zudem werden massiven Ausgaben nötig. 

Das Vivantes-Krankenhaus Neukölln, eines der größten der Region und zudem erste Rettungsstelle für den künftigen Großflughafen BER, muss modernisiert werden. Weil die Baukosten steigen, hat Vivantes den Senat kürzlich dafür um 100 Millionen Euro zusätzlich gebeten. Dazu kommt, dass die Beschäftigten der Vivantes-Tochterfirmen wie die Stammbelegschaft nach dem Tarif des öffentlichen Dienstes bezahlt werden wollen. Dies würde Vivantes bis zu 30 Millionen Euro mehr im Jahr kosten.

In Berlin gibt es derzeit 2990 Psychiatrie-Plätze, circa 1000 davon in den Vivantes-Kliniken. Psychiatrie-Betten in der Hauptstadt sind zu mehr als 95 Prozent dauerhaft belegt, in der Fachwelt gelten 80, maximal 85 Prozent als akzeptable Höchstgrenze.

Zur Startseite