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Berlin: Wahnsinnig gefährlich

Die Droge Crystal ruft extreme Paranoia hervor; in Südbrandenburg sind immer mehr Menschen davon abhängig. Der Stoff kommt angeblich aus Tschechien.

Cottbus - Der Anruf kam kurz nach Mitternacht über den Polizeinotruf: „Bitte helfen Sie mir, ich werde verfolgt“. Auf die Nachfrage, wer ihn verfolge, sagte der panisch klingende Anrufer: „So schwarze Gestalten, ich glaube, das sind Teufel.“ Die Polizisten sahen sich skeptisch an. „Crystal“ sagte dann einer von ihnen: „Wetten, dass es wieder Crystal ist.“

Crystal, oft auch Crystal Meth genannt, ist ein Methamphetamin, das extrem schnell abhängig macht und schon nach kurzer Zeit psychische und physische Schäden hervorruft. Die Droge wurde ursprünglich unter dem Markennamen Pervitin von Soldaten zur Dämpfung des Angstgefühls sowie zur Leistungssteigerung eingesetzt. So orderten deutsche Wehrmacht und Luftwaffe im 2. Weltkrieg millionenfach Pervitin-Tabletten, die Soldaten sprachen von „Panzerschokolade“ oder „Hermann-Göring-Pillen“.

Tennis-Legende Andre Agassi gab vor einigen Jahren zu, bis 1997 mehrfach zu Crystal Meth gegriffen zu haben. Das Methamphetamin unterdrücke Müdigkeit, Hunger und Schmerz und verleihe kurzzeitig Selbstvertrauen und ein Gefühl der Stärke, berichten Sozialarbeiter und Suchtberater von Lauchhammer bis Lübben. Erkauft werde dies allerdings mit verheerenden Nebenwirkungen bis hin zu Psychosen und Paranoia.

„Ich schätze die Zahl der Crystal-Konsumenten allein in Südbrandenburg auf mehrere zehntausend“, sagt der Leitende Cottbuser Oberstaatsanwalt Bernhard Brocher: „Und sie nimmt weiter zu.“

Brocher befürchtet, dass bislang nur die Spitze des Eisbergs sichtbar ist, sprich: die besonders extremen Fälle. „Die meisten Crystal-Konsumenten kommen tatsächlich erst zu uns, wenn sie unter Wahnvorstellungen leiden“, sagt Susan Sänger von der Cottbuser Drogenberatung: „Sie hören Stimmen, sehen Teufel, trauen sich nicht mehr auf die Straße, weil sie angeblich von allen angestarrt oder gar verfolgt werden.“ Neun Menschen mit solchen extremen Symptomen saßen 2011 in ihrer Beratung . In diesem Jahr könnten es doppelt so viele werden.

Hergestellt wird die Droge angeblich in tschechischen Labors. Das Problem ist zwar schon länger bekannt, aber seit Anfang 2010 die Drogen-Gesetze in Tschechien liberalisiert wurden, registrieren Polizei und Zoll im benachbarten Bayern und Sachsen einen drastischen Anstieg des Rauschgiftschmuggels. Im Grenzgebiet stieg die Zahl der aufgegriffenen Drogenschmuggler um 350 Prozent.

Auf den Besitz eines Gramms Crystal stehen in Deutschland bis zu drei Jahre Gefängnis  – in Tschechien ist der Besitz von bis zu zwei Gramm nicht einmal strafbar. Nach Angaben des Hauptzollamtes Dresden kostet das Gramm derzeit in Tschechien 20 bis 30 Euro, in Deutschland dagegen 80 Euro – mit dieser Gewinnspanne lässt sich gut verdienen. Und so schwappt die Droge seit einigen Jahren auch ins südliche Brandenburg. „Es fällt auf, dass die meisten Dealer, die wir erwischen, irgendeinen Bezug ins Sächsische haben“, sagt Oberstaatsanwalt Brocher: „Allerdings sind das immer nur kleine Zwischenhändler. Die erzählen uns mal irgendetwas von vietnamesischen Händlern auf tschechischen Märkten, aber nichts Konkretes. An die Hintermänner kommen wir nicht ran.“

Die Hintermänner sind nach Brochers Überzeugung vor allem bei den Hells Angels zu finden. „Die Rocker sind mit Abstand am besten organisiert und haben gute Kontakte in die Türsteherszene. Sie müssen sich die Hände auch nicht mehr selbst schmutzig machen“, sagt er. Und wenn doch einmal Hells Angels im Zusammenhang mit illegalen Drogen gefasst würden, seien die angeblich immer gerade aus dem jeweiligen Chapter ausgetreten.

Während Crystal in Berlin laut Polizei und Drogenberatern kaum ein Thema ist, steht es in Südbrandenburg nach Cannabis an zweiter Stelle der am meisten konsumierten illegalen Drogen – weit vor Heroin oder Ecstasy. Schwerpunkte sind Städte wie Finsterwalde, Elsterwerda, Senftenberg oder Cottbus. Suchtberater haben das Problem erkannt, sind aber relativ machtlos. „Die klassische Karriere beginnt nach Angaben jener Konsumenten, die zur Beratung kommen, eher zufällig“, sagt Beraterin Sänger: „Angeblich hat man Crystal nur mal versucht, weil gerade nichts anderes da war.“

Die meisten ziehen das Methamphetamin durch die Nase, manche erhitzen und atmen es ein, meist reichen schon einige wenige Male aus, um abhängig zu werden. Oft wird es auch gestreckt oder entfaltet in Kombination mit anderen Drogen nicht kalkulierbare Reaktionen.

Bei nachlassender Wirkung erleben die Abhängigen häufig einen solchen Absturz, dass sie immer mehr und mehr brauchen, sagt Susan Sänger. Dabei ginge es nicht wie bei Ecstasy darum, möglichst viel Spaß zu haben. Crystal werde in allen Gesellschaftsschichten konsumiert – oft auch, um den Leistungsdruck im Job auszuhalten. So habe ein 25-jähriger Altenpfleger Crystal genommen, um die harten Schichten und die Zustände in dem Pflegeheim, in dem er arbeitete, zu ertragen. Richtig gefährlich könne es für Bauarbeiter oder Kranfahrer werden – besonders wenn sie in dem Stadium seien, wo sie halluzinierten.

Irgendwann gingen die Stimmen dann gar nicht mehr weg, berichten viele Konsumenten, die spätestens dann einen Entzug versuchen, der aber oft scheitert. Dann gingen die Abhängigen in ihren Wahnvorstellungen manchmal auch auf Verwandte los. Oder sie rufen die Polizei und werden wütend, wenn die Beamten die Teufel nicht sehen, die doch direkt neben ihnen stehen.

Sandra Dassler

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