Stephan Kramer: Vorwurf Antisemitismus: Polizei ermittelt
Am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur ist am Mittwoch der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, nach eigenen Angaben am Olivaer Platz in Charlottenburg bedroht worden.
Kramer sagt, der mutmaßliche Täter habe sich offenbar von einem Gebetsbuch, das er sichtbar bei sich trug, provoziert gefühlt. Doch auch der Beschuldigte erstattete gegen Kramer Anzeige wegen Bedrohung. Laut Polizei „gibt es viele offene Fragen“. Das gilt auch für einen weiteren Fall. Eine Frau aus Dahlem zeigte am Mittwoch einen Taxifahrer an, der sich nach ihrer Angabe weigerte, sie zur Synagoge zu fahren.
Stephan Kramer (44) war nach eigener Darstellung um 18 Uhr mit seinen Kindern auf dem Rückweg von der Synagoge. Der von ihm beschuldigte 30-jährige Mann habe ihn aufgefordert, dahin zurückzugehen, wo er herkomme. Er habe ihn beschimpft und Gewalt angedroht. „Um ihn abzuschrecken“, zeigte ihm Kramer daraufhin seine Waffe, die er als „gefährdete Person“ und Sicherheitsbeauftragter des Zentralrats der Juden tragen darf.
Paragraf 19 des Waffengesetzes regelt, wer als „besonders gefährdete Person“ eine Schusswaffe bei sich tragen darf. Die Person muss „wesentlich mehr als die Allgemeinheit durch Angriffe auf Leib oder Leben gefährdet sein“. Ob dies zutrifft, wird laut Polizei „streng überprüft und in festen zeitlichen Abständen erneut kontrolliert.“ In Berlin gebe es zur Zeit „nur eine Handvoll solcher gefährdeten Personen“, heißt es. Nach eigener Angabe trägt Kramer die Waffe bereits seit acht Jahren. Er habe die Pistole nicht angefasst, sondern nur die Jacke beiseite geschoben, um zu verhindern, dass die Situation eskaliere. Die Polizei ermittelt nun wegen „wechselseitiger Bedrohung.“ Einen fremdenfeindlichen Hintergrund des Streits wollte ihr Sprecher nicht bestätigen.
Der Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) verurteilte den Zwischenfall scharf. „Drohungen auf offener Straße gegen jüdische Bürgerinnen und Bürger sind unerträglich und absolut nicht akzeptabel“, sagte Wowereit.
Jom Kippur ist der Tag der Versöhnung, Reue und Buße. Die Gläubigen tragen weiße Gewänder und Kopfbedeckungen. Diese weiße Kleidung trug auch Esther Dobrin als ihr Mann ihr um 11 Uhr in Dahlem ein Taxi rief. Sie wollte mit ihrer 11-jährigen Tochter, ihrer 19-jährigen Nichte und deren nicht-jüdischem Freund zur Synagoge an der Pestalozzistraße in Charlottenburg. Doch der Taxifahrer, der 53-jährigen Christian G., habe sich geweigert, sie zu fahren. Dobrin gibt an, die Stimmung habe sich geändert, nachdem sie gesagt habe, sie wolle zur Synagoge. Der Fahrer habe sie aus dem Fahrzeug geworfen. „Am besten ist es, sie nehmen sich einen anderen Fahrer“, habe er gesagt. „So ein Unsinn“, entgegnet Christian G. Seit 31 Jahren fährt der 53-Jährige in Berlin Taxi. Das Wort Synagoge sei erst gefallen, als die Fahrgäste bereits ausgestiegen seien. Er habe nur wissen wollen, zu welcher Seite der Pestalozzistraße er fahren solle, die sei schließlich lang. Die Fahrt sei „in beiderseitigem Einverständnis“ beendet worden.
Dobrin erstattete Strafanzeige, die Prüfung könne einige Tage dauern, sagte ein Polizeisprecher. Da Christian G. nicht handgreiflich geworden sei und die Familie im Taxi nicht offen beleidigt habe, sei zweifelhaft, ob der Vorfall strafrechtlich relevant sei. Der Fahrer könnte jedoch wegen der Verletzung der Beförderungspflicht seine Konzession verlieren.
Erst am 28. August wurde der Rabbiner Daniel Alter im Beisein seiner sechsjährigen Tochter in Friedenau von zwei mutmaßlich arabischstämmigen Jugendlichen beleidigt und geschlagen. Wenige Tage später demonstrierten mehr als 1500 Menschen in der Nähe des Tatortes gegen Antisemitismus. Knapp eine Woche darauf wurden 13 Schülerinnen der jüdisch-orthodoxen Traditionsschule in Charlottenburg von vier 15- bis 16-jährigen Schülerinnen beleidigt.
Wie viele antisemitische Übergriffe es in diesem Jahr schon gab, weist die Polizeistatistik noch nicht aus. 2011wurden 126 Taten erfasst, drei Mal kam es zu Gewalt, ansonsten handelte es sich um Beleidigungen oder Schmierereien. Laut Polizei verübten Rechtsextremisten 113 und Täter mit muslimischem Hintergrund 10 Taten. 2010 gab es 148 antisemitische Übergriffe. Innensenator Frank Henkel (CDU) und Bischof Markus Dröge wollen an diesem Freitag für den interreligiösen Dialog werben. Zusammen mit Alter und Vertretern der Muslime und der Baha'i ist ein Treffen mit Jugendlichen verschiedener Glaubensgemeinschaften am Brandenburger Tor geplant.
Anke Myrrhe, Christoph Stollowsky
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