Berlin: Von Tisch zu Tisch: Rutz
Manchmal dauert es ein wenig länger, bis die richtigen Dinge zusammenkommen. Besonders in der Gastronomie, ganz besonders in Berlin, und ganzganz besonders in der Berliner Gastronomie.
Manchmal dauert es ein wenig länger, bis die richtigen Dinge zusammenkommen. Besonders in der Gastronomie, ganz besonders in Berlin, und ganzganz besonders in der Berliner Gastronomie. Also ist es Aufgabe des Kritikers, Laut zu geben, wenn er meint, dass sich etwas zusammengefügt hat und für die nächsten Jahre kulinarisches Vergnügen verspricht. In diesem Fall geht es um die Zusammenarbeit von Lars Rutz, dem ehrgeizigen Sommelier aus dem "Harlekin" und Ralf Zacherl, dem ebenso ehrgeizigen Küchenchef aus dem "Stil", der am Absturz dieses Restaurants sicher am wenigsten Schuld trug.
Eine große Sache, von außen ganz bescheiden untergebracht in einem modernisierten Haus am Oranienburger Tor. Man muss schon sehr genau hinsehen, um die gewaltige Phalanx von tausend Weinflaschen zu erkennen, die im Schaufenster über- und nebeneinander aufgestapelt sind. Unten ist die Bar nebst Bistro mit Weinverkauf, oben das eigentliche Restaurant, angenehm karg ausgestattet (und noch von gewissen Lüftungsproblemen beeinträchtigt). Die Weinkarte enthält angeblich 1001 Flasche; ich habe keinen Grund, dieser Zahlenangabe zu misstrauen, konnte sie aber auch nicht überprüfen. Auf jeden Fall ist die ganze Welt mit vielen Jahrgängen enthalten, sehr viele deutsche Winzer, Österreich, Italien, Frankreich und der Rest der Welt mit einer besonders verlockenden Auswahl nordamerikanischer Raritäten weit jenseits der allgegenwärtigen Mondavi-Buddeln, die es demnächst wahrscheinlich auch an der Tankstelle gibt.
Das Preiskonzept - Straßenpreis plus 29 Mark Korkgeld - klingt attraktiver, als es dann tatsächlich ist, denn der Straßenpreis enthält allerlei undurchsichtige Zugaben, die ihn in vielen Fällen vom üblichen Einkaufspreis ein ganzes Stück abheben. Dennoch gibt es im Ergebnis einfache Weine recht günstig, gehobene Weine sehr günstig, aber Petrus und Konsorten kosten natürlich auch hier vierstellige Summen. Man achte im Zwiegespräch mit dem Chef auf Raritäten - kann sein, dass er beispielsweise eine herrlich gereifte 88er Zeltinger Sonnenuhr von J. J. Prüm aus dem Ärmel zaubert. Wunderbar!
Ralf Zacherl in der Küche arbeitet einen halben Gang unter dem teuren "Stil"-Niveau. Es gibt auch relativ simple Nudelgerichte, das Vier-Gang-Menü kostet günstige 79 Mark, der Hauptgang nicht mehr als 39, und niemand wird scheel angesehen, der es mit einem Gang bewenden lässt. Das wäre allerdings schade, denn alles schmeckt prima. Seeteufel, schön saftig, mit dreierlei Paprika in Balsamico; Perlhuhnflügel, mit Scampi gefüllt, auf Spargelsalat; gebratene Gänseleber, schön fest, mit Orangen, Lauch und einem Hauch Vanille; Heilbutt auf Bärlauch-Taglierini: Lammvariationen mit Zunge, Rücken und geschmorter Schulter und schließlich runde Desserts wie Rhabarber mit Quarkspatzen oder Erdbeergratin mit verblüffendem Sauerampfersorbet - die Aufzählung zeigt den Stil, ist darüberhinaus aber eigentlich müßig, weil hier der Wandel Programm ist. Generell war alles, was wir kosteten, modern komponiert, ohne exotisch zu wirken und berücksichtigte Produkte, die auf Luxus-Niveau unverdient selten sind. Lecker, falls Sie verstehen, was ich meine.
Das alles ist für den weinkundigen Gast freilich schwer auszurechnen, und deshalb gehört es sich eigentlich, die riesige Weinkarte durchzublättern und dann zuzuklappen, um alles Weitere dem kundigen Chef zu überlassen - eine bessere Abstimmung von Küche und Wein als hier ist kaum vorstellbar, Experimente eingeschlossen. Insgesamt ist hier an einer historisch bedeutenden, aber nicht unbedingt szenegeprägten Ecke der Innenstadt ein Restaurant entstanden, wie wir es in anderen Weltstädten immer neidisch bestaunt haben. Da ist es nun, und wir sollten es nutzen.
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