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Der Tower auf dem Flugfeld Rangsdorf ist zur Ruine verkommen. Seit dem Abzug der russischen Armee 1994 verfällt das Gelände.
© Claus-Dieter Steyer

70 Jahre Hitler-Attentat: Von Rangsdorf zur Wolfsschanze

Vom Flugplatz Rangsdorf starteten Graf von Stauffenberg und sein Adjutant am 20. Juli 1944, um das Attentat auf Hitler zu verüben. Heute verfällt der historische Ort. Eine Spurensuche.

Etwas gutgläubig drückt die Radfahrerin die Türklinke am großen Tor zum Flugplatzgelände in Rangsdorf. „War doch klar, dass hier geschlossen ist“, ruft ihr Begleiter aus gut zehn Meter Entfernung. „Wir müssen irgendwo ein Loch finden. Dürfte doch nicht schwer sein.“ Sie setzen sich wieder auf die Räder und wollen den geschichtsträchtigen Ort vor der südlichen Berliner Stadtgrenze umkurven. „Wir haben schon einige Neugierige getroffen“, erzählt die Frau mittleren Alters. „Die sind ja alle ganz heiß nach dem Film im Fernsehen. Der Tower machte in den Aufnahmen ja noch einen ganz passablen Eindruck.“ Sie seien vor einigen Jahren aus Berlin nach Rangsdorf gezogen, vor allem wegen des Sees. Aber die Rolle ihres neuen Heimatortes beim Attentat auf Hitler sei ihnen überhaupt nicht bekannt gewesen.

Tatsächlich fällt die Suche nach Spuren von Claus Schenk Graf von Stauffenberg in dem beschaulichen Ort und erst recht auf dem Flugplatz nicht leicht. Zwar stehen am Straßenrand einige Infotafeln mit dem Straßenplan, historischen Fotos und einigen Sätzen aus der Chronik. Doch Stauffenberg taucht hier nur mit einem Satz und erst hinter Heinz Rühmann, Beate Uhse und Elly Beinhorn auf, die einst zu den vielen Prominenten auf dem Flugplatz gehört hatten. „Vom Rangsdorfer Flughafen aus startete Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944 in Richtung Wolfsschanze, um das Attentat auf Hitler zu verüben“, heißt es auf der Tafel.

Trotz der Kürze dürfte dieser Satz eine wichtige Information für all jene Zeitgenossen enthalten, die ihr Geschichtswissen aus Hollywoodfilmen speisen. In der vor einigen Jahren in Berlin und Brandenburg gedrehten Produktion „Operation Walküre“ mit Tom Cruise in der Hauptrolle startet Stauffenberg nämlich in Tempelhof. Rangsdorf kommt da gar nicht vor. Ebenso falsch ist die Auswahl des Flugzeuges gewesen. Stauffenberg war in den frühen Morgenstunden des 20. Juli mit seinem Adjutanten Oberleutnant Werner von Haeften in einer Heinkel-Maschine He 111 zu Hitlers Hauptquartier Wolfsschanze in Ostpreußen abgeflogen – und nicht in einer Ju 52, so wie im Film.

In der Gedenkstätte Deutscher Widerstand ist auch Foto der Widerstandskämpfer Claus Schenk Graf von Stauffenberg (li.) und Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim zusehen.
In der Gedenkstätte Deutscher Widerstand ist auch Foto der Widerstandskämpfer Claus Schenk Graf von Stauffenberg (li.) und Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim zusehen.
© dpa

Wer sich faktentreu über die Historie informieren will, kann das zum Beispiel im nahe gelegenen Bücker-Museum tun. Dort zeigt eine kleine Ausstellung mehr als ein Dutzend Modelle von Flugzeugen, die in den 1935 in Rangsdorf eröffneten Bücker-Flugzeugwerken gebaut wurden. Bis zu 1600 Beschäftigte montierten bis zum Kriegsende 1945 Maschinen vorwiegend für die Luftwaffe. Hunderte Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene mussten in den großen Hallen direkt am Flugfeld schuften. Viele überlebten die Lager nicht. An die Tat von Stauffenberg erinnern auch im Museum nur ein Foto und ein kurzer Text.

Bleibt die Spurensuche auf dem Flugplatz. Ein großes Loch im Zaun weist den Weg. Die Mauer, die die russische Armee zwischen 1945 und ihrem Abzug 1994 hier gezogen hatte, gerät buchstäblich ins Wanken. Abfliegen tut hier schon lange niemand mehr, das Gelände verfällt. Der Weg aufs Flugfeld steht offen, gesäumt von den Resten von Garagen und Unterkünften. Anstrich und Bauweise zeigen, dass sie zweifellos der russischen Ära entstammen. Dann kommen auch schon die ersten Gebäude aus den 1930er Jahren in Sicht. Vandalismus und Leerstand haben sie allerdings in Ruinen verwandelt. Die Decken sind teilweise eingestürzt, in den Fenstern fehlen sämtliche Scheiben, Türen hängen schief in den Rahmen und auf dem Boden türmt sich der Müll. Das trifft auch auf die große Einfliegerhalle der Bücker-Werke zu, die in der Mitte durch den ebenfalls stark beschädigten Tower geteilt wird. Von hier rollten die fertig montierten Flugzeuge direkt aufs Flugfeld.

Auf der großen Fläche schimmern zwischen dem hohen Gras kleinere Betonflächen heraus. Von hier also sind vor 70 Jahren Stauffenberg und Haeften zu ihrem Flug gestartet, in den Aktentaschen die versteckten Sprengsätze. Nach dem Attentat, am frühen Nachmittag, sind sie auch wieder hier gelandet. Zu diesem Zeitpunkt wussten sie noch nichts vom Scheitern ihrer mutigen Aktion.

Beim Blick auf das noch unter Denkmalschutz stehende Gebäudeensemble fällt es nicht ganz leicht, sich hier lebhaften Flugverkehr vorzustellen. Dabei diente Rangsdorf von Anfang Oktober 1939 bis Anfang März 1940 sogar als Ersatz für den zivilen Luftverkehr in Tempelhof, weil die Nazis nach Kriegsbeginn eine Bombardierung des innerstädtischen Flugplatzes fürchteten. Per Bus kamen die Passagiere aus dem Berliner Zentrum damals nach Rangsdorf.

Nach dem Verlassen des Geländes durch das gleiche Loch in der Mauer gibt es kurze Zeit später sogar noch ein Wiedersehen mit dem Fahrradpärchen vom Anfang der Tour. „Wir haben immerhin einen Gedenkstein für Stauffenberg am See gefunden“, erzählt die Frau nicht ohne Stolz. Er steht vor dem früheren „Aeroclub“, der einst das Hauptgebäude des Flugplatzes war und in den mittlerweile ein Gymnasium eingezogen ist. Ein paar Meter weiter führt die Stauffenbergallee vorbei. Ins Nichts.

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