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Erstmal zur Untermiete. Susanne Löhlein ist am Wochenende nur mit ein paar Kisten in ein möbliertes Zimmer nach Wilmersdorf gezogen. Am heutigen Montag ist ihr erster Arbeitstag. Sie übernimmt eine Klasse für Kinder ohne Deutschkenntnisse.
© Björn Kietzmann

Lehrermangel in Berlin: Von Bayern nach Spandau

Daheim in Bayern haben die Schüler Susanne Löhlein die Tür aufgehalten und sind ihr mit "Grüß Gott" begegnet. Ab heute unterrichtet sie in Spandau. Für wie lange, weiß die junge Lehrerin noch nicht.

Ein bisschen blass sieht Susanne Löhlein schon aus, wie sie da sitzt am späten Samstagnachmittag auf ihrer Couch im frisch angemieteten möblierten Zimmer in Wilmersdorf. Vor ein paar Stunden erst ist sie mit ein paar Kisten aus Bayern nach Berlin umgezogen, hat im Nu alles ausgepackt, und bereits um 17 Uhr liegen die meisten Dinge am richtigen Platz. Jetzt bleibt noch der Sonntag zum Ausschlafen, damit sie am Montag um 8 Uhr fit ist für ihre ersten Berliner Schüler.

Aber erst mal erzählt sie ebenso entschlossen wie unterhaltsam und fast ohne ihren fränkischen Dialekt, wie aus einer bayerischen Gymnasiallehrerin für Englisch und Spanisch eine Berliner Grundschullehrerin wurde. „Es hat sich schon länger abgezeichnet, dass wir nicht alle nach dem Referendariat übernommen würden. Also habe ich mich in Berlin erkundigt und wurde zum Casting eingeladen.“

"Würden Sie auch im sozialen Brennpunkt arbeiten?"

Erst in dem Moment, als sie sich mit zehn Mitbewerbern einer Schar von rund 15 Schulleitern gegenübersah, hat die Bayerin eine Ahnung davon bekommen, wie knapp die Lehrer in Berlin sind. „Würden Sie auch im sozialen Brennpunkt arbeiten?“, hat sie da einer von den Direktoren gefragt, und sie hat ja gesagt. Und hat im selben Augenblick an den Film „Fack ju Göhte“ gedacht und daran, dass ihr die Schüler daheim oftmals die Tür aufgehalten haben oder ihr mit strahlendem „Grüß Gott“ begegnet sind. Noch am vergangenen Freitag hat sie mit ihren Zwölftklässlern, die sie als Referendarin in Spanisch hatte, in der Schulküche Tortillas gebacken – zum Abschied.

Am liebsten hätten die Berliner sie schon am 10. Februar, dem ersten Tag im neuen Schulhalbjahr, hier gehabt. „Aber dann hätte ich mein Referendariat zwei Wochen vor der Zeit beenden und meine Schüler von heute auf morgen verlassen müssen.“ Das kam für sie nicht infrage. Sie kam auch nicht zwischendurch her, um schon mal den Vertrag zu unterschreiben. Das macht sie erst Montagmorgen.

Beinahe wäre Löhleins Abenteuer zu Ende gewesen, bevor es überhaupt anfing, denn irgendein Sachbearbeiter wusste nicht, dass die Bayerin einen befristeten Vertrag wollte. „Bei einem unbefristeten Vertrag bestünde die Gefahr, dass ich aus der Warteliste in Bayern gestrichen werde, und das ist mir zu riskant“, begründet die 28-Jährige ihr Beharren auf dem Fristvertrag. Wenn sich dieses Missverständnis nicht noch im letzten Moment hätte klären lassen, wäre sie wieder abgesprungen. Es hat sich aber geklärt. Und deshalb hat sie sich innerhalb eines Tages für 450 Euro warm das Zimmer gemietet und weiß bis heute nicht, was sie überhaupt netto verdienen wird in Berlin, das ja bekanntlich viel schlechter bezahlt als Bayern und noch dazu nicht verbeamtet.

„Dass ich keine Beileidskarte bekommen habe, hat mich gewundert“, sagt sie, denn es gab schon einige Leute, die ihre Entscheidung für Berlin grundfalsch finden. Löhlein versteht die Aufregung aber nicht ganz. Sie kennt Berlin aus vielen Besuchen, einige Freunde wohnen hier, und zufällig zieht der große Bruder demnächst von der Alster an die Spree. Außerdem findet sie es schön, „dass man die Geschichte hier überall sieht“.

Ob sie hier bleibt? Ausgeschlossen ist es nicht, auch wenn Bayern bislang ihr „Lebensmittelpunkt“ ist. Wenn ein gutes Angebot aus der Heimat kommt, wird sie das wohl annehmen, zumal ihre Eltern und ihr Freund dort wohnen. Auf jeden Fall will sie wieder an einem Gymnasium arbeiten, damit ihr Englisch- und Spanischstudium nicht umsonst war.

Vorläufig aber lässt sich die gebürtige Bambergerin auf eine ganz andere Herausforderung ein: Ihre erste Station wird eine Spandauer Grundschule sein, in der sie eine sogenannte Willkommensklasse übernimmt. Das sind Lerngruppen, die nur aus Kindern ohne Deutschkenntnisse bestehen. Zurzeit existieren diese Willkommensklassen in vielen Bezirken, weil so viele Schüler aus Krisengebieten wie Syrien und aus Ländern wie Rumänien kommen. Eigentlich müsste man da einen Fachlehrer für Deutsch als Zweitsprache einsetzen, aber daran mangelt es in Berlin – wie es überhaupt an allen Ecken und Enden mangelt. Gerade erst hat die Bildungsverwaltung fast alle Fächer zu Mangelfächern erklärt und sucht auch Seiteneinsteiger, um zum Sommer rund 1500 freie Stellen besetzen zu können.

Weitere Lehrer werden gesucht

Susanne Löhlein ist nicht die einzige bayerische Lehrerin, die jetzt kurzerhand die Sachen gepackt hat, um nach Berlin zu gehen. „Eine Freundin ist schon vor zwei Wochen gekommen“, erzählt sie und dass die „irgendwo in Charlottenburg-Nord“ unterrichtet. Insgesamt gab es zum 1. Februar 40 Bewerber aus Bayern, von denen jetzt neun ausgewählt wurden, lautet die Auskunft der Bildungsverwaltung.

Aber es sollen noch mehr werden. Viel mehr. Im Frühjahr plant Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) eine große Informationsveranstaltung für Interessenten aus jenen Bundesländern, die nicht genug Stellen für ihre frisch ausgebildeten Junglehrer haben. Neben Bayern gebe es beispielsweise auch in Hessen einen Überhang an Pädagogen.

Wobei die Betroffenen das mit dem „Überhang“ ganz anders sehen. „Wir haben so große Aufgaben wie die Inklusion, die Ganztagsschulen und die individuelle Förderung. Eigentlich würden alle Lehrer gebraucht“, wundert sich nicht nur Löhlein darüber, dass einige Länder ihre Lehrer ziehen lassen. In Bayern reißen dann auch die Proteste nicht ab. Zuletzt gab es spontane Demos in etlichen Städten von Rosenheim bis München.

Aber während ihre Kollegen noch demonstrieren, stand für Löhlein ganz schnell fest, dass sie lieber geht, damit sie sofort in ihrem Beruf arbeiten kann. „Das ist doch besser als zu kellnern oder Nachhilfe zu geben und zu warten. Ich sehe das jetzt als Erfahrung. Und wenn es mir super gefällt, bleibe ich hier.“

Susanne Vieth-Entus

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