Sicherheit in Berlin: Volksbegehren zu Videoüberwachung braucht Unterschriften
Mehr als 17.000 Menschen haben das Volksbegehren für mehr Überwachungskameras in Berlin unterzeichnet. Noch fehlen 2700 Unterschriften bis zur nächsten Hürde.
Der Mann mit der Baseball-Kappe ist wirklich schwer zu verstehen. Das liegt natürlich auch daran, dass in seinem Unterkiefer kein einziger Zahn steckt. Aber auch daran, dass er seine Frage auf Englisch mit stark polnischem Akzent formuliert: „Wo hält das Auto, das nach Stettin fährt?“ Tja, das konnte der junge Polizist nun auch nicht sagen. Er murmelte eine Entschuldigung, dann verschwand er in der Wache am Alexanderplatz.
Montag, 12 Uhr, wenig los rund um die Weltzeituhr. Seit 15. Dezember ist die Polizeiwache am Alexanderplatz besetzt, sobald der Pole wieder weg ist, liegt sie quasi unbeachtet da. Kein Passant, kein Obdachloser registriert sie.
17.233 Stimmen für Sicherheits-Volksbegehren
Nachts ist das anders, nachts prügeln sich Flüchtlinge, Trinker, Rocker, nachts wird der Alexanderplatz zum rauen Szene-Ort. Deshalb installierte die Polizei hier ja ihre Wache. Aber weniger Angst hat Hildegard Müller (Name geändert) deshalb nicht. Sie umklammert 50 Meter von der Wache entfernt einen Glühwein und sagt: „Nee, abends komme ich nicht her. Die Gegend ist viel zu verwinkelt. Die Polizisten dort können doch nicht alles sehen.“
Das Sicherheitsgefühl. Das abstrakte Gefühl, permanent bedroht zu sein. Das ist einer Hauptgründe für das Volksbegehren für mehr Sicherheit und Datenschutz. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Heilmann, der frühere Justizsenator, ist einer der Initiatoren des Begehrens, jetzt steht er in einem Büro am Alex und verkündet eine Zahl. Eine Erfolgsziffer für ihn. „Wir haben bis jetzt 17.233 Stimmen gesammelt.“ Bis Mitte März benötigt er 20.000 Unterschriften. Dann hätte er die erste Stufe für das Volksbegehren erreicht. In der nächsten benötigt er 170.000 Unterschriften, Stufe drei wäre dann die Volksabstimmung.
Heilmann fordert 1000 Überwachungskameras
Für den Alexanderplatz, rechnet er vor, seien wohl acht Kameras nötig, um den Platz vollständig zu überwachen. Die Initiative hatte mal von 40 Kameras am Alex geredet, und von 2000 bis 2500 Kameras insgesamt an rund 50 Orten.
Jetzt rudert Heilmann bei Zahlen zurück, zu stark war die Kritik an den bisherigen Größenordnungen. Nun bringt er, grob, 1000 Kameras ins Spiel, bei der Zahl der Plätze legt er sich gar nicht mehr fest, nur so viel: Es sollen stark belebte öffentliche Flächen mit überdurchschnittlich großer Kriminalität sein. Das ist unscharf genug, um nicht auf konkrete Punkte festgenagelt zu werden. Heilmann geht es mehr ums große Ganze. Er redet von Sicherheitsgefühl, Abschreckung, mehr Fahndungserfolge, Arbeitserleichterungen für Polizei und Justiz.
Als Argumentationshilfe dient auch der BVG-Sicherheitsbericht 2016. Die BVG habe seit 2011 alle ihre U-Bahnen mit Videokameras ausgestattet. Und die Bilanz? Die Zahl der Körperverletzungen sei von 3897 (2011) auf 3183 (2012) gesunken. 2016 habe sie bei 3106 gelegen. Beim Raub: 598 Fälle im Jahr 2011, 356 im Jahr 2016. Auch die Kosten durch Vandalismus hätten seit 2011 erheblich abgenommen, von 9,8 Millionen (2011) auf 3,9 Millionen Euro (2016).
Silvesternacht am Alex war unproblematisch
Innensenator Andreas Geisel (SPD) nannte die Lage am Alex am Montag „besser als in der Öffentlichkeit dargestellt“. Die Wache sei wichtig, aber mit der Eröffnung seien nicht alle Probleme gelöst. 2017 habe die Polizei bei Sondereinsätzen 50 344 Einsatzkräftestunden geleistet. Die Zahl der relevanten Straftaten habe sich von 2016 auf 2017 moderat erhöht: Bei Raub von 47 auf 57 und bei Körperverletzung von 84 auf 110. Die Zahl der Taschendiebstähle habe sich mit 880 fast halbiert. Angesichts von 300 000 Passanten pro Tag seien solche Taten nicht zu vermeiden.
80 Taten wurden 2017 von unbegleiteten minderjährigen Geflüchtete verübt, darunter neun Körperverletzungen. Die Silvesternacht sei am Alex völlig unproblematisch gewesen, sagte Geisel: Es gab eine Straftat wegen Beleidigung auf sexueller Grundlage zwischen zwei Afghanen in der City-Toilette. In einem Fall habe ein Mann aus Eritrea versucht, ein deutsches Mädchen zu belästigen, dies konnten Polizisten der Wache verhindern.
Geisel räumte ein, dass es mit einem mobilen Videofahrzeug technische Probleme gebe. Wie berichtet, lehnt die rot-rot-grüne Koalition eine stationäre Videoüberwachung ab, die Innenverwaltung setzt deshalb auf mobile Geräte, die an Brennpunkten eingesetzt werden.