Nach Übergriff an Friedenauer Schule: Volker Beck sieht Antisemitismus in Elternbrief
Die Erklärungen für den antisemitischen Vorfall an einer Friedenauer Schule stoßen auf Kritik. Der Grünen-Politiker beklagt eine fehlende Sensibilisierung für Ressentiments gegenüber Juden.
Im Streit um die Friedenauer Gemeinschaftsschule äußern sich nun renommierte Antisemitismusexperten. Der grüne Bundespolitiker Volker Beck wollte die Schule in dieser Woche sogar besuchen – der Direktor hatte den Termin allerdings nicht bestätigt. Auch der Berliner Publizist Sergey Lagodinsky von der Heinrich-Böll-Stiftung erklärte sich in einem Onlinebeitrag für den Tagesspiegel zu den Vorfällen. Dass die Debatte um den Übergriff auf einen jüdischen Schüler in Friedenau anhält, hat auch mit der Reaktion einiger Eltern zu tun.
Wie berichtet, hatten sich zehn Väter und Mütter, deren Kinder auf die Schule gehen, mit einem Leserbrief an den Tagesspiegel gewandt. Sie zeigten sich „bestürzt über den Übergriff“, verteidigten aber die Schule gegen eine ihrer Meinung nach „unreflektierte und einseitige“ Berichterstattung. Die Presse würde dem „Ruf einer engagierten Schule nachhaltig schädigen“. Weiter heißt es in dem Brief, dass eine Stadt wie Berlin von den „Auswüchsen internationaler Konflikte wie des Nahostkonflikts nicht verschont“ bliebe. „Religiös motivierte Auseinandersetzungen“ seien die Folge.
"Dokument des Versagens"
Diese Interpretation der Ereignisse provoziert nun Widerstand. Lagodinsky etwa schreibt, dass der Elternbrief für ihn "ein Dokument des Versagens" und die darin getroffenen Aussagen eine „Beleidigung für die Betroffenen“ antisemitischer Gewalt seien. Statt sich des Problems – dem Hass auf Juden – anzunehmen, werde die Presse an den Pranger gestellt.
Auch Volker Beck zeigt sich empört. Er spricht in diesen Tagen sowohl mit der Schulleitung als auch dem Elternhaus des Opfers – ein 14-jähriger Junge, der nach Beschimpfungen und Bedrohungen die Schule verlassen hat. Beck widerspricht ebenfalls dem Inhalt des Elternbriefs. Die Schule sei, anders als von den Eltern beschrieben, kein „Vorreiter und Vorbild für zahlreiche Projekte, die für Toleranz“ stehe. Vielmehr gebe es seit langem Probleme durch antisemitische Schüler. „Die Schulleitung ist den Hinweisen aber nur zögerlich nachgegangen“, sagt Beck.
"Pädagogischer Auftrag verfehlt"
So seien etwa Gespräche mit den Eltern aufgeschoben worden. Statt den betroffenen Schüler zu schützen, habe die Schule ihren „pädagogischen Auftrag verfehlt“. Beck hatte angeboten, die Schule zu besuchen. Er wollte damit „ein Zeichen setzen, dass nicht nur jüdische Vertreter alarmiert sind“. Die Schulleitung habe aber den in Aussicht gestellten Termin abgesagt. Die Schule hatte den Übergriff auf den Schüler öffentlich bedauert und eine Aufarbeitung angekündigt.
Im Brief der Eltern erkennt Beck das antisemitische Vorurteil, wonach alle Juden für den Nahostkonflikt mitverantwortlich seien, selbst wenn diese keine israelische Staatsangehörigkeit hätten: „Offensichtlich sind die betreffenden Eltern nicht in der Lage, Antisemitismus zu erkennen – zudem reproduzieren sie diesen auch noch.“
Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft
Es waren Jugendliche muslimischer Familien, die ihren jüdischen Mitschüler angegriffen haben sollen. Beck sagte nun, die Tat sei keineswegs auf eine „religiös motivierte Auseinandersetzung“ zu reduzieren. So sei ihm kein Fall bekannt, in dem ein jüdischer Schüler in Berlin aus islamfeindlicher Haltung heraus zugeschlagen hätte.
Was sich am Friedenauer Fall für Beck auch zeigt: Rassismus und Antisemitismus seien nur erfolgreich zu bekämpfen, wenn man nicht wegschaue, auch wenn sie von Menschen mit Migrationshintergrund oder muslimischen Glauben ausgehen. Alle Formen des Antisemitismus müssten wahrgenommen werden, egal „ob atheistisch, muslimisch oder christlich, aus der Mitte der Gesellschaft oder von Rechts oder Links“.
Die Autoren des Elternbriefes waren am Sonntag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.