Tschetschenische Flüchtlingsfamilie abgeschoben: "Vielleicht haben sie sich geschämt, um Hilfe zu bitten"
Ein aus Tschetschenien geflohener Vater und vier Kinder wurden abgeschoben – ohne die kranke Mutter. Die sollte jetzt von der Ausländerbehörde aus der Klinik geholt werden. Kritiker finden das unmenschlich.
„Ich wollte die Kinder an diesem Montagmorgen zum ersten Tag der Ferienspiele begleiten“, sagt Ramona Krönke: „Hab’ mich gewundert, dass sie nicht am Eingang warteten. Ihr Zimmer war verlassen, total leer. Dafür kamen mir andere Heimbewohner entgegen und riefen ganz aufgelöst: Hilfe, Ramona – Deportation, Deportation!“
Ramona Krönke ist Schauspielerin in Berlin und wohnt in Wandlitz. Wie andere Einwohner kümmert sie sich um die Flüchtlinge, die hier seit Anfang des Jahres in einem Heim leben. Beim Landkreis Barnim sei man froh gewesen, dass sich – nach zunächst extremer Ablehnung der Asylbewerber – in Wandlitz ein Runder Tisch für die Flüchtlinge gründete, sagt Mathis Oberhof, einer der Initiatoren: „Der Landrat hat uns ausgezeichnet, hat mit uns gegen Neonazis demonstriert – und jetzt lässt er so etwas Unmenschliches zu. Ich kann es nicht verstehen.“
Die Bombe schlug direkt in der Wiege ihres Kindes ein
Als unmenschlich empfinden Mathis Oberhof und inzwischen mehr als 1000 Menschen, die eine Petition unterzeichnet haben, wie die Barnimer Ausländerbehörde mit jener Flüchtlingsfamilie aus Tschetschenien umgegangen ist, die Ramona Krönke betreute. „Eigentlich hatte ich ja nur mit den vier Kindern Kontakt“, erzählt sie: „Besonders mit den beiden Jüngsten – Magomed und Linda. Ich habe sie beim Sprachunterricht kennengelernt, bin mit ihnen ins Schwimmbad gegangen und ins Theater.“
Erst später hat Ramona Krönke vom Flüchtlingsrat Details über die Familie erfahren: Sie lebte bis 1999 in der Hauptstadt Grosny. Zu Beginn des Zweiten Tschetschenienkriegs schlug eine Granate in ihre Wohnung ein – direkt in die Wiege des dritten Kindes. Es starb, der Vater und der älteste Sohn wurden am Auge verletzt, die Familie floh aufs Land. 2011 wurde der Vater mehrfach zu Verhören geholt, weil man ihm wegen der Augenverletzung unterstellte, für die falsche Seite gekämpft zu haben. Die Familie sah keinen anderen Ausweg als die Flucht ins Ausland. Aber weil sie über den „sicheren Drittstaat“ Polen einreiste, hatte sie keine Chance, in Deutschland Asyl zu erhalten.
Rückführung nach Polen
Von alledem wusste Ramona Krönke noch nichts, als sie am zweiten Juliwochenende Magomed, Linda und auch Zaina B., die Mutter der Kinder, zu sich einlud. „Es ging Zaina, die bis zum Freitag davor im Krankenhaus war, aber sehr schlecht. Weil es nicht besser wurde, fuhr ich mit ihr zur Notaufnahme, sie musste gleich bleiben.“ Dass die Ausländerbehörde der Familie die Rückführung nach Polen bereits angedroht hatte, ahnten weder Ramona Krönke noch andere Helfer vom Runden Tisch. „Vielleicht haben sie sich geschämt, um Hilfe zu bitten“, sagt Mathis Oberhof.
Im Morgengrauen des 15. Juli halten drei Polizeiautos mit einem Vertreter der Barnimer Ausländerbehörde vor dem Asylbewerberheim in Wandlitz. Obwohl die Mutter nicht da ist, werden der Vater und die vier Kinder in die Autos verfrachtet, drei Stunden später sitzen sie bereits im Flugzeug nach Warschau.
Ramona Krönke ist außer sich. Fährt zu Zaina ins Krankenhaus, dann zur Ausländerbehörde, will wissen, wer diese Entscheidung getroffen hat. „Die haben sich hinter dem Status als Behörde versteckt, um nicht persönlich verantwortlich zu sein“, sagt sie: „Aber sie hätten die Wahl gehabt, anders zu entscheiden.“
Einmalig sei dieser Vorgang, sagt Simone Tetzlaff vom Brandenburger Flüchtlingsrat: „Das Grundgesetz, das den Schutz der Familie garantiert, gilt auch für Flüchtlinge. Und selbst die Dublin-II-Verordnung, in der die Zuständigkeit der Staaten für die Asylverfahren geklärt ist, sieht vor, dass die Familien nicht auseinandergerissen werden sollen.“
Der Landrat schweigt
„Wir haben mit dem Vater vereinbart, dass die Mutter nach ein, zwei Tagen nachkommt“, sagt ein Sprecher des Landkreises – doch Zaina B., die nach der Abschiebung ihrer Familie einen Zusammenbruch erleidet, ist sechs Wochen später noch immer im Krankenhaus. Und weil jetzt die sogenannte Rücküberstellungsfrist ablief, wurde die Ausländerbehörde am Dienstag sogar im Krankenhaus vorstellig. Doch die Ärzte erklärten, dass Zaina an einer schweren Krankheit leide und nicht abgeschoben werden könne.
Es sei doch nur eine „Rückführung in einen sicheren Drittstaat“ argumentiert nun die Behörde. Simone Tetzlaff vom Flüchtlingsrat nennt das zynisch. „Die meisten Tschetschenen fühlen sich in Polen nicht sicher. Dort operieren verschiedene tschetschenische Gruppierungen.“ Außerdem sei der Asylantrag der Familie in Polen bereits wie üblich abgelehnt worden, sagt Ramona Krönke. „Sie können also gleich nach Tschetschenien zurückgeschickt werden – eine Horrorvorstellung.“
Ramona Krönke hofft sehr, dass es Magomed im 600 Kilometer entfernten polnischen Lager gut geht. Der Zehnjährige hatte sich in Wandlitz wohl gefühlt, sagt sie, sogar im Verein Fußball gespielt. Die Schauspielerin hat einen Brief des Jungen auf ihrem Schreibtisch liegen. „Ramona“ steht darauf und „Magomed“. Dazwischen ist ein Herz gemalt.
Der Barnimer Landrat Bodo Ihrke (SPD) war am Mittwoch für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
Sandra Dassler