Öffentlicher Dienst in Berlin: Verwaltung soll mit der Stadt wachsen
Noch vor zwei Jahren sollte die Berliner Verwaltung auf 100.000 Stellen zusammengespart werden. Jetzt fordert SPD-Chef Jan Stöß 10.000 Stellen mehr.
Die Berliner SPD will das Personal im öffentlichen Dienst in der nächsten Wahlperiode kräftig aufstocken. Vorausgesetzt, die Sozialdemokraten bleiben an der Regierung. Bei einer Veranstaltung der „Berliner Wirtschaftsgespräche“ kündigte Parteichef Jan Stöß am Mittwoch an, dass „in der Perspektive“ 110 000 Vollzeitstellen nötig seien. Derzeit hat die Berliner Verwaltung etwa 104 000 Vollzeitstellen. „Wir brauchen eine Aufbau- und keine Abbauverwaltung“, sagte der SPD-Mann.
Dem Juristen, der momentan noch als Richter tätig ist, wird auch parteiintern nachgesagt, am Posten des Innensenators nach der Abgeordnetenhauswahl im September interessiert zu sein. Er selbst äußert sich zu seinen politischen Plänen nicht. Stattdessen arbeitete sich Stöß vor einer kleinen Runde von Unternehmern am derzeitigen Amtsinhaber Frank Henkel (CDU) ab. Von ihm erwarte er „ein klareres Bekenntnis, dass es mit dem Landesdienst wieder aufwärtsgehen muss“. Die aktuellen Probleme der Verwaltung seien für die rapide wachsende Stadt Berlin „eines der größten Entwicklungs- und Standorthemmnisse“.
Nachholbedarf bei Digitalisierungen und "Public Government"
Vor allem bei der Digitalisierung und dem „Public Government“, also im direkten Umgang der Ämter und Behörden mit den Bürgern, habe Berlin Nachholbedarf, sagte Stöß. Als gute Beispiele wirtschaftlich arbeitender und bürgernaher Kommunen nannte der SPD-Landeschef europäische Städte wie Barcelona, Wien oder Tallin. „Wir können davon lernen, was solche Kommunen auf die Beine stellen.“ In der Diskussion am Mittwoch wurde übrigens deutlich, dass sich nicht nur die Berliner, die auf einen Termin beim Bürgeramt warten, über die Verwaltung beschweren, sondern auch die Unternehmer wenig zufrieden sind.
So übte der prominente Berliner Rechtsanwalt Karlheinz Knauthe auf der Veranstaltung heftige Kritik am öffentlichen Dienst und an der Berliner Landesregierung. „Da läuft vieles nicht gut, es hapert vor allem an der Umsetzung“, sagte er. Etwa bei der Flüchtlingsbetreuung, im Wohnungsbau oder der Energiepolitik. Es fehle „der Drive“, sagte Knauthe. Fast alles, was Stöß fordere, sei richtig. „Allein es fehlt die Kraft in den Behörden und bei den Politikern der Stadt, die Ankündigungen auch umzusetzen.“
Wieder verwies Stöß auf den amtierenden Verantwortungsträger Henkel. „Es wäre schön gewesen, wenn wir in der zu Ende gehenden Legislaturperiode beim Thema Verwaltung weitergekommen wären.“ Der Sozialdemokrat vergaß nicht zu erwähnen, dass der Innensenator aus seiner Sicht auch im polizeilichen Bereich nicht besonders erfolgreich ist. In bestimmten Stadtregionen, etwa am Alexanderplatz, wachse das „Unsicherheitsgefühl“ der Bürger. Zufälligerweise gehört der Alex zum Wahlkreis 2 in Berlin-Mitte, den Stöß am 18. September als Direktkandidat erobern will.
Stadt wartete zu lange mit Anstellungen
Aber zurück zum öffentlichen Dienst, dem es nach Einschätzung des SPD-Landeschefs auch an qualifizierten Quereinsteigern fehlt. Die anhaltenden Personalprobleme führten in der Berliner Verwaltung zu „Auszehrung und Überlastung“. Dagegen gebe es bei den vom Land Berlin ausgebildeten Anwärtern auf Beamtenstellen viele gute Leute. „Aber es wurde zu lange gewartet, sie auch fest einzustellen.“ Stöß fordert außerdem eine deutlich bessere technische Ausstattung der Arbeitsplätze. Die Verwaltung müsse sich, wie in anderen Großstädten teilweise schon erfolgreich erprobt, digitaler Techniken und wissenschaftlicher Methoden bedienen, um Entwicklungen besser prognostizieren und steuern zu können.
Eine Voraussetzung für die Digitalisierung, so Stöß, sei die Einführung der elektronischen Akte. Er lobte an dieser Stelle die christdemokratisch geführte Justizverwaltung, dort sei man bei der Digitalisierung schon ein gutes Stück vorangekommen. Allerdings wies Innensenator Henkel vor zwei Wochen, als er an anderer Stelle vor Unternehmern sprach, auf die angebliche Blockadehaltung der SPD hin. Ein von seiner Behörde erarbeiteter und vom Senat im Oktober 2015 beschlossener Entwurf für ein E-Governmentgesetz schmore seitdem in den Fachausschüssen des Abgeordnetenhauses. Der designierte CDU-Spitzenkandidat Henkel ist skeptisch, dass das Gesetz noch vor der Wahl beschlossen wird.
4500 neue Stellen geschaffen
Mit seiner Forderung nach zusätzlich 10 000 Stellen im öffentlichen Dienst preschte Stöß parteiintern vor. Denn im Entwurf für das SPD-Wahlprogramm steht zwar die Forderung, dass „die Verwaltung mit dem Wachstum der Stadt mithalten kann“, eine konkrete Stellenzahl wird aber nicht genannt. In der Amtszeit des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) und des Finanzsenators Ulrich Nußbaum galt als Ziel der Regierung, die Zahl der Vollzeitstellen im öffentlichen Dienst auf 100 000 zu verringern. 80 000 in der Haupt- und 20 000 in der Bezirksverwaltung.
Von dieser Sparpolitik hat sich die rot-schwarze Koalition erst Anfang 2015, nach dem Amtsantritt des Regierungschefs Michael Müller (SPD), allmählich verabschiedet. Im Zuge der Flüchtlingskrise und angesichts kollabierender Bürgerämter wurden bis 2017 insgesamt rund 4500 neue Stellen geschaffen, die aber großenteils noch nicht besetzt sind. 10 000 zusätzliche Stellen wollen übrigens auch die Linken in ihr Wahlprogramm schreiben. Auch die Grünen fordern einen personell und technisch viel besser ausgerüsteten Landesdienst.