Opposition fordert Aufklärung - Henkel wehrt sich: Verschwörungstheorie oder neuer V-Mann-Skandal?
Die Opposition sei schlicht nicht in der Lage, Akten zu lesen - meint CDU-Abgeordnete Robbin Juhnke. Doch die Opposition hat noch viele Fragen. Die Affäre um den V-Mann und militanten Nazi Nick Greger beschäftigt Innensenator Frank Henkel weiter.
Diesmal wurde das Thema zumindest in etwas ruhigerem Ton abgehandelt. Polizeipräsident und Innensenator informierten am Donnerstag den Innenausschuss des Abgeordnetenhauses über eine politisch sensible Vertrauensperson der Sicherheitsbehörden, die „VP 598“. Über diesen militanten Nazi Nick Greger hatten sich Frank Henkel (CDU) und die Oppositionsparteien am Montag eine wilde Schreierei geliefert. Auslöser war das Bekanntwerden eines Videos, in dem Greger behauptete, dass die Polizei ihn aufgefordert habe, in einem Untersuchungsausschuss zu schweigen. Dies hatte die Oppositionsparteien Grüne, Linkspartei und Piraten regelrecht elektrisiert, weil Greger im Jahr 2000 in Berlin verurteilt worden war. Denn er hatte zusammen mit dem aus dem NSU-Untersuchungsausschuss bekannten V-Mann Carsten S., alias „Piatto“, einen Sprengstoffanschlag auf politische Gegner vorbereitet. Der Brandenburger V-Mann „Piatto“ war im direkten Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) tätig und lieferte Hinweise zum Untertauchen des Terrortrios, die von den Behörde aber nicht in ihrer Tragweite erkannt worden waren.
Ist Nick Greger der zweite Berliner Spitzel im NSU-Umfeld?
Gab es also mit Nick Greger einen zweiten Berliner Spitzel im NSU-Umfeld? Henkel sagte: Nein. Alle Akten hätten den Abgeordneten seit August 2013 vorgelegen, nichts sei verschwiegen worden. Die Polizei versicherte, dass der vollständige Name von Carsten S. in den Akten zu VP 598 enthalten war. Der CDU-Abgeordnete Robbin Juhnke formulierte es deutlicher: „Die Verbindung zu Piatto ist ein alter Hut. Das Skandalgeschrei ist Blödsinn.“ Die Opposition sei schlicht nicht in der Lage, Akten zu lesen.
Dies erregte erneut den Unmut von Linken, Grünen und Piraten; und Henkels Informationen reichten ihnen sowieso nicht. Udo Wolf von der Linkspartei kündigte an, der Innenverwaltung einen umfangreichen Fragenkatalog vorzulegen. Wolf sieht auch bei bei Greger „einen starken NSU-Bezug“. „Wieso haben Sie uns nicht aktiv informiert?“, beklagte sich Wolf bei Henkel.
Henkel: Video von „Wichtigtuer“ Greger enthalte lediglich „wildeste Verschwörungstheorien“
Henkel konterte, es gab keinen Stoff für Informationen. Das Video von „Wichtigtuer“ Greger enthalte lediglich „wildeste Verschwörungstheorien“. All dies durfte Henkel am Montag nicht sagen, weil er sich sonst strafbar gemacht hätte. Erst am Mittwochnachmittag hatte die Staatsanwaltschaft den Vertrauensschutz für den LKA-Spitzel aufgehoben.
Nach Angaben von Polizeipräsident Klaus Kandt war Nick Greger vom 17. April 2001 bis zum 13. März 2003 zuerst Informant und dann VP des Landeskriminalamtes, „Geld oder Prämien“ habe er nicht erhalten. 2003 wurde er wegen Unzuverlässigkeit abgeschaltet, weil er mehrere Geheimdienste kontaktiert hatte. In den zwei Jahren gab es acht Treffen mit LKA-Beamten, sieben davon in der JVA Tegel. Greger sollte Informationen über rechte Gruppen liefern, darunter der „Kampfbund Deutscher Sozialisten“ und die Naziband Landser.
2013 fuhren zwei Beamte nach Kandts Angaben nach Thüringen, um Greger zu „sensibilisieren“, dass es für ihn ein höheres Sicherheitsrisiko gebe. Denn seine Akten waren zuvor an den Innenausschuss gegeben worden. Und die Polizei schließt nicht aus, dass Abgeordnete aus geheimen Akten Informationen ausplaudern. Dieser Verdacht wiederum erregte die Abgeordneten. Wolf rief: „Das ist absurd.“
Wer wusste wann was? Eine Zeitleiste
2. August 2000: Nick Greger wird in Berlin zu zwei Jahren wegen des Baus einer Rohrbombe verurteilt. 17. April 2001: Greger wird vom LKA in der JVA Tegel als Informant gewonnen.
2. August 2002: Greger wird „VP 598“ 13. März 2003: Das LKA schaltet die VP wegen Unzuverlässigkeit ab, im gleichen Jahr flüchtet Greger nach Afrika.
2005: Greger kehrt zurück und präsentiert sich als „Aussteiger“.
August 2013: Die Akten zu rechten V-Leuten werden den Abgeordneten im Geheimschutzraum des Parlaments zugänglich gemacht, auch die von Greger.
31. Oktober 2013: Zwei Beamte besuchen Greger in Thüringen, um ihn über die Akteneinsicht zu informieren.
Anfang November 2013: Greger kontaktiert per Mail eine Zeitung, zwei Bundestagsabgeordnete und telefonisch mehrere Geheimdienste und gibt an, die Berliner Polizei würde seine Akten an den Bundestag geben. Zudem wollten zwei Polizisten ihn bedrohen und „möglicherweise seinen Tod inszenieren“.
4. November 2013: Die überregionale Zeitung meldet dies der Berliner Polizei. 6. November 2013: Polizeipräsident und Innensenator werden über „unsinnige Vorwürfe“ der VP informiert.
4. Dezember 2013: Ein Video-Interview mit Greger wird ins Internet gestellt.
6. Dezember 2013: Das LKA entdeckt das Video mit den Vorwürfen bei einer Internetrecherche. Kandt wird informiert, Henkel nicht.
24. Januar 2014: Eine Thüringer Abgeordnete der Linkspartei veröffentlicht, dass der „militante Neonazi Greger“ Spitzel des Berliner LKA sein dürfte.
27. Januar 2014: Linkspartei und Grüne verlangen Aufklärung im Berliner Innenausschuss. Innensenator Frank Henkel (CDU) gibt keine Auskunft, weil der Vertrauensschutz für die VP noch gilt. Die Sitzung endet mit einem Eklat.
29. Januar 2014: Die Staatsanwaltschaft hebt den Schutz auf, weil Greger sich selbst enttarnt habe.
30. Januar 2014: Henkel informiert die Abgeordneten.