Flughafen Tegel TXL: Verschärfte Sorgen am Durchhalte-Airport
Das BER-Drama ist auch immer die Geschichte des TXL. Die Verschiebung des Eröffnungstermins auf 2021 hätte große Folgen für Tegel - zumal schon das Ergebnis des Volksentscheids gravierende Probleme verursacht.
Es war die Woche eines denkwürdiges Baustellenjubiläums: 2000 Tage BER-Nicht-Eröffnung. Doch nicht nur das – es war auch das Jubiläum von TXL, der vor 2000 Tagen und einer Nacht hätte geschlossen werden sollen. Ein folgt ein Überblick.
2. JUNI 2012 – VOR DEM BER-START
Der TXL-Umzug hätte um 18 Uhr begonnen
Die Nacht vom 2. auf den 3. Juni 2012 war perfekt geplant. In einem Rutsch sollte der Flughafen umziehen – gleichzeitig mit dem alten Standort in Schönefeld. Aus dem weltweit einmaligen Doppelumzug von Flughäfen ist bekanntlich nichts geworden. Und heute steht nur fest: Beim nächsten Versuch geht es nur schrittweise – falls überhaupt. Am BER war damals sogar, man will es heute nicht mehr glauben, ein „Frühstart“ vorgesehen: Noch vor den Erstflügen am frühen Morgen des 3. Juni sollten etwa ab 18 Uhr alle Flugzeuge mit Ziel Tegel bereits am BER landen und die Passagiere sollten ihr Gepäck im offiziell noch nicht eröffneten neuen Terminal abholen. Nur die Geschäfte sollten noch geschlossen bleiben.
Seit 2010 hatten die Experten des Flughafens München den Umzug der Berliner Kollegen vorbereitet. Alles, was nicht bis zur letzten Minute gebraucht worden war, hatte schon den Weg nach Schönefeld gefunden. 55 000 Kubikmeter Güter – von den Kaffeemaschinen aus den Büros bis zum über 60 Tonnen schweren Flugzeugschlepper – waren für die letzte Fahrt vorgesehen. 600 Lastwagentouren waren eingeplant; die Stadtautobahn sollte zwischen 22 Uhr und 3 Uhr einseitig gesperrt werden. Sogar den damals schon erforderlichen Abriss und Neubau der Rudolf-Wissell-Brücke hatte man verschoben – auf die Zeit nach dem Umzug.
Hatte, hatte. Hätte, hätte – vorbei.
TXL BIS 2021 OFFEN?
Die Anlagen werden immer maroder
Jetzt kommt auch die Hiobsbotschaft dazu, dass der BER vielleicht erst 2021 öffnen kann und Tegel mindestens so lange weiter funktionieren muss. Die Flughafengesellschaft will sich mit dem Gedanken offiziell noch nicht beschäftigen. Sprecher Hannes Stefan Hönemann verweist nur auf den 15. Dezember, dem Tag, an dem Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup den neuen BER-Eröffnungstermin offiziell verkünden will.
Fest steht, in Tegel hangeln sich die Mitarbeiter – und oft auch die Fluggäste – mühsam durch die Probleme des Alltags. Fast jeden Tag fällt irgendwo irgendetwas aus. Und je länger Tegel in Betrieb bleibt, desto mehr muss repariert werden. Wie viel Geld die Flughafengesellschaft noch in die maroden Anlagen stecken muss, ist unklar. Ein Dauerbetrieb, wie ihn die Mehrheit der Berliner im Volksentscheid im September gewollt hat, würde nach Angaben von Lütke Daldrup rund 1,1 Milliarden Euro verschlingen; verteilt auf mehrere Jahre.
VERLIERER BEUTH-HOCHSCHULE
"Wir sterben langsam den Flächentod"
Warten bis 2021? Ein großer Verlierer ist schon jetzt, 2017, die Beuth-Hochschule. Sie hatte ihre ganzen Planungen darauf ausgelegt, einen Teil des Campuses nach der Schließung des Flughafens nach Tegel zu verlegen – im Jahr 2012. Ein nochmaliges Verschieben des Termins oder gar ein dauerhafter Weiterbetrieb würde wohl zur Aufgabe mehrerer Studiengänge führen, sagte Vizepräsident Hans Gerber dem Tagesspiegel. Raumersatz sei kaum zu finden. Die Hochschule brauche den Platz in Tegel, um dort Labore einrichten zu können; praxisnah bei den vorgesehenen anderen Nutzern der „Urbanen Technologie“ aus Gewerbe und Industrie. Am Stammsitz der Hochschule in Wedding fehle der Platz dafür; und herkömmliche Bürogebäude seien nicht geeignet, Labore aufzunehmen. Allein schon der Brandschutz sei ein Hindernis. Außerdem seien die Mieten für die Hochschule inzwischen unerschwinglich geworden. Auch bestehende Verträge seien gekündigt worden. Mit dem Ziel, die Miete zu verdoppeln oder gar zu vervierfachen. Einen Alternativplan gebe es nicht, sagte Gerber. Eine Parallelplanung könne sich die Hochschule gar nicht leisten. Beim Planen habe man sich darauf verlassen, ins Abfertigungsgebäude in Tegel ziehen zu können. Das Volksbegehren zum Weiterbetrieb hatte die FDP zur Überraschung der Hochschule erst Ende 2016 gestartet. Durch die Ungewissheit sei es schwer, die Motivation bei Mitarbeiten und Studierenden aufrechtzuerhalten, sagte Gerber. „Wir sterben langsam den Flächentod.“
NEUBAUTEN – ABER WO?
15 000 Wohnungen: Projekte verschoben
Nicht voran kommt auch die Tegel Projekt GmbH, die das Nachnutzungskonzept umsetzen soll. Der Senat hat zwar nach dem Volksentscheid den Vertrag mit Projekt-Geschäftsführer Philipp Bouteiller um zwei Jahre bis 2020 verlängert, doch weitere Ausschreibungen für Abrisse, Umbauten oder Neubauten liegen nach Angaben von Sprecher Hans Peter Koopmann auf Eis. Dabei gibt es in der Gesellschaft 36 Stellen für Mitarbeiter.
Auch der dringend benötigte Wohnungsbau gerät ins Stocken. Unter den heutigen Flugschneisen sind rund 15 000 Wohnungen geplant – etwa in Gartenfeld (Spandau), wo 10 000 Menschen hinziehen sollten und der Bau mehrerer neuer Schulen geplant ist. Und allein im Schumacher Quartier auf dem Flughafengelände sind 5000 Wohnungen vorgesehen. Dass man nun wegen der BER-Probleme auf das „neue Tegel“ möglicherweise länger warten muss, selbst wenn die Politik schnell entscheiden sollte, den Flugbetrieb doch einzustellen, wollte Koopmann nicht kommentieren.
NEUER LÄRMSCHUTZ-ANSPRUCH
Eigentlich sollte es seit 2012 ruhig sein
„Entsetzlich“ findet dagegen Roland Bley aus der Fluglärmkommission die Aussicht auf einen längeren Betrieb von Tegel. Wie andere Anwohner hofft er seit Jahren, dass Tegel dicht gemacht wird und der Lärm am Himmel ein Ende hat. Derzeit gibt es zwar weniger Flüge, weil Air Berlin nicht mehr fliegt; dafür setzt die Lufthansa mehrmals am Tag ihren großen – und lauten – Jumbo, die Boeing 747, ein, weil die Zahl der Passagiere bei der Lufthansa stark gestiegen ist. Läuft der Flugbetrieb weiter, muss Anfang 2020 der Lärmschutz einem Gesetz angepasst werden, das 2007 verschärft worden war. Tegel war davon ausgenommen, weil man damals annahm, dass der Flughafen schon 2011 geschlossen wird. Die damals gewährte Ausnahmefrist läuft Ende 2019 aus. Die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz hat nach Angaben ihres Sprechers Matthias Tang Daten für das Festsetzen der neuen Lärmschutzbereiche bei der Flughafengesellschaft „angefragt.“ Wie viele Betroffene in der Zone 1 dann Anspruch auf sofortigen Schutz haben, weil sie von Pegeln oberhalb 70Dezibel betroffen sind, sei schwer vorherzusagen. Bei Häusern in der Schutzzone 2 mit geringeren Werten bleiben dagegen sechs Jahre Zeit, den Schutz umzusetzen.
Um den Flughafen herum haben die meisten Häuser bereits einen Schutz erhalten; zum großen Teil allerdings schon um 1970 herum. Wie viele Fenster nun erneuert werden müssten, ist noch nicht ermittelt worden. Die Kosten für den verbesserten Schallschutz sind bisher bei einem dauerhaften Weiterbetrieb mit grob rund 400 Millionen Euro veranschlagt.