Debatte um Nahostkonflikt in Berlin: Vernünftige, ich kann uns nicht hören!
Antisemitische Parolen, Hass auf allen Seiten: Auch in Berlin lässt die Eskalation im Nahen Osten Wunden aufbrechen. Dabei gibt es gerade hier so viele Leute, die einen reflektierten Zugang zum Konflikt haben. Nur sind sie noch zu leise.
Dieser Text handelt vom Nahostkonflikt bei uns in Berlin. An dieser Stelle könnte ich locker einen Kommentar gegen antisemitische Hassparolen aus arabisch-nationalistischen und neonazistischen Milieus oder auf Montagsdemonstrationen schreiben. An dieser Stelle könnte ich auch rassistische Ansichten aus Kommentaren von jüdischen Mitbürgern oder von sogenannten Anti-Deutschen diskutieren. An dieser Stelle könnte ich problemlos vielen Mist besprechen, der von selbst definierten „Betroffenen“ verzapft wird.
Aber ab dieser Zeile soll es zur Abwechslung mal um diejenigen gehen, die sich politisch und menschlich ernsthaft mit dem Konflikt beschäftigen. Menschen, die in der Lage sind, sich immer wieder zu reflektieren, miteinander zu sprechen, und die Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Rassismus gar nicht nötig haben. Ja, diese Menschen gibt es.
Auf der Neuköllner Hermannstraße arbeitet zum Beispiel Ahmad als Friseur. Er schneidet mir regelmäßig die Haare. Seine Oma sei von israelischen Soldaten nach der ersten Intifada getötet worden, erzählt er. Er selbst sei zunächst in den Libanon und dann nach Deutschland geflüchtet. Aber vom Antisemitismus, davon habe er sich schon laaaaaange verabschiedet. Das sei falsch, bringe nicht viel. Denn er betrachte den Nahostkonflikt als politischen Konflikt. Für ihn gehe es vor allem um ein Ungleichgewicht der Macht. Die Männer auf den Besucherstühlen im Friseursalon nicken. Jedes Mal, wenn ich meine Haare schneiden lasse.
Etwas weiter unten in Neukölln, auf der Sonnenallee, wohnt mein Freund Uri. Uri ist DJ, er kommt aus Jerusalem. Er sei froh, gerade nicht in Israel zu sein, sagt er. Gewalt könne er nicht mit ansehen, egal wer was wann wo damit zu tun habe. Er verurteilt jede rassistische Bemerkung gegen „die Araber“. Andere Israelis nennen ihn alleine wegen dieser Einstellung einen „selbsthassenden Juden“. Dennoch macht er einen ruhigen Eindruck und lässt sich selten in Rage bringen.
Ich selbst werde demnächst auf eine Reise nach Israel aufbrechen. Und noch nie habe ich eine freundlichere, vorurteilsfreiere Botschaftsmitarbeiterin getroffen als die, bei der ich in der israelischen Botschaft in Wilmersdorf mein Visum beantragt habe. Da steht ein Mohamed vor ihr und die Frau ist einfach mal nur nett. Auch so etwas gibt es.
Berlin bietet das, was der Debatte fehlt!
Und auch über die E-Mail-Flut in meinem Postfach kann ich mich nur freuen. Zum Nahostkonflikt und zu den Demonstrationen in Berlin werden über Mailinglisten hunderte Botschaften pro Tag versendet. Sehr viele E-Mails verurteilen jede Art von Diskriminierung und Antisemitismus, Pauschalisierungen und Hetze im Zusammenhang mit dem Thema. Die Flut der Vernünftigen spült hier die radikalen Kommentare weg.
Ja, es gibt sie, die gemäßigten und verantwortungsvollen Stimmen, die Uris und Ahmads. Mit ihnen muss ich nicht diskutieren, was der Unterschied zwischen Zionismus, Judentum und Israel ist. Dass 300 Teilnehmer einer Demonstration mit antisemitischen Hetzparolen nicht die gesamte Berliner Bevölkerung mit arabischem Migrationshintergrund darstellen. Dass dort auch noch ganz andere Konflikte ausgetragen werden.
Berlin bietet eigentlich genau das, was in der Nahostdebatte fehlt: Menschen, die nicht hyperventilieren, wenn sie nur das Wort Nahost hören. Wenn es will, wenn wir wollen, kann die Stadt bei der Friedenssuche Vorbild sein. Hier, fern von Israel und Palästina, nahe der deutschen historischen Schuld, in der kulturellen Vielfalt der Gegenwart, lässt sich trefflich und sachlich über alles reden. Natürlich wird das den Konflikt nicht lösen, aber es zeigt: Ein Dialog ist möglich.
Eins macht mich aber nachdenklich an Ahmad, Uri und Co. Sie sind, obwohl am sogenannten Al-Quds-Tag in Berlin auch viele für Frieden und Toleranz auf der Straße waren, noch zu leise. Ich würde mir wünschen, dass all jene, die durch die jetzige Eskalation nicht fanatisiert sind, immer wieder laut sagen: Wir sind da! Allein das würde der Debatte guttun, in Berlin und überall sonst.