Debatte um Promillegrenze für Radfahrer: Verkehrsgerichtstag gegen blau für lau
Betrunkene Radfahrer sollen künftig schon ab 1,1 Promille Alkohol im Blut Bußgeld zahlen. Das hat der Verkehrsgerichtstag gefordert. Experten halten den alten Grenzwert von 1,6 Promille für zu hoch – aber senken lässt er sich nur sehr schwer.
Beschwipst oder gar sturzbetrunken am Lenker – für Fahrradfahrer hat dies rechtlich bisher kaum Folgen. Wer mit weniger als 1,6 Promille auf dem Rad erwischt wird, wie er nach einer Wochenendfete nach Hause schlenkert, muss derzeit nicht einmal ein Bußgeld befürchten, solange er fehlerfrei fährt. Doch das kann sich bald ändern: Der Verkehrsgerichtstag empfiehlt, Radfahren ab 1,1 Promille als Ordnungswidrigkeit einzustufen – und zu sanktionieren. 250 Euro könnte dann die Trunkenheitsfahrt am Lenker kosten, vermutet Unfallforscher Siegfried Brockmann. In der Vergangenheit haben Empfehlungen des Verkehrsgerichtstages immer wieder Eingang in die Rechtsprechung gefunden.
Das Thema „Radfahrer und Alkohol“ nahm beim Verkehrsgerichtstag eine zentrale Rolle ein, auch wenn sich sein Präsident zunächst skeptisch äußerte. Gerade in Großstädten wie Berlin dürfte die Debatte, wo viele Feierwütige nach Partys zwar mal das Auto stehen lassen, aber statt ein Taxi zu nehmen lieber aufs Fahrrad steigen, aufmerksam verfolgt werden.
0,5-Promille-Grenze wie bei Autofahrern - für Radfahrer nicht sinnvoll
Den „Gefahrengrenzwert“ von 1,6 Promille beim Radfahren hatte der Bundesgerichtshof bereits 1986 festgelegt. Die Unfallforscher der Versicherungswirtschaft wollen ihn jetzt senken und haben eine Studie in Auftrag gegeben, die die Fahrunfähigkeit auf dem Rad bei viel Alkohol im Blut neu nachweisen sollte. Sie habe ergeben, dass fast alle, die sich stark betrunken auf den Sattel setzen, eine Gefahr für sich und andere Verkehrsteilnehmer seien, sagt Brockmann. Aber dies gelte nicht für alle. Deshalb sei es rechtlich wohl nicht möglich, den Gefahrengrenzwert von 1,6 Promille zu senken.
Daher gebe es den Vorschlag, eine 1,1-Promille-Grenze einzuführen, bei der das Überschreiten als Ordnungswidrigkeit eingestuft werde, sagt Brockmann. Den Wert auf die für Autofahrer geltenden 0,5 Promille zu senken, sei nicht sinnvoll. Mit einem höheren Wert bei Radfahrern grenze man diese deutlich vom Auto ab. Wären die Sanktionen identisch, könne dies Betrunkene dazu verleiten, sich eher ans Steuer eines bequemen Autos zu setzen als auf den ungemütlicheren Sattel. Und die Gefahr, die von alkoholisierten Autofahrern ausgehe, sei wesentlich höher als bei Radlern.
Die Dunkelziffer von Fahrradunfällen unter Alkoholeinfluss ist wohl dreimal so hoch
Dabei wisse man, dass der 1,6-Promille-Wert „eigentlich zu hoch“ sei, sagte Brockmann weiter. Nach der Berliner Polizeistatistik von 2013 – neuere Zahlen gibt es noch nicht – stellten Radfahrer mit 14,36 Prozent immerhin die zweitgrößte Gruppe bei den alkoholisierten Unfallverursachern. Meist verletzen sie sich allerdings selbst. Durch ihre unsichere Fahrweise könnten sie aber auch Autofahrer zum plötzlichen Bremsen zwingen, was ebenfalls zu Unfällen führen könne, berichtet Brockmann. Insgesamt registrierte die Polizei 7007 Verkehrsunfälle mit Radfahrern. Dabei standen 205 Radler unter Alkoholeinfluss und hatten den Unfall verursacht oder mit verursacht.
Betrachtet man die Unfallursachen nur von Radfahrern, dominiert das Benutzen der falschen Fahrbahn; Alkoholeinfluss liegt in der Polizeistatistik weit hinten. Allerdings sei die Dunkelziffer mindestens dreimal so hoch, wenn man – wie in Münster – die Zahl der ins Krankenhaus gebrachten alkoholisierten Unfallradler mit den Angaben der Polizei vergleiche, die auch nicht jeden Unfall aufnehmen könne, sagt Brockmann.
Führerscheinentzug ab 1,1 Promille unwahrscheinlich
Wer mit 1,6 Promille und mehr erwischt wird, muss in der Regel auch seinen Autoführerschein – sofern vorhanden – abgeben. Dies sei keine Strafe, sondern solle die Allgemeinheit vor Fahrern schützen, die nachweislich nicht in der Lage seien, ein Fahrzeug sicher im Verkehr zu führen, heißt es von Experten. Dass eine Führerscheinsperre bereits ab 1,1 Promille durchzusetzen wäre, hält Brockmann für unwahrscheinlich.
Die Berliner Polizei begrüßt „im Sinne der Verkehrssicherheit“ den Vorschlag, den derzeitigen Alkoholgrenzwert für die absolute Fahruntüchtigkeit von Radfahrern zu überprüfen, sagte ein Sprecher. Auch Bernd Zanke vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) setzt sich für die 1,1-Promille-Regel ein, die auch Andreas Baum von den Piraten für angemessen hält. Dagegen ist Oliver Friederici, Verkehrsexperte der CDU, dafür, den Wert für Radfahrer dem der Autofahrer gleichzusetzen – also 0,5 Promille. Unterschiede solle es hier nicht geben. Erst recht nicht an Partywochenenden.