zum Hauptinhalt
Die Mieter in der Karl-Marx-Allee protestieren gegen den Verkauf von rund 800 Eigentumswohnungen an die Deutsche Wohnen.
© imago/Peter Homann

Grüne Bundestagsabgeordnete in Friedrichshain-Kreuzberg: Vergesellschaftung ist möglich

Zur Enteignung von Immobilienkonzernen ist nur politischer Wille nötig, schreibt unsere Gastautorin. Sie beruft sich auf ein Gutachten des Bundestags.

Vor über einem Jahr habe ich in einer Veranstaltung gefordert, dass der Staat zum Schutz der Mieterinnen und Mieter weitreichende Eingriffe in das Eigentum – bis hin zur Enteignung gegen Entschädigung – vornehmen kann, was einige zu Aufschrei und Kritik veranlasste. Umso mehr freut es mich als Juristin, dass wir jetzt sachlich und inhaltlich über die Initiative „Deutsche Wohnen enteignen“ diskutieren können. Die in meinem Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg entstandene Initiative will die großen privaten Wohnungsbauunternehmen (ab 3000 Wohnungen) in Berlin nach Artikel 15 des Grundgesetzes (GG) vergesellschaften. Mit dem Ziel, der Verdrängung von Mietern entgegenzuwirken und die Mietpreise in der Stadt stabil zu halten.

Ende letzten Jahres wandte ich mich an den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags mit Fragen zur Vergesellschaftung gemäß Artikel 15 GG. Und erhielt nun eine Antwort, die manche Kritiker vielleicht überrascht. Der Tenor der Antwort: Es würde gehen, wenn man politisch will und es gut gemacht ist. Jedenfalls widerspricht das Gutachten den Kritikern, die die Umsetzung der Ziele der Initiative „Deutsche Wohnen enteignen“ für unmöglich halten.

Eine "Sozialisierungsreife" bei Großunternehmen wäre unproblematisch

Artikel 15 GG setzt seinem Wortlaut nach ein Gesetz voraus: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Art. 14 Absatz 3 entsprechend.“ Ein solches Gesetz könnte vom Land Berlin erlassen werden, führt das Gutachten aus, da der Bund bisher von seiner Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch gemacht hat. In einem solchen Sozialisierungsgesetz müsste aufgelistet werden, unter welchen Voraussetzungen Wohnungen beziehungsweise Grundstücke sozialisiert werden sollen.

Daher erfordert die Übernahme von Wohnungen der Deutschen Wohnen unter anderem zwingend, diese in die Gemeinwirtschaft zu überführen. Der Eingliederung in die bestehenden (privatwirtschaftlich organisierten) landeseigenen Unternehmen würde dies entgegenstehen. Es wäre aber eine Anstalt des öffentlichen Rechts denkbar, in der das gemeinwirtschaftliche Prinzip lediglich Kostendeckung zum Ziel hat und Rendite mit der Miete ausschließt. Die Frage, warum eine Vergesellschaftung erst bei Immobilienunternehmen mit einer Mindestanzahl von 3000 Wohnungen greifen soll, wird in dem Gutachten nicht beantwortet. Aber aus der zitierten Literatur wird deutlich, dass eine "Sozialisierungsreife" bei Großunternehmen eher unproblematisch wäre.

Die Vergesellschaftung von Wohnungen der „Deutschen Wohnen & Co“ ist möglich

Beachtlich sind die Ausführungen in dem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes zur Frage der Entschädigung. Denn es stellt sich die Frage, ob das Land Berlin überhaupt über die Mittel verfügt, die Wohnungen nach dem Verkehrswert von der Deutschen Wohnen und anderen Firmen zu erwerben. Aus rechtlicher Sicht ist klar, dass es dem Staat nicht verunmöglicht werden kann, seine Aufgaben wahrzunehmen, nur weil ihm die finanziellen Mittel fehlen. Zudem habe sich der Gesetzgeber mit der Formulierung, dass die Entschädigung „unter gerechter Abwägung der Interessen“ zu bestimmen sei, gegen das Erfordernis einer bestimmten Entschädigungshöhe entschieden, so das Gutachten. Artikel 15 lege nur fest, dass die Entschädigung nicht vollständig entfallen dürfe.

Die Vergesellschaftung von Wohnungen der „Deutschen Wohnen & Co“ ist also möglich, wenn es gelingt, ein gutes Vergesellschaftungsgesetz zu verabschieden. Dabei könnte das Land die Wohnungen sogar deutlich unter dem Verkehrswert übernehmen. Das sollte allen Beteiligten klar sein. Entbehrlich wäre die Vergesellschaftung, wenn das Mietrecht die Mieterinnen und Mieter vor Spekulation und überhöhten Mietpreisen wirksam schützen könnte. Insofern wäre ein Sozialisierungsgesetz des Landes Berlin ein Notwehrrecht gegen den Bundesgesetzgeber, der die Mieter ungeschützt dem unkontrollierbaren Markt und damit den Spekulanten überlässt.

In Artikel 14 GG steht übrigens: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“. Wie wäre es denn, wenn die so angesprochenen Immobilienunternehmen von sich aus ihre Verantwortung für das Wohl der Allgemeinheit erkennen und mit dem Land Berlin an einem runden Tisch die Bedingungen für den Schutz der Mieterinnen und Mieter aushandeln? Den Tisch dafür würde ich gerne zur Verfügung stellen.

Canan Bayram ist Rechtsanwältin und ehemaliges Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin. Im September 2017 wurde die Grünen-Politikerin für Kreuzberg in den Bundestag gewählt.

Zwölf Newsletter, zwölf Bezirke: Unsere Leute-Newsletter aus allen Berliner Bezirken können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de

Canan Bayram

Zur Startseite