Schulessen in Berlin: Verderbt den Kindern nicht den Appetit!
Matsch auf den Teller, runterwürgen, zack, zack: Alltag in den Kantinen für Berlins Schüler. Was sie hier lernen, wird Folgen haben. Ein Kommentar.
Putensteak mit Bratensoße, Kartoffeln und Romanesco. Kohlrabieintopf mit frischer Petersilie und Bauernbrot. Lachsfilet mit Soße à la Choron und Bulgur. Klingt lecker, was da diese Woche in der Grundschule meiner sieben Jahre alten Tochter auf dem Speiseplan steht. Isses aber nicht.
Wenn ich sie nachmittags frage, was es in der Schulkantine zu essen gab, sagt sie meistens: was Ekliges. Oder: Matsch mit Erbsen. Satt ist sie fast nie, wenn ich sie abhole. Wenn das, was der Caterer morgens angeliefert hat, zur Mittagszeit tatsächlich doch geschmeckt haben sollte, musste sie sich hetzen. Weil nicht genug Zeit ist, die gesamte Schülerschaft in Ruhe abzufüttern.
Wir kaufen dann meistens beim Bäcker eine Brezel oder holen ein Stück Pizza, damit sie auf dem Nachhauseweg keine schlechte Laune bekommt oder auf dem Spielplatz vor Hunger vom Klettergerüst fällt. Abends müssen wir kochen, weil das Kind den ganzen Tag nichts Warmes im Magen hatte. Kollegen und Bekannte berichten, dass es bei ihren Kindern ganz ähnlich läuft.
Wieso ist es unmöglich, Berlins Kindern in der Schule eine Mahlzeit zu servieren, die einigermaßen schmeckt und satt macht? Warum lernen die Schüler, dass Essen kein geselliger Genuss ist, sondern ein Stressfaktor?
Natürlich: Kinder sind mäkelige Esser, man wird nie den Geschmack aller treffen. Berlin hat auch deutlich höhere Standards als die meisten anderen Bundesländer, was die Qualität der Mahlzeiten und die Zutaten angeht. Das Mittagessen ist zudem seit Beginn des Schuljahres für alle Kinder kostenlos, eine wirkliche soziale Errungenschaft.
Es muss schnell und beengt gegessen werden
Was aber momentan in den Schulkantinen der Stadt herrscht, kann man als gut gemeintes Chaos bezeichnen. Auf die Einführung des kostenlosen Schulessens für alle waren die Schulen nicht vorbereitet, weder baulich noch personell.
Die Folge: Es muss schnell und beengt gegessen werden, an manchen Schulen wurde der Stundenplan komplett umgestellt und eine nullte Stunde eingeführt, um Zeit in der Kantine zu gewinnen. Und weil kaum ein Schulgebäude dafür ausgestattet ist, Hunderte Portionen selbst zu kochen oder auch nur zu erwärmen, kommt am Ende auf dem Teller häufig Matsch an.
Doch dieser Matsch wird Folgen haben. Die Bildungsverwaltung argumentiert zwar gerne, bei den aktuellen Problemen handle es sich lediglich um eine Übergangsphase, in ein paar Jahren werde es neue Kantinen geben, bessere Abläufe. Die aktuelle Generation Berliner Schüler wird aber mit der Nahrungsaufnahme bis auf Weiteres Hetze assoziieren und womöglich sogar Ekel. So verdirbt man den Kindern nicht nur den Appetit auf das Essen in der Schule – es geht um mehr.
An die Stelle einer Esskultur, die von Genuss, Gemeinschaft und Gemütlichkeit geprägt ist, tritt für sie eine Snackkultur: vor dem ersten Stundenklingeln noch schnell zum Bäcker, um einen Sesamkringel oder ein Rosinenbrötchen für die große Pause kaufen, mittags in der überfüllten und lauten Kantine schnellstmöglich irgendeinen Pamps runterwürgen, nach Unterrichtsende und Hort sofort mit Papa zum Kiosk.
Die größten Profiteure des Berliner Schulessens in seiner heutigen Form sind nicht die Kinder, sondern die Brezelbäcker und Pizzabuden der Stadt.