Berlin und die Nachwuchslehrer: Unterschreiben Sie bitte - nicht!
Berlin braucht dringend Pädagogen und bietet einem jungen Mathematiklehrer, der hier arbeiten will, dennoch keinen Vertrag an. Die Bildungsverwaltung will aus Fällen wie diesem lernen. Das ist dringend nötig, denn pro Jahr werden tausend Beamte pensioniert.
Jährlich gehen etwa 1000 Lehrer in Berlin in Pension – aber die Bildungsverwaltung schafft es noch immer nicht, die wenigen Nachwuchslehrer, die nach Berlin wollen, an sich zu binden. Im Januar ist erneut einer der heiß begehrten voll ausgebildeten Mathematiklehrer verloren gegangen, weil er zwei Wochen vor Arbeitsbeginn noch immer keine verbindliche Zusage auf dem Tisch hatte.
„Hätte Berlin mir im Dezember einen Arbeitsvertrag geschickt, hätte ich unterschrieben“, sagt Markus Stiller*, der am heutigen Montag seinen ersten Arbeitstag im brandenburgischen Falkensee absolviert. Die Folgen für das Charlottenburger Sophie-Charlotte-Gymnasium, das fest mit ihm gerechnet hatte, sind immens. Denn Stiller sollte in Klasse 7 und 8 den Physikunterricht übernehmen und zudem viel Mathe unterrichten, damit sich die wenigen Physiklehrer, die noch da sind, zumindest in den höheren Klassen auf das Mangelfach konzentrieren und ihr Zweitfach Mathe vernachlässigen können.
Berlin verliert gegen andere Bundesländer
„Wir haben es mit einem zunehmenden Substanzverlust zu tun“, sagt Schulleiter Christoph Schmerling. Er und sein Stellvertreter unterrichten viel mehr, als sie es in ihren Leitungsfunktionen müssten, um den Mangel an Physiklehrern so weit wie möglich auszugleichen. Unter den sechs Referendaren, die die Schule bekommen hat, ist kein einziger mit Physik und nur einer mit Mathematik. In den vergangenen Jahren hat Schmerling fünf Lehrer für Mathematik oder Physik an andere Bundesländer verloren, „weil Berlin nicht konkurrenzfähig ist“.
Die Situation ist typisch für Berlin. Überall klagen Schulleiter über den Lehrermangel in den naturwissenschaftlichen Fächern, umgekehrt gibt es sehr viele Referendare mit den Fächern Deutsch oder Geschichte. Die aktuelle Gesetzeslage macht es unmöglich, die Lehrer nach Bedarf auszubilden. Stattdessen müssen die Schulen alle Uni-Absolventen ausbilden. „Wir müssten den Mut finden, mehr zu steuern“, sagt Ralf Treptow vom Verband der Oberstudiendirektoren.
Die Bildungsverwaltung ist offenbar dabei, Konsequenzen zu ziehen. Gefragt nach dem konkreten Fall am Sophie-Charlotte-Gymnasium hieß es – nach fünf Tagen Bedenkzeit – schließlich: „Wir haben aus der Vergangenheit gelernt und verfolgen das Ziel, bereits jetzt die Lehrkräfte an uns zu binden, die der Bewerbermarkt hergibt.“ Selbstverständlich sei man bemüht, Einstellungszusagen so früh wie möglich zu geben. Genau daran nämlich, an einer konkreten, verbindlichen Zusage, hatte es im konkreten Fall gefehlt.
Freie Stellen werden besetzt - mit Referendaren und Seiteneinsteigern
Da Berlin Lehrer nicht mehr verbeamtet, ist es ohnehin schwierig, Nachwuchs zu gewinnen. Hinzu kommt die derzeitige Pensionierungswelle. Rund 11 000 der 27 000 Berliner Lehrer sind über 55 Jahre alt. Sie mache sich „wirklich große Sorgen“, sagt Gunilla Neukirchen vom GEW-Schulleiterverband. Deshalb ist sie froh, dass es die Bildungsverwaltung geschafft hat, zum heute beginnenden zweiten Schulhalbjahr alle 580 freien Lehrerstellen zu besetzen. Weitere 140 sollen in den nächsten Monaten folgen.
Allerdings muss die Bildungsbehörde schon jetzt erheblich Abstriche machen. So werden nicht nur Seiteneinsteiger ohne Lehrerausbildung geholt, sondern auch mehr Referendare denn je eingestellt, um den Unterricht abzudecken. Auf der Homepage der Junglehrerinitiative „Bildet Berlin“ heißt es etwa, dass am Gottfried-Keller-Gymnasium 16 Referendare eingesetzt seien. Ihnen stünden nur 44 Lehrer gegenüber.
* Name von der Redaktion geändert
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