Verlustgeschäft Flughafen BER: Unternehmer hoffen und kalkulieren neu
Am Irgendwann-Flughafen BER verstauben Geschäfte und verrotten Träume. Hier erzählen Geschäftsleute, ob sie noch an eine Eröffnung glauben – und wie viel Geld sie inzwischen verloren haben.
Mehr als ein Jahr ist BER-Flughafenchef Hartmut Mehdorn im Amt. Wann der Flughafen eröffnet wird, weiß auch er nicht. Spätestens bis zum Ende seiner Amtszeit im Februar 2016 soll das Unvorstellbare doch noch Wirklichkeit werden. Doch während Berlin und Brandenburg auf den Flughafen warten, haben einige Betroffene schon lange aufgegeben. Als die Eröffnung zum zweiten Mal am 8. Mai 2012 kurzfristig abgesagt wurde, traf dies tausende Menschen unvorbereitet. Viele hatten alte Jobs gekündigt, waren nach Berlin gezogen oder hatten sogar Kredite aufgenommen, um neue Geschäfte am BER zu eröffnen. Zwei Jahre danach und zwei Jahre vor dem nächsten Eröffnungstermin blicken Unternehmer mit gemischten Gefühlen in Richtung Schönefeld. Wir stellen sie vor:
Haru-Reisen
Sechs Busfahrer und eine Buchhalterin hatte Karsten Schulze angestellt. Als geschäftsführender Gesellschafter des Spandauer Busunternehmens Haru-Reisen wollte er eine neue Schnellbuslinie zwischen Steglitz und dem BER eröffnen. Die Bushaltestelle war bereits zugewiesen, drei Busse für 800 000 Euro waren gekauft. Doch wo kein Flughafen, da auch keine Reisenden. Im vergangenen Herbst gab Schulze auf. Die Busse und Mitarbeiter auf unbestimmte Zeit quer zu subventionieren, konnte sich sein mittelständisches Unternehmen nicht leisten. 100 000 Euro hat er für die sieben neuen Mitarbeiter am Ende bezahlt. Im Herbst musste er sie entlassen. An die Flughafeneröffnung 2015 oder 2016 glaubt er nicht. „Nach allem was ich höre, wird das frühestens 2017 etwas“, sagt Schulze. Ob er dann die geplante Buslinie einrichten wird, muss er neu kalkulieren.
Die bereits gekauften Busse hat er im Herbst zu einem geringeren Preis wieder verkauft. Seine Verluste durch die um Jahre verschobene Eröffnung belaufen sich auf rund 250 000 Euro. Geld, das er hofft zumindest teilweise zurückzuerhalten. Derzeit ist er mit anderen geschädigten Unternehmern im Gespräch, um eine Sammelklage vorzubereiten. Doch man wartet noch das Ergebnis der Klage der Air Berlin gegen den Flughafenbetreiber ab. Denn es ist zu befürchten, dass der Flughafen, um einen Präzedenzfall zu vermeiden, durch alle Instanzen gehen wird. Bis zu zehn Jahre könnte ein solcher Prozess dauern. Die dabei entstehenden Kosten dürften für einige der Mittelständler nicht zu stemmen sein. Schulze hofft deswegen auf ein Entgegenkommen der Flughafenbetreiber. Das fände er nur fair.
Ana e Bruno
Schwer getroffen hat es auch Bruno Pellegrini, Betreiber des italienischen Restaurants „Ana e Bruno“ am S-Bahnhof Westend. Das Mobiliar war gekauft, die Kücheneinrichtung bezahlt. Dann kam die Schreckensnachricht. Dann noch eine und noch eine. Bis heute kann es der gebürtige Italiener nicht glauben, dass dies in Deutschland möglich ist. „So ein Durcheinander hatte ich mir nicht vorgestellt“, sagt Pellegrini. Dennoch gibt er sich heute versöhnlich. Die Flughafenbetreiber verklagen will er nicht. Wie viel genau er durch das Flughafenfiasko verloren hat, weiß er nicht. Vielleicht will er es auch nicht so wirklich wissen. „Der Flughafen hat sich anständig verhalten“, sagt Pellegrini, „Wir haben nun eine Geschäftsfläche am Flughafen Tegel erhalten. Die ist kleiner, aber läuft sehr gut.” So der Flughafen eines Jahres fertig sein wird, will er mit dem Restaurant in Tegel umziehen. Das Mobiliar für die Ladenfläche am BER ist seit Jahren in einem Lager in Italien verstaut. „Wir haben uns damals für eine sehr klassische Variante entschieden. Die ist auch 2016 nicht aus der Mode“, sagt Pellegrini. Ob dann auch der Restaurantherd funktionieren wird, ist ungewiss. Die neue Kücheneinrichtung ist nicht einmal benutzt worden. Wenn in einigen Jahren das erste Mal „Crema di cicerchie di Colfiorito con scampi“ zubereitet werden wird, ist die Garantie längst abgelaufen. In den Geschäftsräumen am BER hat er lange nicht vorbeigeschaut. „Wer will sich dort schon im Spiegel anschauen und bemitleiden?“, sagt Pellegrini, „Ich nutze meine Zeit lieber dafür, anderswo wieder Geld zu verdienen.“
Askania
„Ich rede nicht mehr gerne darüber“, sagt Leonhard R. Müller, Chef der Berliner Uhrenmanufaktur Askania, „Unsere Kunden sollen aus Begeisterung unser Produkt kaufen und nicht weil sie Mitleid mit dem Unternehmen haben.” In den zwei Geschäftsräumen von Askania am BER war zum Start im Juni 2012 alles aufgebaut: Regale, Beleuchtung, Vitrinen und eine kleine Küche. Nur die Ware lag noch nicht aus. Man fürchtete sich vor Diebstählen im noch menschenleeren Flughafen. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Plastikplanen sind über die Möbel gelegt. Manchmal kommen Handwerker vorbei, öffnen die Zimmerdecke, um Kabel zu verlegen, gehen wieder.
Ansonsten herrscht Stille. Nicht einmal das Ticken von Uhren stört die vor sich hin staubende Zeit. „Wir könnten die Waren einräumen und am nächsten Tag eröffnen“, sagt Müller. Den bisherigen Verlust und entgangenen Gewinn schätzt Müller auf rund 1,5 Millionen Euro. Fünf Leute hatte er eingestellt, um in den Geschäften zu arbeiten. Neun Monate hat er sie bezahlt. Dann mussten sie gehen. Askania hat sich mittlerweile aus dem Geschäft am BER zurückgezogen. Man werde nur noch Waren liefern, betreiben werde die Geschäfte jemand anderes. Müller selbst hat den Flughafen seit Mai 2013 nicht mehr betreten. Nur das Flughafenpersonal besichtigt hin und wieder die Räume. Macht den Wasserhahn auf und wieder zu, damit die Leitungen nicht verkalken. Zumindest hofft Leonhard Müller das.
Look54
Eine eigene Geschäftsfläche am Flughafen hat Timo Röpcke, Geschäftsführer vom Modeshop Look54, nicht: „Gott sei Dank, das hätte uns in ernste Schwierigkeiten gestürzt.“ Doch da die Firma LS Travel Retail eine Franchise-Filiale von Look54 aufmachen wollte, hängt auch er mit drin. In dem Geschäft hätte Mode verkauft werden sollen, Look54 wollte die Klamotten liefern. Röpcke hatte dafür einen neuen Mitarbeiter eingestellt. Doch zwei Tage vor dem ersten Liefertermin wurde der Auftrag gestoppt. Bis heute wurde nicht eine Socke am BER verkauft. Der neue Mitarbeiter musste wieder gehen. Die fertiggebaute Filiale hat Röpcke nicht gesehen. Wenn der Flughafen eines Tages eröffnet wird, muss die Innenausstattung des Geschäfts überarbeitet werden. Denn mit den Jahren hat sich der Look von Look54 verändert. Das kostet. „Aber nicht uns. Für uns war eine neue Geschäftseröffnung am Flughafen nie eine Option“, sagt Röpcke, „zu kompliziert. Zu lange Öffnungszeiten.“ Doch obwohl Look54 keinen eigenen Laden geplant hatte, zeigt sich das Fiasko in Schönefeld auch in den Büchern des kleinen Mode-Labels. Wie viel genau er verloren hat, weiß Röpcke aber nicht zu schätzen.
Ampelmann
„Ich weiß gar nicht, wie es dort aussieht”, sagt Markus Heckhausen, Geschäftsführer der Firma Ampelmann. In die verlassenen Geschäftsräume am BER hat er sich lange nicht mehr getraut. Auch er hatte alles fertig; die Regale, das Sortiment. Wenn eines Tages der BER öffnet, wird das Design veraltet sein. Auch Souvenir-Geschäfte müssen mit dem Trend gehen, sonst wirkt das Geschäft veraltet, das Mobiliar schmuddelig, die Produkte aus der Zeit gefallen. „Aber wir wollen dort definitiv hin“, sagt Heckhausen, „Das ist für uns die ideale Lage am Flughafen.“ Derzeit verwaltet die Firma LS Travel Retail die menschenleeren Geschäftsräume des Ampelmannshops. „Ich denke mal, dass dort noch alles so ist wie vor Jahren“, sagt Heckhausen, „aber wirklich wissen tue ich es nicht.“
Michel Penke