Psychologe Ahmad Mansour im Interview: Unterdrückung im Namen der Ehre
Der Mord an einer Afghanin in Berlin wirft Fragen auf. Ein Gespräch mit Psychologe Mansour über patriarchale Strukturen.
Ahmad Mansour ist Psychologe und Autor. Er beschäftigt sich mit Projekten und Initiativen gegen Radikalisierung, Unterdrückung im Namen der Ehre und Antisemitismus in der islamischen Gemeinschaft. Ahmad Mansour ist ein deutsch-israelischer Psychologe und Autor. Die von ihm gegründete Initiative Mind Prevention realisiert Projekte zur Förderung der Demokratie, gegen Extremismus, religiösen Fundamentalismus, Antisemitismus und Unterdrückung im Namen der Ehre. Zu diesen Themen hat der Islamismus-Experte mehrere Bestseller geschrieben, darunter „Klartext zur Integration“ (2018) und „Generation Allah“ (2015).
Herr Mansour, in Berlin stehen zwei Brüder aus Afghanistan im Verdacht, ihre Schwester ermordet zu haben, weil sie deren westliche Lebensweise nicht toleriert hätten. Unterstellt, der Verdacht bestätigt sich: Woher kommt dieser Hass auf die westliche Lebensweise. Es wäre ja nicht der erste Ehrenmord.
Vorab erstmal: Der so genannte Ehrenmord ist in Deutschland leider nicht selten. Ich habe jahrelang mit der Polizei in Berlin zusammen gearbeitet, deshalb weiß ich das. Und wenn man sich die bundesweite Lage anschaut, dann weiß man, dass es jährlich mehrere dieser Morde aus verletzter Ehre gibt.
Aber weshalb führt der westliche Lebensstil zu solchem Hass?
Die Männer verstehen ihre Männlichkeit klar definiert: In ihren Augen macht sie als Mann die Fähigkeit aus, die weibliche Sexualität zu kontrollieren, vor allem bei jenen Frauen, die zur eigenen Familie gehören. Kontrolliert wird, ob die eigene Schwester etwas macht, das die Community als unmoralisch bezeichnet. Und die bezeichnet alles als unmoralisch, was nicht der Tradition entspricht. Das heißt, Sexualität darf nur innerhalb der Ehe stattfinden, alles was vorher sein könnte, muss unterdrückt und verboten werden.
Sie reden von Sexualität. Was ist mit Schminken oder dem Tragen von kurzen Röcken?
Das ist von Familie zu Familie sehr unterschiedlich. Manche Familien achten nur auf Jungfräulichkeit und verlangen die auch von ihren Frauen. In anderen Familien kann schon die Weigerung, ein Kopftuch zu tragen oder der Wunsch, sich zu schminken, alleine wohnen zu wollen, einen Beruf haben zu wollen zu massivem Druck auf die Frauen führen.
In Berlin haben diverse Lehrer erklärt, sie stellten bei diversen Schülern, die aus patriarchalischen Strukturen kommen, fest, dass die Druck auf muslimische Mitschülerinnen ausübten, wenn die sich nicht traditionsgemäß verhielten.
Ja, man kann in Berliner Schulen oft beobachten, dass ein Schüler, der aus patriarchalischen Strukturen kommt, gewalttätig oder zumindest aggressiv wird, wenn seine Schwester mit einem Schulkameraden redet, der nicht aus der Familie kommt. Es muss nicht Sexualität im engeren Sinne sein, das Druck erzeugt, sondern alles, was die Familie als abweichend von ihrer Moral und ihrer Tradition betrachtet.
[Lesen Sie auch: Wie sich patriarchalische Strukturen auf Berliner Schulen auswirken (T+)]
Und die Moral legen männliche Familienmitglieder fest?
Natürlich. Und dann muss ich leider etwas sagen, was meist vergessen wird: Da macht die Religion auch mit. Viele Menschen, die aus Afghanistan oder aus Syrien kommen, verbinden ihr Verständnis von Islam mit diesen patriarchalischen Strukturen. Kein Imam wird sagen, dass eine Frau ermordet werden soll, wenn sie sich an westlichen Lebensweisen orientiert. Aber Sie werden kaum einen Imam finden, der sagt, die Frau habe ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung.
Wie soll die westliche Gesellschaft damit umgehen? Wie überzeugt man Männer aus patriarchalischen Strukturen, dass in Deutschland Gleichberechtigung der Frau und sexuelle Selbstbestimmung herrscht?
Ich arbeite viel mit Flüchtlingen, und bei meiner Arbeit ist die Sexualität das Thema Nummer eins. Da zeigen sich immer wieder die großen Differenzen zwischen beiden Kulturen, zum Beispiel in Afghanistan oder Syrien verglichen mit Deutschland. Diese Unterschiede erzeugen enorm viele Ängste, sie erzeugen auch Ablehnung der westlichen Gesellschaft und teilweise pure Verachtung dieser Gesellschaft und ihrer Werte. Diese Ablehnung betrifft also nicht bloß die eigenen Frauen, auch deutsche Frauen werden für ihren Lebensstil verachtet. Und die deutsche Kultur wird von vielen abgewertet. Das sind alles Punkte, die für eine Integration von Bedeutung sind.
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Und wie führt man diese Werte zusammen?
Wir als Gesellschaft müssen uns ganz stark auf diese Differenzen in der Vorstellung wie ein Frau zu leben hat, konzentrieren. Wir müssen ganz viel über Freiheit und Gleichberechtigung als Chance auch für die Männer sprechen, sich von dieser Last zu befreien wir müssen gewinnend arbeiten, wir müssen ihnen zeigen, dass wir etwas anzubieten haben. Freiheit ist etwas großartiges. Deshalb kommen die Menschen ja zu uns.
Aber mit dieser Freiheit haben offenbar viele auch Probleme.
Ja, sie kommen mit dieser Form von Freiheit nach kurzer Zeit nicht klar und ziehen sich in ihre Parallelwelt zurück. Dadurch werden die Communities wichtiger. Die Community zählt dann mehr als die Mehrheits-Gesellschaft und ihre Werte. Die Integrationsarbeit muss intensiviert werden. Dann gibt es aber noch einen Punkt.
Ja?
Wir haben einen Rechtsstaat. Der soll nicht bloß die männlichen Flüchtlinge schützen, sondern auch die Frauen, die geflohen sind und mit Deutschland Freiheit und Emanzipation verbinden. Deutschland ist ein Staat, der sagt: Herzlich willkommen in Europa. Aber die Botschaft muss auch sein: Wenn jemand hier patriarchalischen Strukturen weiterleben will, dann wird der Staat dies auf jede rechtmäßige Weise unmöglich machen.
[Lesen Sie hier bei T-Plus: Mord an junger Afghanin in Berlin - Wenn männliches Ehrgefühl tötet]
Sehen Sie Fehler in der Integrationspolitik?
Absolut. In der Gesellschaft herrscht kaum ein Wahrnehmungsbewusstsein für die Probleme, die es bei der Integration von Migranten gibt. Sehr viele verdrängen oder relativieren diese Probleme. Bei Ehrenmord wird von Femizid gesprochen, vom allgemeinen Phänomen von Gewalt gegenüber Frauen.
Natürlich gibt es diese allgemeine Gewalt gegen Frauen, aber wenn wir dabei die kulturellen und religiösen Hintergründe von bestimmten Phänomenen ausblenden, hilft das nicht weiter. Ich habe den Eindruck, dass teilweise die allgemeine Diskussion über die Abwertung von Frauen und die Ablehnung von Emanzipation und Gleichberechtigung dazu führt, dass wir im Speziellen nicht weiterkommen.
Damit meine ich die Unterdrückung und die Gewalt in patriarchalischen Strukturen, die bei vielen Flüchtlingen herrschen. Und in der Folge führt das natürlich dazu, dass man zu wenig dafür tut, diese Leute zu erreichen. Es hilft ja nicht, bloß zu sagen: In Deutschland herrscht Gleichberechtigung. Migrationsarbeit bedeutet ja, dass man die Flüchtlinge für die Werte dieser Gesellschaft gewinnt.
Integrationsarbeit bedeutet Ängste abzubauen und für Freiheit zu begeistern. Dazu gehört auch die Bekämpfung von Parallelgesellschaften. Bei diesen Punkten sehe ich noch ganz große Defizite.
Es gibt viele Flüchtlingsinitiativen. Wie sind Ihre Erfahrungen mit ihnen? Vermitteln sie effektiv, dass Frauen ein Selbstbestimmungsrecht bei ihrer Sexualität haben und dass sie gleichberechtigt sind?
Im Einzelnen ja, im Allgemeinen gar nicht. Ein Großteil der Flüchtlingsinitiativen versteht sich als Schutzmacht für Flüchtlinge gegen Rechte und gegen jene Menschen, die Flüchtlinge ablehnen. Das ist natürlich ein unterstützenswertes Ziel und eine notwendige Aufgabe, aber die Initiativen nehmen die Menschen, die sie schützen wollen, nicht in die Verantwortung.
Stattdessen wollen sie nur zeigen, dass sie die besseren Deutschen sind, große Moral besitzen und offen und vielfältig sind. Aber Vielfalt ist nicht nur positiv. Zur Vielfalt gehört auch der massive Druck auf Frauen, wenn sie den Moralvorstellungen der Männer nicht entsprechen.
Vielfalt ist auch eine Herausforderung. Wenn ich bestimmte Probleme ausblende, weil ich Angst habe, dass die falsche Seite davon profitiert, dann nehme ich in Kauf, dass solche Phänomene wie im Extremfall ein Ehrenmord entstehen und bleiben. Das Schlimme ist ja: Unter diesen Problemen leiden ja auch Flüchtlinge, also die Menschen, die eigentlich geschützt werden sollen.
Aber es leidet vor allem eine Gruppe: die Frauen, die Opfer. Damit verliert eine gut gemeinte Arbeit erheblich an Bedeutung. Mit Moral hat es nicht mehr viel zu tun, wenn man in Kauf nimmt, dass Frauen in patriarchalischen Strukturen unterdrückt werden.
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