Wie funktioniert die Stadt? (5): Ungeklärte Fälle
Die Klärwerke müssen ausbaden, was andere in die Welt gesetzt haben – damit es auch in Zukunft sauberes Wasser gibt.Für weitere problematische Verunreinigungen wird an einer vierten Reinigungsstufe geforscht. Drei arbeiten schon auf Probe.
Wie funktioniert die Stadt? Folge 5: Die Berliner Wasserbetriebe
Berlins Wasser ist ein lokales Produkt: Es wird fast ausschließlich im Stadtgebiet gewonnen – ungewöhnlich für eine so große Metropole. Fürs Klären allerdings wird sehr viel Energie benötigt: Für Wasserversorgung und Abwasserbehandlung brauchen die Wasserbetriebe so viel Strom wie ein ganzer Bezirk. Den gewinnen sie zum Teil aus dem Abwasser selbst. Ja, nicht einmal die Wärmeenergie, die darin steckt, geht mehr verloren, sondern heizt und kühlt ganze Gebäude. Wie das aussieht, zeigt das Poster, das der gedruckten Ausgabe des Tagesspiegel am 5. Dezember beiliegt.
"Wir trinken, was wir pinkeln“, steht auf der Brandmauer am S-Bahnhof Savignyplatz. Der Spruch, den eine Künstlergruppe um Ben Wagin hinterlassen hat, beschreibt die Berliner Verhältnisse präziser als mancher ahnt. Anders als Strom und Sprit wird Wasser nicht verbraucht, sondern im Kreislauf bewegt: Was aus dem heimischen Hahn kommt, fließt durch Waschbecken, Wanne oder Toilette ins Klärwerk, wo es zusammen mit Abwässern von Industrie sowie von Straßen, Plätzen und Hausdächern gereinigt und wieder in die Gewässer eingeleitet wird. Da die Berliner Flüsse real eher Seen sind, bleibt das Wasser lange hier. Ein Großteil versickert – und bewegt sich bis zu Jahren durch den Boden, ehe Trinkwasserbrunnen es an den Ufern in etwa 50 Meter Tiefe ansaugen und wieder zum Wasserwerk pumpen.
Wasserreinigung durch Bakterien
Irgendwo muss also großer Aufwand betrieben werden, damit das Lebensmittel Nummer eins intakt bleibt: bei der Aufbereitung im Wasserwerk oder bei der Reinigung im Klärwerk. Die Berliner Wasserbetriebe (BWB) tun Letzteres. Drei Reinigungsstufen sind Standard: Rechen halten Grobes zurück, in Becken setzen sich Sand und Schwebstoffe ab. Auf die mechanische Reinigung folgt die biologische: Bakterien bauen im Wasser gelöste organische Stoffe sowie Phosphor- und Stickstoffverbindungen ab. Dabei entsteht „belebter Schlamm“, der sich in der dritten Stufe absetzt und dann teils verbrannt wird, teils mit Bakterien erneut zur Klärung dient. Was aus den sechs BWB-Klärwerken in die Gewässer fließt, ist zu mindestens 97 Prozent sauber.
Doch auch die verbliebenen drei Prozent können auf Dauer zuviel sein. Erst recht, wenn es sich um konventionell kaum abbaubare Produkte der Zivilisation handelt: Röntgenkontrastmittel, die Ökosysteme gefährden können. Arzneimittelrückstände wie Diclofenac (Voltaren), die ebenso wenig ins Trinkwasser von morgen gehören wie Pestizide von Äckern oder Lebensmitteln. Chlor aus Haushaltsreinigern – die seltenere, aber giftige Alternative zu Essig und Zitronensäure – tötet nicht nur zu Hause die Keime, sondern auch die im Klärwerk beschäftigten Bakterien. Diese Übel verlangen eine „vierte Reinigungsstufe“. Der Begriff vereint sehr unterschiedliche Methoden, deren einzige Gemeinsamkeit ihr finanzieller und energetischer Aufwand ist.
Neue Filtrationsverfahren
Etwa zwei Dutzend Verfahren wurden in den vergangenen Jahrzehnten schon getestet, schätzt Regina Gnirß, die bei den Wasserbetrieben Forschung und Entwicklung leitet. Manche, wie die Filtration durch feine Siebe und Membranen, wurden verworfen: zu energieintensiv und nicht nachhaltig genug, weil Filter mit Gift zurückbleiben. Aktuell werden drei Verfahren angewendet: In Ruhleben, Berlins größtem Klärwerk, wird im Sommer das zur Spree abfließende Wasser (das meiste gelangt in den Teltowkanal) mit UV-Licht bestrahlt, um Krankheitserreger abzutöten. Diese Behandlung soll ausgebaut werden. Zwei andere Verfahren werden erprobt: Aktivkohle auf einem Sandbett hält mit ihren Poren fast alle Schadstoffe aus dem Wasser zurück. Sind die Poren voll, wird die Kohle vom Sandbett weggeblasen, getrocknet und mit dem Klärschlamm verbrannt. Dadurch falle 15 Prozent mehr Klärschlamm an, sagt Gnirß. Ob der problemlos mit verbrannt werden kann, ist noch unklar. „Wir bauen immer erst mal kleine Pilotanlagen“, sagt die Forschungschefin. „Denn auch, wenn man scheinbar alles vorher bedenkt, erlebt man in der Praxis immer wieder böse Überraschungen. Und die können bei großen Anlagen furchtbar teuer werden.“ Deshalb wird auch die Nachbehandlung mit Ozon erst in Säulen getestet, bevor ganze Klärbecken dafür gebaut werden. Ozon reagiert mit schädlichen Stoffen im Wasser und reduziert deren Konzentration deutlich. Wie harmlos die dabei neu entstehenden Substanzen sind, ist noch nicht komplett erforscht.
Fragt man Regina Gnirß nach dem besten Weg, sagt sie: „Ich habe keine Präferenz.“ Hinzu komme das Dilemma, dass inzwischen jede noch so winzige Verunreinigung nachweisbar ist – aber ihre Bekämpfung vielleicht völlig unverhältnismäßig wäre. Für viele Stoffe gebe es gesetzliche Orientierungswerte, aber keine verbindlichen Grenzwerte. Also gilt das Minimierungsgebot: je weniger, desto besser. Dazu kommen Augenmaß und ein Blick in die Natur, die manches besser kann als teure Technik. Die Versickerung im Berliner Boden hat sich längst als geniale Sandfiltration erwiesen. Und eine sehr starke UV-Lampe schaltet sich an jedem klaren Morgen ganz von selbst ein...
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