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Berlin: Türkisches Gymnasium: Senat fragte Verfassungsschutz nicht Umstrittene Organisation wurde kaum überprüft. Denn es gibt keine Pflicht, sich vor Schulgründungen beim Nachrichtendienst zu informieren

Der Auftritt im Internet wirkt harmlos. „Hand in Hand für eine bessere Zukunft“ verkündet der Verein „Tüdesb“ auf seiner Homepage.

Der Auftritt im Internet wirkt harmlos. „Hand in Hand für eine bessere Zukunft“ verkündet der Verein „Tüdesb“ auf seiner Homepage. Da ist von der Notwendigkeit einer guten Ausbildung für Jugendliche die Rede, Aktivitäten wie Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfekurse werden vorgestellt. Und das eigene Privatgymnasium in Spandau, das am Montag den Lehrbetrieb aufgenommen hat. In der Präsentation der Schule bekennt sich Tüdesb (Türkisch-Deutsches Sozialbildungsinstitut Berlin-Brandenburg) zur „Vermittlung von humanistischen Wertvorstellungen“ und der „Orientierung an Wissenschaft“. Doch das Schulprojekt ist umstritten. Die Öffentlichkeit wurde von Genehmigung und Gründung des Gymnasiums überrascht, der Hintergrund des Trägervereins erscheint unklar. Haben Islamisten die Senatsverwaltung für Bildung überrumpelt?

Die Senatsverwaltung teilt mit, bevor das Tüdesb-Gymnasium genehmigt wurde, „haben wir geprüft, dass es keine verfassungsrechtlichen Bedenken gibt“. Außerdem liege gegen Tüdesb nichts vor. Der Verfassungsschutz wurde nach seinen Angaben nicht gefragt. Der Nachrichtendienst nimmt allerdings die Senatsverwaltung für Bildung in Schutz: Eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz vor der Zulassung von Schulen gebe es nicht.

Auf seiner Homepage ergeht sich der 1994 gegründete und bislang unauffällige Tüdesb in seltsamen Betrachtungen über die Bundesrepublik. Da wird holprig formuliert, „wenn wir beachten, dass die Kinder unserer diesigen Gesellschaft zu Egoisten anreifen, kommt die Bedeutung unserer diesigen Reisen noch mehr ans Tageslicht“. Gemeint sind Tüdesb-Fahrten mit Kindern, vornehmlich in die Türkei. Wie verträgt sich der pauschale Vorwurf, in Deutschland wüchsen Kinder zu Egoisten heran, mit „humanistischen Wertvorstellungen“?

Und was ist mit den Verbindungen zur Nurculuk-Bewegung, die Tüdesb nachgesagt werden? Soner Eroglu vom Tüdesb- Vorstand sagt, dass sein Verein keinerlei Verbindung zu der in vielen Ländern aktiven, ultrakonservativen Gruppierung hat. Aus mehreren Richtungen ist anderes zu hören. Etwa von prominenten Vertretern des Türkischen Bundes wie Kenan Kolat und Safter Cinar.

Wer ist die Nurculuk-Bewegung um den Prediger Fethullah Gülen? Nurculuk bedeutet „Schüler des göttlichen Lichts“. Gemeint ist die Erleuchtung durch den Koran. Die Bewegung mit weltweit mehreren Millionen Anhängern ist gegen die Trennung von Staat und Religion, wie sie der türkische Staatsgründer Atatürk durchgesetzt hat. Der 63-jährige Fethullah Gülen präsentiert sich auf seiner Homepage mit einem gütigen Großvater-Lächeln. In einem Lebenslauf berichtet Gülen von Problemen mit den türkischen Behörden bis hin zu einer vor vier Jahren erhobenen Anklage wegen beabsichtigter Gründung eines theokratischen Staates. Die türkische Justiz bekam Gülen jedoch nicht zu fassen. 1999 reiste er in die USA und blieb dort.

Gülen hat den Terrorangriff des 11. September 2001 verurteilt, propagiert einen interreligiösen Dialog und hat sogar den Papst getroffen. Doch Gülens Toleranz ist begrenzt. Der Prediger verwirft die Evolutionstheorie Darwins, geißelt den Atheismus und stellt den Islam über die Demokratie. Ein Urteil über „weltliche Systeme“ sei immer „relativ“ sagt Gülen im Internet. Die Demokratie solle „ihren Horizont erweitern“ und „das Leben des Menschen nach dem Tode in Betracht ziehen“. Der an der Universität Freiburg lehrende Islamwissenschaftler Martin Riexinger bescheinigt Gülen, er strebe „eine fundamentale kulturelle Umorientierung“ an. Und habe weltweit ein Netz von Schulen aufgebaut.

Über die Eröffnung des Tüdesb-Gymnasiums in Spandau hat die türkische Zeitung „Zaman“ auf zwei Seiten in großer Aufmachung berichtet. Gülen sei „ein wichtiger Kolumnist für uns“, sagt der Chef der Berlin-Redaktion von „Zaman“, Süleyman Bag. Doch er bestreitet, dass Gülen die Zeitung dominiert. Fragen nach einer Verbindung von Tüdesb und Gülen weicht Bag aus. Seine üppige Berichterstattung über das Tüdesb-Gymnasium erklärt Bag zunächst mit dem Satz, „für uns ist die Bildungsarbeit besonders wichtig“. Dann räumt er ein, dass Tüdesb in Kreuzberg unentgeltlich Räume benutzt, die „Zaman“ gemietet hat.

Die Tüdesb-Homepage provoziert weitere Fragen. Da wird in der Rubrik „Partnerschaften“ der Bezirk Neukölln aufgeführt, samt Stadtwappen. Beim Klick auf das Wappen erscheint die Internet-Seite der Neuköllner Migrationsbeauftragten Karin Korte. Doch sie weiß nichts von einer Partnerschaft. „Es gibt keine Kooperation mit denen“, sagt sie. Karin Korte hat den Verein jetzt aufgefordert, den Hinweis auf Neukölln von der Homepage zu nehmen. Soner Eroglu windet sich, als er nach der „Partnerschaft“ gefragt wird. „Wir haben ab und zu mit Frau Korte zu tun“, sagt der Tüdesb-Vertreter. Eine vertragliche Partnerschaft gebe es nicht. Gestern Mittag hat Tüdesb den Link entfernt.

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