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Ehrenvoll. Bei der Wiedervereinigung.
© Kiity Kleist-Heinrich

Treptower Park: Triumph und Trauer

Früher Spielwiese, heute Soldatenfriedhof. Im Treptower Park beginnt unser Rundgang durch die Berliner Parks.

Unter den nackten Schwulen, die sommers im Tiergarten herumliegen, gibt es zweifelsohne einige sehr hübsche. Auch die Jogger im Friedrichshain und das ein oder andere Pitbull-Herrchen im Humboldthain mögen gut in Form sein. Der bestaussehende Mann aller Berliner Grünanlagen aber steht im Treptower Park auf dem Hügel. Seit mehr als 50 Jahren steht er da in seinem weiten Mantel. Zunächst sah er in Richtung Reichstag, dann stellte ihm Walter Ulbricht den Fernsehturm in die Sichtachse, inzwischen blickt er entschlossen auf das „Allianz“-Hochhaus. In der Linken trägt er ein Kind, in der Rechten ein Schwert. Das Schwert ist doppelt so groß wie das Kind, der Mann siebenmal so groß wie ein durchschnittlicher Besucher des Treptower Parks.

Er ist aus Bronze und gehört zum größten der drei Ehrenmale, die die sowjetischen Weltkriegssieger den deutschen Besiegten in die Hauptstadt gestellt haben. Ein Friedhof: 5000 sowjetische Soldaten, die in den letzten Kriegstagen ihr Leben verloren haben, liegen hier, mitten im Park. Ein monumental-sakraler Hain, der den Deutschen nicht nur Trauer und Demut abverlangt, sondern auch Dank für die Befreiung. Deshalb das Kind auf dem Arm des Soldaten: Ein Deutscher, zu klein, um Nazi gewesen zu sein.

FDJ im Treptower Park

Als ich groß genug war, um eine schwere Fahne festzuhalten, besuchte ich eine Schule am Rand des Treptower Parks. Es waren die achtziger Jahre, ich hörte ausschließlich Musik des Klassenfeindes, schüttete mir klebrige Substanzen in die Haare, damit sie in die Höhe standen, und spürte Gefahr und Härte des Lebens bestenfalls, wenn ich im Gedränge vorm Disko-Einlass Atemnot bekam. Irgendwann, Jahr und Anlass habe ich vergessen, hieß es: Morgen FDJ-Hemd, Veranstaltung am Ehrenmal!

Abgesehen von ganz wenigen kam niemand im blauen FDJ-Hemd zur Schule. Man zog es kurz vor der FDJ-Veranstaltung an und steckte es danach schnell wieder weg. Wer es freiwillig trug, mochte die Puhdys und Schalmei-Musik und sah ausschließlich Ost-Fernsehen. Nun also zum Ehrenmal, raus aus der Schule, in aller Öffentlichkeit im synthetikglänzenden Hemd des Jugendverbandes, der viel mit den Fantasien der alten Politbürokraten zu tun hatte und nichts mit unseren. Und noch schlimmer: Wir bekamen Fahnen, riesengroße Dinger aus dem gleichen leuchtend blauen Stoff wie unsere Hemden. Damit mussten wir uns auf die Stufen vorm Bronzesoldaten stellen und dort still verharren, eine Stunde oder zwei, eine Ewigkeit jedenfalls.

Der Wind blies, wir froren und hatten Mühe, die Fahnen festzuhalten. Nur eins wäre noch peinlicher gewesen, als dort zu stehen: Dort hinunterzufallen, ein abwärtsrollendes blaues Bündel aus Hemd, Fahne und Bluejeans, aus dem ein paar toupierte Haare ragten. Tröstlich war allein das Wissen, dass dies für alle, ausnahmslos, eine Pflichtveranstaltung war, und dass das alle wussten. Bei aller Symbolik, bei allen Schwüren, die bei derlei Anlässen geschworen wurden, bei allen Toten, die zu unseren Füßen unter dieser Erde lagen – für uns hatte das nichts mit Faschismus oder Antifaschismus zu tun.

Der Krieg und der Sieg der „ruhmreichen Sowjetarmee“ waren uns nicht näher als unseren Kindern heute. Nichts mit den Siegern hatten wir zu tun, nichts mit den Besiegten – abgesehen davon, dass das unsere Großeltern waren, aber darüber sprach man nicht. Sie hätten uns sagen können, dass sie die Symbolik, deren Teil wir mit unseren Fahnen waren, noch gut aus ihrer Jugend kannten. Hätten wir das wissen wollen? Hätte uns das etwas ausgemacht?

Der Treptower Park im Wandel der Zeit

Das Ehrenmal im Treptower Park steht noch da wie damals. Es ist viel besser in Schuss, weil inzwischen kein sozialistischer Satellitenstaat der Sieger mehr für die Erhaltung zuständig ist, sondern ein reiches Kapitalistenland. Vor 22 Jahren hat es sich verpflichtet, die sowjetischen Kriegsgräber zu pflegen, vielleicht die letzte Verpflichtung der Deutschen gegenüber den Russen, die vom Krieg noch übrig ist.

Wo, wenn nicht hier, kann man noch sehen, dass es diesen Krieg gegen die Russen einmal gab, dass es Russen waren, die ihm hier ein Ende setzten – und die unter ihm mehr zu leiden hatten als irgendjemand sonst? Die totalitären Formen, die bombastische Mischung aus Triumph und Trauer, das alles fühlt sich fremd an, weit entfernt. Wer aber herkommt, nicht weil er muss, sondern weil er will, der wird sich vielleicht fragen, was das soll. Wozu sonst ist ein Denkmal da?

Selbst die Punks, die mit ihren Bierflaschen auf dem Hang neben dem Gräberfeld hocken, werden sich mutmaßlich mehr Gedanken über den Ort machen als wir damals. Die Radfahrer in ihrer bunten Funktionskluft werden von einem Polizisten gebeten, abzusteigen, „weil das hier ein Friedhof ist“ und fragen sich: „Ein Friedhof?“ Immerhin! Der Mann, der seinen Kampfhund auf den Schoß von „Mutter Heimat“ befiehlt, damit er ein Handyfoto von ihm machen kann, stellt vielleicht keine Fragen. Muss er auch nicht, er hat mit seinem befehlsverwöhnten Tier genug zu tun.

Am Eingang stehen Schautafeln, die in Texten und alten Fotos die Geschichte des Denkmals erzählen. Ein Foto ist dabei aus den achtziger Jahren, FDJler auf den Stufen des Mahnmals mit großen FDJ- Fahnen! Bin einer davon ich? Wer weiß, so etwas fand ja nicht so selten statt, die alten Herren hielten es für wichtig.

Jeder, der Berlin besucht und „mal was Spezielles“ sehen will, also tunlichst etwas Unhippes, sollte den Treptower Park besuchen. Vor 140 Jahren war er einer der ersten „Volksparks“ überhaupt, nicht zum gepflegten Wandeln hergerichtet, sondern zum Herumsitzen und Spielen. Die größte Spiel- und Liegewiese haben die Russen in ihr Ehrenmal umgewandelt. Kein hübscher, aber ein guter Ort. Die Mauer wollen alle Berlinbesucher sehen – und sind enttäuscht von den spärlichen Resten. Das hier ist die Vorgeschichte, gewaltig, zwiespältig, gut sichtbar.

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