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Eine Teilnehmerin einer Wahlparty der Cumhuriyet Halk Partisi (CHP, Republikanische Volkspartei) weint am 16.04.2017 im Theater 28 in Berlin, während Hochrechnungen auf eine Leinwand projiziert werden.
© Sebastian Willnow/dpa

Türkei-Referendum in Berlin: Tränen in Wedding, kein Korso auf dem Kudamm

"Das Ja bedeutet den Untergang der Türkei" - Berliner Anhänger der türkischen Opposition verfolgten das Referendum in Wedding. Gefeiert wurde das "Ja" auf dem Kudamm - ein wenig.

Von Laura Hofmann

Dass in Berlin knapp über 50 Prozent der türkischen Wähler mit "Evet", also "Ja", zum Präsidialsystem abgestimmt haben (Stand Sonntagabend), lässt sich im Theater 28 in Wedding an diesem Ostersonntag nicht vermuten. Die Stimmung ist gelöst, alte und junge Männer und Frauen, auch Kinder, sind hier zusammengekommen, um gemeinsam die Abstimmung über die Verfassungsänderung in der Türkei im Fernsehen zu verfolgen.

Viele der Menschen hier gehören zum Berliner Bund der oppositionellen türkischen Partei CHP. Und alle gehören sie zum "Nein"-Lager. Sie schwenken Türkei- und "Hayir"-Flaggen, sie tanzen im Kreis, singen, haken sich gegenseitig unter und trinken türkisches Bier. Zwei Frauen verkaufen Essen: Eintopf mit Reis, Sigara böreği, Linsensalat, Bienenstich.

Am Nachmittag sind sich die hier versammelten knapp 100 Deutschtürken sicher: Das "Nein" wird siegen. Auch als die ersten Ergebnisse aus dem Osten der Türkei verkündet werden - mehrheitlich pro "Evet" - sagen die "Hayir"-Anhänger: Diese Ergebnisse gleich zu Beginn der Auszählung zu zeigen sei Strategie. Erdogans Gegner sollten auf diese Weise demoralisiert werden.

Wird auf der Leinwand ein türkischer Wahlbezirk angezeigt, der mehrheitlich mit "Nein" gestimmt hat, bricht großer Jubel aus. Geradezu euphorisch wird die Menge, als im Fernsehen verkündet wird, der Istanbuler Stadtteil Kadıköy- studentisch und säkulär geprägt - habe mit 81 Prozent für "Nein" gestimmt.

Gegen 16.30 Uhr sagt Kenan Kolat, Vorsitzender der CHP in Berlin und ehemaliger Bundesvorsitzender der der Türkischen Gemeinde in Deutschland: "Wenn 85 Prozent der Türken abgestimmt haben, rechnen wir mit einem "Nein"". Am Abend wird klar: Diese Wahlbeteiligung wird zwar erreicht - aber das Ergebnis des Referendums heißt dennoch: Ja.

Entsprechend reagieren die Menschen im Theater 28, als sich ab etwa 19 Uhr abzeichnet, dass das "Evet"-Lager auf Siegeskurs ist. Daran ändert auch die Aufholjagd der "Nein"-Stimmen in den letzten Stunden der Auszählung nichts. "Ich kippe gleich um", sagt Sultan Ulusev, eine junge Frau. Und schließlich: "Ich könnte heulen". Das tun einige dann auch. Obwohl die türkische Opposition bereits angekündigt hat, die Wahl anzufechten, können manche der Anwesenden ihre Enttäuschung nicht verbergen: Sie fangen an zu weinen oder verstummen.

Und was kommt nach der Niederlage?

Nicht so eine 25-Jährige, die aktiv ist in der Jugendgruppe der CHP Berlin. Die Ankündigung der türkischen Opposition, die Wahl anzufechten, sei Grund, sich noch nicht geschlagen zu geben. Dass nicht abgestempelte Stimmzettel zugelassen worden seien, zeige, dass die Abstimmung "eine große Farce" gewesen sei. Sie ist gegen das Wahlrecht der im Ausland lebenden Türken. Erdogan habe das Gesetz entsprechend geändert, weil er wusste, dass es ihm nützen würde, sagt sie. Und was kommt nach der Niederlage? "Das weiß ich nicht. Bisher haben wir alle Kraft und Energie in den Wahlkampf in Deutschland gesteckt", sagt sie.

Mustafa Temel sieht das Ergebnis resoluter: "Ein "Ja" bedeute den "Untergang der Türkei". Und auch der 20-jährige Alper aus Istanbul, der gerade für zwei Auslandssemester an der Freien Universität Jura studiert, bangt um sein Land: "Ich habe gesehen, was Edogan unter der jetzigen Verfassung tut. Ich habe keine Ahnung, was er macht, wenn es zur neuen Verfassung kommt", sagt er.

Und die anderen 50 Prozent? Die, die für die türkische Verfassungsänderung gestimmt haben? Einige AKP-Anhänger trafen sich am Sonntag im Hotel Inn am Alexanderplatz, auf ihrer Facebook-Seite rief die "AKP Genclik Berlin" zu diesem Treffen auf. Auf Anfrage, ob man als Journalistin dazukommen könne, heißt es jedoch, man wolle mit der Presse nicht sprechen. Man lasse sich "nicht ausnutzen für die ausgeübte Hetze im Internet und auf Zeitschriften".

Auch die Kontaktaufnahme mit der AKP-nahen UETD Youth Berlin (Youth Organisation of the Union of European Turkish Democrats in Berlin) blieb erfolglos.

Die Suche nach "Ja"-Anhängern führt am Abend nach Kreuzberg zum Kottbusser Tor. Doch hier ist von einem Autokorso oder dergleichen keine Spur. Ruhig und regnerisch liegt der Kotti da. Dann doch! Ein Auto mit aus dem Fenster geschwenkter Türkei-Flagge fährt vorbei. Die Frau, die die Fahne hält, schreit: "Evet, evet!". Das gezückte Handy macht sie wütend: "Ich zeig Sie an", brüllt sie.

Mit türkischen Fahnen und lautstarkem Jubel auf Staatschef Recep Tayyip Erdogan feierten einige Türken am 16.04.2017 in Berlin rund um den Kurfürstendamm.
Mit türkischen Fahnen und lautstarkem Jubel auf Staatschef Recep Tayyip Erdogan feierten einige Türken am 16.04.2017 in Berlin rund um den Kurfürstendamm.
© Paul Zinken/dpa

Auch am Kudamm bleibt es ruhig. Die Polizei teilt am Abend mit, ein paar Leute hätten sich dort zeitweise getroffen. Einen Korso aber habe es nicht gegeben. Dabei ist der Korso laut "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel doch des Türken größtes Hobby?!

Yücel sitzt seit 62 Tagen ohne Anklage in Istanbul in Haft. In der Jungle World schrieb er 2006: "Der Türke fährt für sein Leben gern hupend, jauchzend und fahnenschwenkend durch die Stadt. Kein Anlass ist ihm zu gering. Canan heiratet? Haydi, lasst uns einen Korso fahren! Çetin wird beschnitten? Haydi Korso! Papa kommt von der Arbeit? Mama hat Bohneneintopf gekocht? Zeki hat eine Eins in Mathe? Tröööt!"

Das "Evet" war dann aber wohl keinen ausgewachsenen Korso wert.

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