Deutscher Filmpreis: Tragikomödie „Oh Boy“ räumt sechs Lolas in Berlin ab
Es ist eine kleine Schwarz-Weiß-Geschichte - aber beim Deutschen Filmpreis sahnt Jan Ole Gerster mit „Oh Boy“ groß ab. Tom Tykwer hat mit seinem „Cloud Atlas“ das Nachsehen.
Dieser Jürgen Vogel, dieser Hallodri! Baggert auf offener Bühne ein Tanzgirl an. Umschmeichelt sie, holt sich extra zwei Bücher („Shades of Grey“, sagt er jedenfalls), um mit ihr auf Augenhöhe zu sein. Die Verleihung der Lola für den besten Schnitt will er anmoderieren, er nennt die Nominierten, sie ist für die Filmtitel zuständig, aber bitte mit Gefühl und Hingabe, richtig sexy eben. Also nicht einfach „Oh Boy“ runterleiern, sondern seufzen, schmachten wie Marilyn: „Oohhh Boyhhhh!“ Es wird dann aber doch wieder „Cloud Atlas“.
Das war gegen 21 Uhr, Freitagabend im Friedrichstadt-Palast, schon fast zwei Stunden lief da die Verleihung des Deutschen Filmpreises und noch immer kein Ende abzusehen. Aber als kurz danach „Cloud Atlas“ auch noch die Lola für „Beste Kamera“ erhielt, nach „Bester Schnitt“, „Bestes Maskenbild“, „Bestes Szenenbild“ und „Bestes Kostümbild“, schien sich die Favoritenrolle tatsächlich zu erfüllen.
Aber solche voreiligen Schlüsse sind bei Preisverleihungen schon oft widerlegt worden, so auch diesmal: Die Goldene Lola für den Besten Spielfilm ging zum Schluss an „Oh Boy“, dessen Regisseur Jan Ole Gerster mit seinem Debütfilm gleich noch die Lola für die Regie und die fürs Drehbuch abräumte. Dazu ging der Preis an den besten Schauspieler an seinen Hauptdarsteller Tom Schilling, der für den Nebendarsteller an Michael Gwisdek. Insgesamt sechs Lolas fielen auf „Oh Boy“, an „Cloud Atlas“ immerhin fünf, meist aber in Nebenkategorien.
Ein spannender, ein amüsanter Abend, aber doch arg lang, mit gelegentlich zu gewollter Witzigkeit, aber die Gesamtbilanz stimmte. „Ich liebe die große Show“ – so hatte Fred Kogel, künstlerischer Leiter des Abends, die Gala angekündigt. Sexy sei der deutsche Film, und dann rockte es auch schon los, „Sexy“ eben, Marius Müller-Westernhagen leibhaftig, ein Überraschung in der sonst doch eher von orchestralen Klangteppichen unterfütterten Veranstaltung. Und als wäre das nicht schon Wandel genug gegenüber der sonst allzu oft betulichen Lola-Herrlichkeit, stolzierte auch gleich noch eine kunterbunte Girlie-Truppe auf die Bühne – das Ballett des Friedrichstadt-Palastes, das auch später am Abend noch manchen sexy Auftritt hatte: Mitten in einem Wasserbecken riesenhaft Lola, die sich zur Decke streckt und von oben von einer Riesenbrause eingenässt wird, drumherum ein langbeiniges Bikini-Ballett – das hat doch was. Verständlich dass sich der Jürgen da eine herauspickte und zu umgarnen versuchte, ein Verführer auf dem Büchertreppchen.
„Du sollst nicht langweilen!“ – das hatte Billy Wilder einst allen Filmkünstlern hinter die Ohren geschrieben, und das mag für alle nominierten Filme erfüllt worden sein oder nicht – für die Lola-Show suchte man das zu beherzigen. Früher begann die Vorstellung der Preiskategorien oft mit salbungsvollen Überlegungen zur Bedeutung des Kameramannes, des Cutters, des Maskenbildners. Diesmal wurde, als es um die beste Nebendarstellerin ging, schon mal über Sexismusdebatte und Körbchengröße geulkt, der beste Kinderfilm wurde von zwei blutjungen Nachwuchsschauspielern eingeführt, und Till Brönner durfte mit einem kleinen Trompetensolo die Verleihung des Preises für die beste Filmmusik einleiten. Auch zwischendurch gab es mancherlei Auflockerung, Tipps von der Videowand an die supernette Moderatorin Mirjam Weichselbraun, wie ihr Job am besten zu bewältigen sei. Günther Jauch, Thomas Gottschalk, Harald Schmidt, Bully Herbig – sie hatte die freie Wahl, wem sie folgen sollte, folgte dann niemand, sondern verließ sich auf ihren Charme.
Bei so viel Lust an der Erneuerung blieben die Preisträger natürlich ein Risiko. Die endlosen Danksagungen an noch den letzten im Team, die Frau, den Mann, die Kinder, die Eltern, wie es früher so oft der Fall war – das hätte gegenüber dem munteren Showprogramm doch nachhaltig irritiert und aus der Guten-Laune-Stimmung immer wieder auf den Boden der Langeweile ziehen können. Aber nein, auch das klappte ganz gut, nur am Anfang musste das dezent einsetzende Orchester dem einen oder anderem von seinem Glück ganz trunkenen Preisträger wieder zur Ruhe ermahnen. Und es gab auch Dankesreden mit Witz, die von Barbara Sukowa beispielsweise: „Dass die Lola etwas Besonderes für mich bedeutet, wissen wahrscheinlich nur die Älteren hier im Saal.“
Alle Lola-Preisträger im Überblick
Bester Film
Gold: „Oh Boy“
Silber: „Hannah Arendt“
Bronze: „Lore“
Bester Dokumentarfilm
„More than Honey“
Bester Kinderfilm
"Kaddisch für einen Freund"
Beste Regie
Jan Ole Gerster („Oh Boy“)
Bestes Drehbuch
Jan Ole Gerster („Oh Boy“)
Beste Hauptdarstellerin
Barbara Sukowa („Hannah Arendt“)
Bester Hauptdarsteller
Tom Schilling („Oh Boy“)
Beste Nebendarstellerin
Christine Schorn („Das Leben ist nichts für Feiglinge“)
Bester Nebendarsteller
Michael Gwisdek („Oh Boy“)
Beste Kamera
John Toll, Frank Griebe („Cloud Atlas“)
Bester Schnitt
Alexander Berner („Cloud Atlas“)
Bestes Szenenbild
„Cloud Atlas“
Bestes Kostümbild
„Cloud Atlas“
Bestes Maskenbild
„Cloud Atlas“
Beste Filmmusik
„Oh Boy“
Beste Tongestaltung
„Die Wand“
Publikumspreis
„Schlussmacher“ (Matthias Schweighöfer)