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Seit Dezember im Amt: Frank Henkel beim Interview in seinem Amtszimmer.
© Thilo Rückeis

Berlins Innensenator Frank Henkel: "Toleranz darf nie Wegschauen bedeuten"

Berlins Innensenator Frank Henkel beantwortet die Fragen des Tagesspiegels und seiner Leser zur U-Bahn-Sicherheit und politischem Extremismus, zu Vandalismus und Bürgerverantwortung, Integration und Datenschutz - und Otto Rehhagel.

Tagesspiegel: Herr Henkel, wann wird die versprochene stärkere Polizeipräsenz auf den Straßen spürbar sein?

Frank Henkel: Uns war wichtig, ein deutliches Zeichen der Umkehr zu setzen. Das haben wir getan mit den beschlossenen 250 zusätzlichen Polizeikräften. 100 davon sind schon in der Ausbildung. Ich habe aber nie einen Zweifel dran gelassen, dass es noch dauern wird, bis diese Polizisten im Einsatz sind. Die Ausbildung dauert zweieinhalb Jahre – gute Kräfte wachsen nun mal nicht auf den Bäumen. Berlin hat viel zu lange Personal abgebaut, um dies jetzt über Nacht wieder zu ändern.

Und bis dahin?

Ich möchte in der Zwischenzeit mit weiteren flankierenden Maßnahmen das Sicherheitsgefühl stärken. Da haben wir uns ja im Koalitionsvertrag auf einige Punkte verständigt – etwa auf eine mobile Polizeiberatung und eine Evaluierung des Berliner Modells mit dem Ziel, mehr Polizeikräfte als Fußstreifen auf die Straße zu bekommen. Aber auch das sind Maßnahmen, die sich nicht in 100 Tagen im Amt bewerkstelligen lassen.

Nach dem Terror: Polizisten sichern die Gedenkveranstaltung für die Opfer der rechtsextremistischen Mordserie Ende Februar im Schauspielhaus Berlin.
Nach dem Terror: Polizisten sichern die Gedenkveranstaltung für die Opfer der rechtsextremistischen Mordserie Ende Februar im Schauspielhaus Berlin.
© dpa

Vor Jahren hat Hamburg ausgebildete Berliner Polizisten abgeworben. Kann man sich auch vorstellen, die zurückzuholen?

Ich kann mir vieles vorstellen. Die Frage wird nur sein, welche Möglichkeiten wir angesichts der Finanzsituation haben. Wir wissen, dass die Beschäftigten in Berlins öffentlichem Dienst schlechter bezahlt werden als im übrigen Bundesgebiet. Das gilt auch für Polizeibeamte. Umso wichtiger ist eine Perspektive bei der Angleichung der Beamtenbesoldung.

Wann gibt es ein Alkoholverbot im Nahverkehr?

Wir haben uns darauf verständigt, das bestehende Alkoholverbot durchzusetzen. Auf ein weitergehendes Verbot konnten wir uns in den Koalitionsverhandlungen nicht einigen. Im öffentlichen Nahverkehr will ich aber auch die BVG nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Ich bin der Meinung, dass Kontrolleure nicht nur Fahrausweise kontrollieren sollen. Durch ihre Anwesenheit und durch eine bestimmte Optik sollten Kontrolleure ganz klar dafür sorgen, dass sich das Sicherheitsgefühl der Fahrgäste verbessert.

Insgesamt sinkt die Zahl der Gewalttaten im Nahverkehr, einzelne Taten aber rufen starke öffentliche Reaktionen hervor.

Ich kann die Gefühle der Menschen gut verstehen. Es ist beklemmend, diese Bilder zu sehen und Berichte über die brutalen Taten zu lesen. Offensichtlich gibt es Menschen, die Straßen und Bahnhöfe als rechtsfreie Zone betrachten. Täter schlagen aus nichtigem Anlass zu und kennen überhaupt keine Hemmung mehr. Der öffentliche Nahverkehr darf aber kein Angstraum werden.

Wie wollen sie das erreichen?

Die Polizei tut wesentlich mehr als früher. Sie hat 2011 in der BVG sechzehn Mal mehr Einsätze gehabt als 2006. Mit den 250 zusätzlichen Polizisten möchte ich zwei Einsatzhundertschaften bilden. Diese können Schwerpunkteinsätze im Nahverkehr durchführen und werden zugleich die Situation in den Direktionen und Abschnitten entspannen.

Und sonst?

Um die Sicherheit zu erhöhen, wollen wir auch die Speicherfrist der Kameraaufzeichnungen auf zwei Tage verlängern – wie es schon bei der S-Bahn gilt. Aber keine Notrufsäule und keine Kamera der Welt kann Menschen ersetzen: mehr BVG-Mitarbeiter und Polizeibeamte bleiben perspektivisch deswegen die wichtigste Maßnahme.

Gibt es einen Zusammenhang mit dem hier verbreiteten Laissez-Faire-Gefühl und der Zunahme von Gewalt und Verwahrlosung?

Diesen Zusammenhang möchte ich nicht so herstellen. Ich möchte die Liberalität der Stadt bewahren, zu der selbstverständlich auch Toleranz gehört. Aber Toleranz darf in einer offenen, liberalen Gesellschaft nie Wegschauen bedeuten.

Benötigen wir einen Mentalitätswechsel?

Wir benötigen eine Rückbesinnung auf Werte – aber auch auf das Bewusstsein, dass diese Stadt den Berlinerinnen und Berlinern gehört. Es ist ihr öffentlicher Raum, der verschmutzt, verwahrlost oder zu einem Angstraum wird. Ich möchte ihnen sagen: Es ist eure Stadt, es sind eure Parks und eure Plätze, die durch Hundekot und Graffiti verschmutzt werden. Um dieses neue Bewusstsein zu schaffen, ist ein Dialog mit den Berlinern notwendig.

Was kann die Politik gegen die Verwahrlosung tun?

Wir wollen die Ordnungsämter stärken. Ich kenne natürlich die Vorbehalte gegen Ordnungsämter, dass sie nur Knöllchen schreiben und beim Hundekot wegschauen. Das wird ihrer Arbeit nicht gerecht. Ich bin überzeugt, dass die Ordnungsämter einen entscheidenden Anteil an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sauberkeit haben. Es gibt aber einiges zu verbessern. Mit den Bezirken zusammen wollen wir dafür sorgen, dass das Personal, das den ruhenden Verkehr überwacht, sich künftig auch um andere Dinge kümmern kann.

Fotos: Müll und Dreck auf Berlins Straßen

Wo könnten Berliner dabei helfen?

Ein gutes Beispiel ist das Projekt „Maerker“, das wir in Lichtenberg testen. Auf dieser Onlineplattform können Bürger Probleme der Verwaltung melden, wo es Müllecken, kaputte Ampeln oder Schlaglöcher gibt.  Das Versprechen ist, dass innerhalb einer bestimmten Zeit alle Eingaben verbindlich bearbeitet oder an die zuständige Behörde weitergeleitet werden. Der Bürger kann dann über ein Ampelsystem den Stand der Bearbeitung verfolgen. Ein weiteres wichtiges Thema sind Ordnungspartnerschaften. Ein Beispiel: Der Müll im Mauerpark. Noch vor Beginn der Parksaison wird eine Arbeitsgruppe aus meiner Verwaltung, dem Bezirk, der BSR, der Polizei und dem Verein Freunde des Mauerparks ein Konzept gegen das Problem vorlegen. Von solchen Initiativen kann die Stadt mehr gebrauchen.

Hier lesen Sie, wie Henkel stärker gegen Rechtsextremisten vorgehen will und wann Berlin einen neuen Polizeipräsidenten bekommen soll

Fordern und Fördern: Einwanderer bei einem Deutschkurs.
Fordern und Fördern: Einwanderer bei einem Deutschkurs.
© dpa

Tagesspiegel: Herr Henkel, Berlin ist für den erneuten Versuch, die NPD zu verbieten. Wäre Berlin bereit, dafür V-Leute aus der Partei abzuziehen?

Ich bin sehr froh, dass sich die große Koalition noch vor Bekanntwerden der rechtsextremistischen NSU-Mordserie für ein Verbotsverfahren gegen die NPD ausgesprochen hat. Jetzt geht es darum, das Verfahren rechtssicher zu machen. Meine Haltung ist ganz klar: Ich möchte auf den Einsatz von V-Leuten nicht grundsätzlich verzichten. Ich möchte weder auf dem rechten noch auf dem linken Auge blind sein, deswegen sind V-Leute für mich bei richtiger Führung unverzichtbar. Was den Einsatz von V-Leuten in Führungsgremien betrifft, und das hatte das Bundesverfassungsgericht ja 2003 beanstandet, hat Berlin aber seine Hausaufgaben gemacht.

Die CDU hatte vor der Wahl angekündigt, linksextremistische Gewalt stärker zu bekämpfen.

Ich bin gegen jede Form von Extremismus. Ich will die Formen nicht gegeneinander ausspielen. Die NSU-Morde haben das Land und mich persönlich erschüttert. Das zeigt, wie wichtig der Kampf gegen rechtsextremes Gedankengut ist. Berlin ist hier gut aufgestellt. Im Haushaltsplan haben wir für den Verfassungsschutz fünf neue Stellen vorgesehen, die ich im Bereich Rechtsextremismus einsetzen will. Wir werden aber auch den Kampf gegen Linksextremisten weiter engagiert führen und auch die Gefahren des Ausländerextremismus nicht ignorieren.

Liebigstraße 14: Ein Jahr nach der Räumung des linken Wohnprojekts

Kürzlich ist in der Liebigstraße die linksextremistische Gewalt eskaliert – ein Vorgeschmack auf den 1. Mai?

Darüber will ich nicht spekulieren. Ich gehe von einem friedlichen 1. Mai aus.

An diesem 1. Mai wird Berlin ohne Polizeipräsidenten sein.

Leider. Es wird bis dahin keinen Polizeipräsidenten geben, weil die Ausschreibung viel Zeit in Anspruch nimmt. Aber die Polizei ist hervorragend aufgestellt und Frau Koppers führt kommissarisch die Behörde gut.

Bilder vom 1. Mai 2011 in Berlin:

Sie haben sich entschieden, den neuen Polizeipräsidenten auszuschreiben, nicht direkt zu ernennen – wieso?

Ich will ein transparentes Verfahren, ein rechtssicheres Verfahren, um den besten Bewerber oder die beste Bewerberin auf die Stelle zu bringen.

Werden Sie die Ausschreibung so formulieren, dass die jetzige kommissarische Behördenleiterin von der Bewerbung ausgeschlossen ist?

Ich werden sie so formulieren, dass möglichst viele Bewerber die Chance haben, darauf zu reagieren.

Fotos: Die Suche nach einem Berliner Polizeipräsidenten

Bis wann hat Berlin einen neuen Polizeipräsidenten?

Das kann noch fünf bis sechs Monate dauern. Ein solches Verfahren nimmt Zeit in Anspruch.

Sie haben angekündigt, auch Berlin werde sich einen sogenannten Staatstrojaner anschaffen, also ein vieldiskutiertes auch unter den Bundesländern umstrittenes Computerprogramm zur Fern-Überwachung von Computern. Was erhoffen Sie sich davon?

Die Polizei ist im Beschaffungsprozess dieser Software. Sie verspricht sich davon die Aufklärung von schwersten Straftaten. Genauso wie von der Funkzellenabfrage, also der Auswertung von Handydaten im Umfeld von erheblichen Straftaten.

Die ist ja unter Datenschützern ebenfalls sehr umstritten.

Diese Masse hat mich auf den ersten Blick auch überrascht. Deswegen bin ich aufgeschlossen für die Initiative Sachsens, die Datenfülle zu begrenzen. Ich hätte es mir bei Trojaner und Funkzellenabfrage leicht machen und mich von meinem Amtsvorgänger distanzieren können. Aber das tue ich nicht. Ich erwarte, dass die Polizei alles unternimmt, um schwere Straftaten aufzuklären. Deswegen halte ich es für außerordentlich bedenklich, wenn rechtsstaatliche Ermittlungsmaßnahmen skandalisiert werden. Es wird so getan, als könne irgendjemand frei über irgendwelche Daten verfügen. Aber das ist nicht so. Das steht ja alles unter einem Richtervorbehalt.

Hier erfahren Sie, wie Henkel die Arbeit seines Vorgängers Ehrhart Körting sieht - und was er von Otto Rehhagel erwartet

Tagesspiegel: Herr Henkel, zum Reizthema Integration hieß es im vergangenen Herbst in Ihrem Wahlprogramm, die Integrationspolitik des vorigen Senats sei „realitätsfern und nutzlos“ - was ändert sich nun, da Sie in der Regierung sind?

Ich werde bei dieser Frage immer gerne damit konfrontiert, worin ich mich in dieser Frage von meinem Amtsvorgänger Ehrhart Körting unterscheide, der in diesem Bereich vieles gemacht hat. Und wer zehn Jahre im Amt ist, kann ja nicht alles falsch gemacht haben. Hat er auch nicht. Ich werde mit eigenen Akzenten daran festhalten, dass der Dialog mit den Berliner Migranten nach wie vor eine wichtige Voraussetzung auch für die innere Sicherheit ist.

Dennoch sind Sie zum Beispiel kürzlich nach den beiden Drohbriefen gegen zwei Moscheen anders als einige Ihrer Senatskollegen nicht demonstrativ zum muslimischen Freitagsgebet gegangen.

Viele Dinge mache ich ja nicht erst, seitdem ich Innensenator bin. Gerade dieser Bereich hat mich vorher beschäftigt, das Integrationsprogramm der CDU ist unter meiner Führung entstanden. Und auch unter meiner Amtsführung werde ich den Dialog der Kulturen und Religionen fortsetzen. Ich habe keine Berührungsängste. Allein in der Moschee am Columbiadamm war ich in den vergangenen Jahren mehrere Mal zu Besuch. Und nach Bekanntwerden der Drohbriefe habe ich sofort den Vorsitzenden angerufen und ihm einen Brief geschrieben, dass wir alles tun werden, um den Fall aufzuklären.

Der Berliner Integrationsbeauftragte Piening ist ja kürzlich mit Verweis auf die unterschiedlichen Auffassungen zwischen SPD und Union über das Thema Integration zurückgetreten - wo verlaufen die Konfliktlinien?

Wir hatten bei den Koalitionsverhandlungen unterschiedliche Ansichten zum Thema Kommunales Ausländerwahlrecht, deswegen steh das Thema nicht im Koalitionsvertrag. Ansonsten sind wir uns einig, dass wir Integration als wichtige Zukunftsaufgabe begreifen. Es wird bei dem Thema keinen Stillstand in der Koalition geben.

Ist es denn in der Hinsicht das richtige Signal, dass das Integrationsbüro der Polizei jetzt nicht mehr beim Präsidium angesiedelt ist, sondern beim Landeskriminalamt?

Ich habe völliges Vertrauen, dass die Polizei bei diesem wichtigen Thema auch weiterhin mit dem größtmöglichen Engagement arbeitet. Eine moderne Großstadtpolizei muss den Dialog mit den Migranten suchen, und genau das werden meine Beamten auch weiterhin tun.

SPD-Fraktionschef Raed Saleh freute sich kürzlich in einer Grundsatzrede zu Rot-Schwarz, dass diese Koalition in ihrer Vereinbarung „neoliberalen Dogmen eine Absage erteilt“ habe, man habe „mit den Konservativen eine linke Politik verabredet“ – ist seine Freude begründet?

Es ist doch gut, dass sich beide Partner in dieser Koalitionsvereinbarung wiederfinden können. Ich bin jedenfalls für meine Partei sehr zufrieden mit dem Ergebnis, auch mit dem Umgang untereinander. Diese Regierung arbeitet konstruktiv und vertrauensvoll zusammen.

Ihr bislang größter Coup ist die Benennung von Otto Rehhagel als CDU-Wahlmann für den Bundespräsidenten. Wie kamen Sie auf den Hertha-Trainer, der ja nicht mal in Ihrer Partei ist?

Ich finde, man sollte die Listen der Wahlmänner und -frauen für die Bundesversammlung für Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens öffnen. Deswegen habe ich Otto Rehhagel gefragt, auch weil er vor einigen Jahren schon mal einen Bundespräsidenten gewählt hat. Ich habe ihn als jemanden kennengelernt, der politisch interessiert ist und sich für das Gemeinwesen engagiert, aber nicht im Sinne einer Parteinahme. Ich finde, er ist eine exzellente Wahl und bereichert die Bundesversammlung.

Was erwarten Sie als Sportsenator von ihm?

Das ist doch klar umrissen: Dass er mit Hertha den Klassenerhalt schafft, woran ich nicht den Hauch eines Zweifels habe. Der Kader ist solide, die Hinrunde war gar nicht so übel – ich bin fest davon überzeugt, dass sie in der ersten Bundesliga bleiben.

Das Gespräch führten Jörn Hasselmann, Lars von Törne und Gerd Nowakowski

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