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Am 30. August wartete Cemal Altun auf die Verhandlung. Wenig später sprang er plötzlich auf und aus dem Fenster des im sechsten Stockwerk gelegenen Gerichtssaals in den Tod.
© picture alliance/dpa

Gedenken an Cemal Altun: Todessprung aus dem Gerichtsaal

Vor 30 Jahren sprang der anerkannte Asylberechtigte Cemal Altun aus dem Gerichtssaal in den Tod. Das Bundesinnenministerium wollte ihn damals in die Türkei ausliefern. Am Freitag wurde seiner in Berlin gedacht.

Es geschah für alle Beteiligten im Gerichtssaal unerwartet. Am 30. August 1983 sprang der türkische Student Cemal Kemal Altun, über dessen Asylstatus das Berliner Verwaltungsgericht an diesem Tag entscheiden sollte, unvermittelt auf und stürzte sich aus dem Fenster des im sechsten Stock gelegenen Saales in den Tod. Der 23-jährige war anerkannter Asylberechtigter, aber dennoch von der Auslieferung durch die Bundesregierung in die Türkei bedroht. Denn das Bundesinnenministerium hatte gegen die Asylanerkennung geklagt. Der langjährige grüne Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland hatte an diesem Tag an Altuns Seite gesessen. Er war zuversichtlich, dass zugunsten seines Mandanten entschieden würde. Doch dann musste er miterleben, dass Altun, der bereits 13 Monate unter verschärften Bedingungen in Haft gesessen hatte, für sich keinen anderen Ausweg mehr sah als den Tod.

Am gestrigen Freitag fand zum 30. Todestag eine Gedenkveranstaltung vor dem Gebäude an der Hardenbergstraße statt. Dort erinnert seit 1996 auch ein Gedenkstein an ihn. Die Verwaltungsrichter Karsten-Michael Ortloff, Renate Citron-Piorkowski und Wolfgang Sailer hatten damals über die Klage zu entscheiden. „Sein ,Fall’ hat trotz des öffentlichen Interesses die Rechtskultur in Deutschland nicht zum Positiven beeinflusst: Was ist aus dem Grundrecht auf Asyl, was aus dem Auslieferungsrecht, was aus der Forderung nach menschlichem Umgang mit Flüchtlingen geworden?“, schrieben sie bereits 1993 zum zehnten Jahrestag in einer Anzeige im Tagesspiegel. Damals wurde gerade politisch heftig um Flüchtlingspolitik gestritten und der bis heute umstrittene Asylkompromiss geschlossen, der die Hürden für die Anerkennung als Asylberechtigter erheblich erhöhte. Jetzt zum 30. Jahrestag wiederholten die Verwaltungsrichter ihre Fragen wortgleich in einer Anzeige – verbunden mit einem ernüchterten Fazit: „Unsere Gedanken in der Anzeige zehn Jahre nach diesem bitteren Ereignis gelten unverändert.“ Ein Urteil konnten die Richter 1983 nach dem Todessprung nicht mehr fällen. Aber sie machten damals in ihrer Entscheidung zur Übernahme der Verfahrenskosten deutlich, „dass es bei der Asylanerkennung geblieben wäre“, sagt Wieland. Und der Grünenpolitiker kommt zu dem Schluss, dass die Situation für Flüchtlinge auch heutzutage alles andere als befriedigend sei. Gerade in Hinblick auf die Auseinandersetzungen um das Asylbewerberheim in Hellersdorf zeige sich, „dass die Politik nach wie vor nicht auf die Aufnahme von Flüchtlingen vorbereitet ist. Dies wird von Rechtsextremisten zur Hetze ausgenutzt.“

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