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Hey, teacher! Maria Danilenko (links, beiger Pulli) und ihre Mittänzer vom Menzel-Gymnasium haben vor der Show kein Lampenfieber.
© Thilo Rückeis

Rockspektakel: "The Wall": Nieder mit der Angst

Im Jahr nach dem Mauerfall kamen 320.000 Fans zur Rockshow „The Wall“ auf den Potsdamer Platz. Jetzt bringt der Ex-Frontmann von Pink Floyd das Spektakel wieder her, und Berliner Schüler tanzen mit.

Lampenfieber? „Ach Quatsch.“ Wenige Tage vor dem großen Auftritt musste man Maria Danilenko noch keinen Mut machen. Auch die anderen in ihrer Gruppe seien „relativ gelassen“, erzählte die 16-jährige Schülerin. Wenn es erst losgehe, klar, dann werde die Spannung steigen, aber jetzt schon? Schließlich hat die Tanz-AG des Menzel-Gymnasiums allerhand Erfahrung mit Publikum.

Allerdings noch nie zweimal hintereinander in der ausverkauften O2-World am Ostbahnhof, am heutigen Mittwoch und tags darauf gleich noch mal. Nie an der Seite einer Rocklegende wie dem ehemaligen Pink-Floyd-Frontmann Roger Waters. Nie in solch einer gigantischen Show wie „The Wall“, zu deren bekanntestem Song „Another Brick in the Wall“ 16 Jungen und Mädchen tanzen, rhythmisch klatschen, den Refrain mitsingen, „Hey, teacher, leave us kids alone.“ Da liegt der Gedanke an Lampenfieber nicht ganz fern, oder? „Ach Quatsch.“

Auch Jürgen Lekutat, als Lehrer an dem Tiergartener Gymnasium zuständig für Chemie, Sport und eben auch die Tanz-AG, verwies wenige Tage vor dem „Mauer“-Durchbruch ganz entspannt auf die Erfahrung seiner Truppe. Der Bühnenauftritt sei ohnehin „tänzerisch nicht besonders anspruchsvoll“, Maria Danilenko sieht das auch so. Vor vier, fünf Monaten hatte ein Manager des lokalen Konzertveranstalters angefragt, der kannte die Tanz-AG von früheren Auftritten. Die Bühnentechnik für die Projektionen und die riesige, im Konzert erst aufgebaute, dann wieder niedergerissene Mauer – all das schleppt Roger Waters, begleitet von seiner Band, durch die halbe Welt, im vergangenen Herbst erst durch 35 US-Städte, seit März nun durch Europa. Für die zu „We don’t need no education“ tanzenden Schüler aber, den musikalischen Höhepunkt jeder „The Wall“-Show, greift er auf lokale Kräfte zurück, in diesem Fall die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums an der Altonaer Straße, das der Deutsche Tanzsportverband – Lekutat erwähnt es gern – seit Jahren mit dem Titel „Tanzsportbetonte Schule“ auszeichnet.

Roger Waters.
Roger Waters.
© dpa

Natürlich hat er sofort zugesagt, seine Truppe, insgesamt sind das um die 70 Mitglieder, war auch gleich Feuer und Flamme – wenngleich sie zu Pink Floyd eher „keine Beziehung“ hatten, wie der Lehrer erzählt. Maria Danilenko wusste immerhin schon einiges durch ihre Familie, hat das komplette Doppelalbum zwar nie komplett gehört, findet „Another Brick in the Wall“ „ganz schön“. Techno-Musik von Paul Kalkbrenner zieht sie allerdings vor.

Der muss sich aber verdammt anstrengen, wenn er mit dem Erfolg von „The Wall“ gleichziehen will. 1979 veröffentlicht, gehört das Album mit über 40 Millionen Exemplaren zu den meistverkauften der Rockgeschichte. Die Musik stammt weitgehend von Rogers, der daher die Aufführungsrechte besitzt. Vor der Mammuttournee war „The Wall“ nur selten auf der Bühne zu erleben, der technische Aufwand war einfach zu hoch. Aber als die richtige Mauer in Berlin fiel, war das natürlich kein Argument mehr: Laut Polizeizählung kamen 320 000 Fans, als Roger Waters am 21. Juli 1990 auf dem damals noch weitgehend kahlen Potsdamer Platz seine Styropor-Mauer aufbaute, den Abbau der aus Beton hatte man eigens gestoppt. Zu dem pompösen, auf DVD verewigten Konzert hatte er Gaststars wie Cyndi Lauper, Ute Lemper, Joni Mitchell, Bryan Adams, Sinead O’Connor und Van Morrison gebeten – und dann war trotz aller technischen Finessen gleich beim zweiten Stück und später noch einmal der Strom ausgefallen.

Wie im Traum habe er damals das Konzert erlebt, erzählte Waters im Vorfeld der aktuellen Tournee. Für sie wurde das alte Rockspektakel noch einmal kräftig aufgemöbelt. Die im Laufe der Show aufgebaute Wand, ein 73 Meter breites und knapp 11 Meter hohes Monstrum, hinter der Waters und die Band allmählich verschwinden, wird mit 15 Projektoren in ganzer Breite illuminiert, mit teilweise neugeschaffenen, nun gestochen scharfen Bilderfolgen von Gerald Scarfe, der schon die bekannten Puppen und aufblasbaren Objekte samt abstürzendem Kampfflugzeug entworfen hatte. Das ursprüngliche Doppelalbum war für Rogers mehr eine „autobiografische Übung“, zielte auf die Mauer im Kopf, nicht auf ein reales Bauwerk. The Wall, das war die imaginäre Grenze, mit der Pink, der traurige Held der Geschichte, sich zunehmend umgibt. Der Vater gefallen, die Mutter von maßloser Fürsorglichkeit, der Lehrer ein Monster, die Frau eine Schlampe – ein Drecksleben, vor dem Pink sich in Fantasien von faschistoidem Führertum flüchtet.

Heute deutet Roger Waters diese Geschichte einer „Rebellion gegen die Angst“ eher politisch, als eine „Allegorie der Art, wie Nationen handeln“. Und damit auch der letzte Zuschauer das kapiert, beginnt die Show nach der Ouvertüre mit Bildern gefallener Soldaten, die Waters nach einem Internetaufruf von Angehörigen zugesandt wurden. Später wird wiederholt allerhand Symbolkräftiges auf die Mauer projiziert, Kreuze, Hämmer und Sichel, Halbmonde, Davidsterne, Shell-Muscheln und Mercedes-Sterne. Und auch der berühmteste Mauer-Song „Another Brick in the Wall Part 2“, oft als Klagegesang geknechteter Schulkinder missverstanden, wird durch die T-Shirts des Kinderchors umgedeutet zur Mahnung an jedermann: Schwarze Hosen sollen die Schülerinnen und Schüler des Menzel-Gymnasiums tragen, passende T-Shirts bekommen sie gestellt, darauf mit der erstmals beim Tourneestart in Toronto präsentierten Parole: „Fear Builds Walls" – Angst baut Mauern auf. Andreas Conrad

„The Wall“, O2-World, 15. und 16. Juni, 20 Uhr, nur noch Restkarten

Andreas Conrad

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