zum Hauptinhalt
Der Flughafen Tempelhof ist das Bindeglied zwischen Tempelhof und Schöneberg.
© Kai-Uwe Heinrich

Wahlkreisserie vor der Bundestagswahl: Tempelhof-Schöneberg ist zweigeteilt

Der Bezirk ist Metropole und Vorstadt zugleich – und deshalb auch politisch bunt gemischt.

Wer wohnt hier?

Dieser Bezirk ist zweigeteilt – Metropole und Vorstadt gleichermaßen. Genauso zweigeteilt ist das Wahlverhalten. Die Innenstadt – also Schöneberg – wählt vor allem rot-grün. Je weiter man Richtung Süden in die Tempelhofer Stadtteile Mariendorf, Marienfelde und Lichtenrade kommt, desto schwärzer wird es auf der politischen Landkarte.

In diesem Teil des Bezirks kommt der rapide Wandel in der Stadt erst mit Verzögerung an. Die Behauptungskräfte der Alteingesessenen sind groß. Gerade in Lichtenrade gibt es viele Familien, die seit Generationen dort leben und wohl auch bleiben werden. Trotzdem ist ein Problem des Stadtrands die Überalterung der Einwohnerschaft. Dabei sind auch die südlichen Ortsteile durchaus heterogen: Gewachsene Einfamilienhausquartiere wechseln sich mit Großsiedlungen mit all ihren sozialen Problemen ab, unterbrochen werden sie immer wieder von großen Gewerbe- und Industrieflächen. Und auch ein bisschen ländliche Atmosphäre wird rund um die alten Dorfkirchen geboten.

Ganz anders präsentiert sich Schöneberg mit seinem urbanen Leben. Am Nollendorfplatz gibt sich der Bezirk vielfältig und queer: Hier lebt und feiert sich die LGBTI-Szene. Am Wittenbergplatz mit dem KaDeWe hat die Shopping-Welt ihr Zuhause, in Friedenau lebt das Bildungsbürgertum. Der Akazienkiez mit einem abwechslungsreichen Einzelhandel ohne große Ketten und mit vielen Restaurants und Kneipen ist attraktiv. So attraktiv aber, dass auch hier wie in anderen Teilen der Stadt viele Gentrifizierungstendenzen und Verdrängung einkommensschwacher Bewohner fürchten. Gleiches gilt für die Rote Insel, das einstige klassische Arbeiterviertel, das immer beliebter wird. Vom Wahlverhalten wird das Quartier allerdings inzwischen immer grüner.

Ein Verbindungsglied der ungleichen Bezirksteile ist auf jeden Fall die Tempelhofer Freiheit, das ehemalige Flughafengelände, das von Tempelhofern und Schönebergern gleichermaßen genutzt wird.

Welches Duell wird am spannendsten?

Am interessantesten ist in Tempelhof-Schöneberg vor allem, ob Renate Künast, eine der bundesweit bekanntesten Grünen-Politikerinnen, wieder den Sprung in den Bundestag schafft. Nach den derzeitigen Umfragen ist das mehr als fraglich. Anders als bei den vorangegangenen Wahlen steht sie nicht mehr auf Platz eins der Landesliste, sondern nur noch auf drei. Künast hatte von sich aus auf den Spitzenplatz verzichtet, um einen Generationswechsel zu ermöglichen. Zu diesem Zeitpunkt im Frühjahr aber konnte man noch davon ausgehen, dass der dritte Platz ebenfalls eine gute Ausgangsbasis ist.

Das hat sich inzwischen geändert. Inzwischen sieht es fast danach aus, dass es für Künast, die in ihrer Karriere schon viele Partei- und Fraktionsämter innehatte und Verbraucherschutzministerin war, nur dann reicht, wenn die Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg kein Direktmandat erringen. Denn mehr als drei Berliner Grüne werden dem Bundestag wahrscheinlich nicht angehören.

Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg. Für die Gesamtdarstellung auf das rote Kreuz klicken.
Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg. Für die Gesamtdarstellung auf das rote Kreuz klicken.
© Tagesspiegel

Dass der CDU-Mann Jan-Marco Luczak, aus Lichtenrade stammend, das Triple schaffen wird, also den Wahlkreis zum dritten Mal hintereinander holt, gilt als sehr wahrscheinlich. Luczak hat in diesem Jahr Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als er als Redner der Union in der überraschend angesetzten Debatte und Abstimmung zur „Ehe für alle“ sich eindringlich dafür aussprach. 2013 erzielte er bei den Wahlen satte 35 Prozent und ließ seine Konkurrentin von SPD, Mechthild Rawert, neun Prozentpunkte hinter sich. Ihr war es 2005 gelungen, das Direktmandat zu holen und damals zum ersten Mal ins den Bundestag einzuziehen, sie landete dann aber 2009 hinter Luczak und Künast. Wie bei den nachfolgenden Wahlen ist Rawert auch diesmal wieder gut auf der Landesliste abgesichert, so dass sie auch in der kommenden Legislaturperiode wieder einen Platz im Parlament haben wird.

Hat man hier überhaupt eine Wahl?

Auf jeden Fall. Man kann nicht sagen, dass der Bezirk fest in der Hand einer Partei oder einer bestimmten Koalition ist, auch die Ergebnisse auf Landes- und auf Bundesebene sind hier nicht deckungsgleich. Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus etwa im vergangenen Jahr lag beispielsweise die SPD mit 24,9 Prozent fünf Prozentpunkte vor der CDU.

Bezirksstatistik Tempelhof-Schöneberg.
Bezirksstatistik Tempelhof-Schöneberg.
© Tagesspiegel

Bei der Bundestagswahl vor vier Jahren lag wiederum die Union vier Prozentpunkte vor den Sozialdemokraten. Die Grünen sind traditionell stark. Die Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) kam durch eine rot-grüne Zählgemeinschaft ins Amt. Bei den drei anderen Parteien, die voraussichtlich in den Bundestag einziehen werden, die Linke, FDP und AfD, sind in Tempelhof-Schöneberg keine extremen Ergebnisse zu erwarten.

Was war das Skurrilste aus diesem Wahlkampf?

An Außergewöhnlichem war der Wahlkampf im Bezirk arm. Auffallend war vor allem, dass einem nur CDU-Mann Luczak flächendeckend auf den großformatigen Wahlplakaten, den so genannten Wesselmännern, begegnete. Das erste dieser Plakate zeigte Luczak mit seinem Jagdhund Edgar auf dem Tempelhofer Feld. Die Unterschrift „modern, mutig, mittendrin“ erschließt sich bei diesem Motiv weder auf den ersten noch den zweiten Blick. Die politische Konkurrenz nutzte die Gelegenheit, auf Facebook darüber zu spotten. SPD-Frau Mechthild Rawert setzte in den sozialen Medien wie Twitter und Facebook auf eine Kampagne, bei der Wählerinnen und Wähler erklärten, warum sie ihre Stimme Rawert geben. Ansonsten bot sie Werbemittel zum Vernaschen: Schokorollen und Rotes Wassereis mit ihrem Namen.

Renate Künast war persönlich äußerst defensiv und schrieb auf ihren Plakaten: „Wer Renate will, wählt Zweitstimme grün!“ Nach einem ernsthaften Kampf um die Erststimme sieht das nicht aus.

Zur Startseite