Berlin: Tausende wollen die Mauer retten
Menschenmassen, Transparente und Musik: Friedlich wurde für die Erhaltung der East Side Gallery demonstriert. Die Menschen ärgern sich über die Politik. Und heute sollen die Bauarbeiten weitergehen.
Es ist ein Protest der Massen geworden: Mehr als 6000 Menschen haben am Sonntagnachmittag nach Polizeiangaben gegen die Umsetzung von Teilen der East Side Gallery und gegen eine Bebauung des Spree-Ufers demonstriert – angemeldet waren 3000. Die Demonstranten drängten sich auf der Mühlenstraße zwischen der von Künstlern bemalten Mauer und einer provisorischen Bühne. Aktivisten riefen dazu auf, die angekündigte Fortsetzung der Bauarbeiten am heutigen frühen Montagmorgen mit einer Menschenmenge zu verhindern.
Die Mischung auf der Demo war bunt wie nie, sie reichte quer durch alle gesellschaftlichen Lager. Die Stimmung war, bei freundlichem Demonstrations-Sonnenschein, bestens. „Wowereit, die Mauer bleibt“ lautete der Schlachtruf, den das Bündnis „East Side Gallery Retten“ ausgegeben hatte. Elias Schneider, ein 24-jähriger Student, will weiter protestieren. „Ich bin heute hier, um ein Zeichen gegen den kulturellen Ausverkauf unserer Stadt zu setzen. Wenn das so weiter geht, sind wir in ein paar Jahren poor und noch nicht mal mehr sexy.“
Sascha Disselkamp von der Clubcommission, betonte, dass sich die Proteste nicht gegen den Investor richteten. Das Problem sei die Politik, die die Verantwortung zwischen Bezirk und Senat hin- und herschiebe. Eine Online-Petition zur Erhaltung der East Side Gallery hatten bis zum frühen Sonntagabend mehr als 55 000 Menschen unterzeichnet.
Bis zum Abend blieb die Kundgebung am Sonntag völlig friedlich, die Polizei war nur mit 200 Beamten präsent. Das Baugrundstück am Ufer hatte die Polizei besetzt, die in der vergangenen Woche gerissene Mauerlücke war durch einen Mannschaftswagen versperrt. Bei der Demonstration traten mehrere Gastredner auf, Politiker und Künstler forderten ein Eingreifen des Landes. Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) kritisierte, dass der Senat den Streit als „kleines Bezirksproblem“ abtue. „Das ist kein Bezirksproblem, das Thema ist eine Angelegenheit von stadtweiter, sogar internationaler Dimension“, sagte Schulz.
Wie berichtet, hatten Arbeiter am Donnerstag überraschend mit den Arbeiten an der ehemaligen Hinterlandmauer begonnen und am Freitag erste Schnitte gesetzt, bevor sie von Protestierenden gestoppt wurden. Die Lücke soll als Zugang für ein Luxus-Wohnhochhaus dienen und eine geplante Fußgängerbrücke an die Mühlenstraße anbinden.
Ein Vertreter der Künstler, die die Mauer nach der Wende bemalt haben, sprach am Sonntag von einem „schwarzen Tag“. Man sei nicht über den Abriss informiert worden, „das Loch muss wieder zugemacht werden“. Die Künstler riefen alle Demonstranten auf, 50 mitgebrachte Leinwände zu bemalen. Diese sollen in den kommenden Tagen bei ebay versteigert werden, um etwaige Gerichtskosten zu finanzieren. Wie berichtet, wollen mehrere Künstler rechtliche Schritte gegen den Abriss unternehmen. „Andere Denkmäler, wie beispielsweise das Brandenburger Tor oder die Gedächtniskirche, werden ja auch nicht abgetragen, teilabgerissen oder beschmiert“, teilte Kani Alavi mit, der Vorsitzende der Künstlerinitiative „East Side Gallery“.
Christian Ströbele, der im Bezirk direkt gewählte grüne Bundestagsabgeordnete, räumte ein, sich lange nicht um die Bebauung an der Spree gekümmert zu haben: „Das war ein Fehler.“ Ströbele forderte den Senat auf, den Bebauungsplan zu ändern, um eine Grünfläche am Spreeufer zu erhalten. Dem Investor müsse ein Ersatzgrundstück oder eine finanzielle Entschädigung angeboten werden.
Der Investor Maik Uwe Hinkel kündigte am Sonntag an, die Arbeiten am Montag fortsetzen zu wollen. Er zeigte sich von der Wucht der Proteste überrascht. Für das Projekt gebe es alle Genehmigungen, und es sei seit Jahren bekannt.
Vertreter der Berliner Regierungsfraktionen SPD und CDU sagten zu, dass das Thema im Abgeordnetenhaus behandelt wird. Die Rede des CDU-Abgeordneten Stefan Evers ging zum Teil in Pfiffen und Gejohle unter. Die SPD-Parlamentarierin Susanne Kitschun wies die generelle Kritik am Senat zurück. Die Entscheidung für die Bebauung sei in den 90er Jahren vom Bezirk getroffen worden.
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