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Keine Überbrückungshilfe vom Bund – Zehntausende Studierende bekamen in den vergangenen Wochen eine Mail mit der Ablehnung zu ihrem Nothilfe-Antrag.
© picture alliance/dpa
Exklusiv

Finanznot wegen Corona: Tausende Nothilfe-Anträge von Studierenden abgelehnt

Mehr als jeder dritte Antrag auf Nothilfe für Studierende wurde bundesweit im Schnitt abgelehnt. Alleine in Berlin gab es mehr als 2500 Ablehnungen.

Kellnern im Restaurant, am Kinoschalter kassieren und helfen auf dem Messebau: 40 Prozent aller Studierenden haben durch den Corona-Lockdown ihren Job verloren, wie der Personaldienstleister Zenjob ermittelte. Das entspricht mehr als einer Million verlorenen Arbeitsplätzen. Das Wegbrechen der Jobs hat auch in Berlin tausende Studierende in finanzielle Not getrieben.

Nach Zahlen des Deutschen Studierendenwerks waren zuletzt 17.000 Anträge auf Nothilfe in Berlin eingegangen. Dem stehen laut Statistischen Bundesamt 190.000 Studierende gegenüber, die im Wintersemester 2019/2020 an Berliner Hochschulen eingeschrieben waren.

Nun stellt sich heraus: Von rund 6.000 bearbeiteten Anträgen in der Hauptstadt hat das zuständige Studierendenwerk mehr als 2.500 Anträge abgelehnt. Die Zahlen stammen aus der Antwort auf eine Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Jens Brandenburg am Donnerstag.

Auch der Berliner Student Lukas Keil stellte einen Antrag auf Überbrückungshilfe, den das Studierendenwerk jedoch ablehnte. Er schilderte seine Situation in einer Mail dem Tagesspiegel: „Ich bin Student, deutscher Staatsbürger, mein Konto ist unter 500 Euro und ich beziehe seit Mitte März coronabedingt Kurzarbeitergeld.“ All diese Umstände seien Voraussetzungen, um die Nothilfe zu beziehen.

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„Ende Juni habe ich einen Antrag auf Überbrückungshilfe gestellt. Trotz Vorliegen der Voraussetzungen wurde der Antrag abgelehnt und zwar, weil er ‚unvollständig‘ beziehungsweise ‚unleserlich‘ war.“ Das Studierendenwerk dürfe zwar Nachreichungen anfordern, müsse es jedoch nicht.

Ablehnung sei „Ungerechtigkeit“ und „bodenlose Frechheit“

Laut dem Studentenwerk und dem Bundesbildungsministerium ist es nicht möglich, Unterlagen nachzureichen – so steht es im FAQ auf der Webseite vom Verband der Studentenwerke. „Das heißt, wer ein Dokument vergisst mit abzuschicken, dem wird die Nothilfe verwehrt“, so der Student.

„Mir wurde dann gewährt einen Folgeantrag für Juli zu stellen.“ Dabei habe er die für Juni abgeschickten Dokumente nicht für Juli austauschen können, weil alles per Online-Antragsformular funktioniert. „Ob ich für Juli Geld bekomme, weiß ich noch nicht.“ Dass der Student keine Überbrückungshilfe bekommt, weil er keinen „perfekten Erstantrag“ gestellt habe, empfindet er als „Ungerechtigkeit“ und „bodenlose Frechheit“.

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Um in Not geratenen Studierenden unter die Arme zu greifen, hat das Bundesbildungsministerium ein 100 Millionen Euro schweres Programm an Überbrückungshilfen aufgelegt, das für die Monate Juni, Juli und August gilt. Je nach Notlage bekommen die Studierenden bei Bewilligung des Zuschusses zwischen 100 und 500 Euro ausgezahlt.

So ist ein Zuschuss von 500 Euro möglich, wenn der Kontostand weniger als 100 Euro beträgt und ein Zuschuss von 100 Euro anberaumt, wenn der Kontostand einen Betrag zwischen 400 Euro und 499,99 Euro ausweist. Mit einer Ablehnungsquote von etwa 41 Prozent reiht sich das Land Berlin gleich hinter Thüringen (42 Prozent) auf Platz 4 der anteilig höchsten Ablehnungsquote auf.

Nothilfe für Studierende unterschiedlich häufig bewilligt

Die Daten zu den abgelehnten Nothilfe-Anträgen liegen dem Tagesspiegel aufgeschlüsselt nach Bundesländern vor und zeichnen ein uneinheitliches Bild: So lehnten die Studentenwerke im Saarland die Anträge auf Überbrückungshilfe bei 680 bearbeiteten Fällen am häufigsten ab: 414 Ablehnungen sprachen die zuständigen Stellen aus, das entspricht etwa 60 Prozent abgelehnten Anträgen.

Unter Druck: Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) steht in der Kritik.
Unter Druck: Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) steht in der Kritik.
© Reuters

Das Bremer Studierendenwerk hingegen bewilligte mehr als 90 Prozent aller Anträge: Bei 1478 bearbeiteten Anträgen lehnte die Stelle lediglich 96 ab. Insgesamt sind von rund 82.000 vollständig eingereichten Anträgen bundesweit etwa 64.000 bearbeitet. Knapp über 32.000 Anträge bewilligten die Studentenwerke, mehr als 25.000 lehnten sie ab. Bundesweit lehnten Studierendenwerke so im Schnitt mehr als jeden dritten Antrag auf Überbrückungshilfe ab.

„Frau Karliczek hat monatelang auf sich warten lassen und jetzt dauern die Verfahren viel zu lange“, kritisierte der FDP-Abgeordnete Jens Brandenburg die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU). Noch immer seien die Juni-Anträge nicht abgearbeitet. „Den Titel der Trödelministerin hat sie sich redlich verdient.“

Die unterschiedlichen Ablehnungsquoten bei den Bundesländern kommentierte Brandenburg mit den Worten: „Der Zugang zu schneller Hilfe darf keine Standortfrage sein. Denn viele Studierende stehen vier Monate nach den großen Jobverlusten am Rande ihrer Existenz.“ Oft scheiterten Anträge an Formalia, wenn beispielsweise die Kündigung des Jobs nicht ausdrücklich auf die Pandemie hinweist.

Fast 40 Prozent aller Ablehnungen begründet mit fehlenden Unterlagen

Nach Vorstellung des FDP-Abgeordneten hätte die Bundesbildungsministerin stattdessen das BAföG-Volldarlehen für alle öffnen sollen, die in der Krise ihren Nebenjob verloren haben. „Die Verfahren wären eingespielt, der Förderanspruch schnell geprüft und die Rückzahlung erst nach dem Studium fällig“, so Brandenburg.

Auf Anfrage wies das Bundesbildungsministerium darauf hin, man könne erst dann eine Aussage über das Verhältnis zwischen Bewilligung und Ablehnung treffen, wenn die zuständigen Stellen alle Anträge bearbeitet haben. Die Hälfte aller abgelehnten Anträge weise keine „pandemiebedingte akute Notlage“ nach und bei fast 40 Prozent aller abgelehnten Nothilfeanträge seien Dokumente unvollständig oder nicht lesbar gewesen. Laut Bundesbildungsministerium geht etwa jede zehnte Ablehnung auf die Abweichung zwischen tatsächlichem und angegebenem Kontostand zurück, wodurch keine Notlage erkennbar sei.

Erst Mitte Juni demonstrierten 250 Studierende zusammen mit der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft vor dem Berliner Hauptbahnhof, um auf ihre prekäre Situation aufmerksam zu machen. Der Protest richtete sich in erster Linie gegen die als unzureichend wahrgenommene Unterstützung von Bildungsministerin Karliczek.

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