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Tana Herzberg (1932-2015)
© privat

Nachruf auf Tana Herzberg (Geb. 1932): Tanz, Schmerz, Pflicht

Sie hat nicht nur eine tragisch anmutende Aura, sie kennt sich in Sachen Tragik auch ganz gut aus. Der Nachruf auf eine Frau, die einst umjubelt wurde

Mit Disziplin gelangte sie auf die Bühne und wurde umjubelt. Mit Disziplin zerstörte sie ihren Körper. Diszipliniert wurde sie Kulturbürgerin. Mit letzter, härtester Disziplin verließ sie diese Welt, in der, da war sie sich sicher, das Wesentliche niemandem geschenkt wird.

Ein schmales Mädchen aus schmalen Verhältnissen in Prenzlauer Berg, der Vater Kraftfahrer, der Krieg, die Bomben. Eine, die in dieser zerborstenen Welt zum Tanz findet, tut alles dafür, tanzen zu können, müht sich, schindet sich, macht sich leicht, springt in die Luft, so hoch, dass sie lange, lange nicht auf dem harten Boden aufkommt, und wenn doch, dann am liebsten gehalten von den starken Armen eines starken Mannes.

Sie verlässt die Familie, um sich in West-Berlin von der strengen Tatjana Gsovski quälen und fördern zu lassen. Sie gibt sich einen neuen Namen, früher hieß sie Hannelore, jetzt heißt sie Tana nach einer ihrer ersten Rollen.

Als die Mauer sie von der Hannelore-Welt vollends trennt, hat sie ihre größten Triumphe bereits gefeiert. Sie ist erste Solotänzerin an der Deutschen Oper, beeindruckt mit makelloser Technik und ihrem strengen, langen Gesicht besonders in den tragischen Rollen. Als Hamlets Mutter, von der niemand weiß, ob sie mit dem Mord an ihrem Mann etwas zu tun hat. Als die lesbische Gräfin Geschwitz, die unsterblich in Lulu verliebt ist, sie befreit und mit ihr ermordet wird.

Tana Herzberg, erste Solotänzerin der Deutschen Oper, in den fünfziger Jahren
Tana Herzberg, erste Solotänzerin der Deutschen Oper, in den fünfziger Jahren
© privat

Tana Herzberg, die Haare eng nach hinten zum Zopf frisiert, Mandelaugen, hohe Wangenknochen, riesiges Kinn, hat nicht nur eine ernste, tragisch anmutende Aura, sie kennt sich in Sachen Tragik auch ganz gut aus. Da sind die Entbehrungen und die körperlichen Schmerzen der Leistungssportlerin, Stürze, eine Gehirnerschütterung, tags drauf Generalprobe und Premiere, schlaflose Nächte, Schlafmittel, die die Leber krank machen. Auch mit der Liebe hat sie es schwer. Sie heiratet den Tänzer und Choreografen Manfred Taubert – und ahnt nicht, dass er schwul ist. Nach ein paar Jahren erfährt sie es und lässt sich scheiden.

1961 unternimmt sie einen Selbstmordversuch. Da ist sie 29, uralt für eine Tänzerin. Und tanzt weiter, bis es nicht mehr geht. Mit 34 beantragt Tana Herzberg, deren Knochen und Verdauungsapparat vollends kaputt sind, die Berufsunfähigkeitsrente.

Sie ist inzwischen Mutter und zum zweiten Mal verheiratet, jetzt mit einer sicheren Partie. Joachim Moebus, Religionswissenschaftler und Soziologe, ist Professor an der Freien Universität. Und Tana Herzberg wird zur Frau Professor. In ihrem bürgerlichen Namen vermengt sich die alte, kleine Welt mit der neuen bourgeoisen: Hannelore Moebus.

Mehr soll für den Gelehrten nicht drin gewesen sein?

Mit Mann und Tochter bewohnt sie 250 Quadratmeter in Charlottenburg. Die damit einhergehenden Pflichten erfüllt sie vorbildlich. Früher hat sie Buch geführt über Tanzfiguren und Choreografien, jetzt vermerkt sie in einem Buch, mit welchen Menüfolgen sie ihre Gäste bewirtet. An ihre Zeit als Tänzerin erinnert nur noch ein kleines Bild neben dem Schreibtisch. Sowie ihre trotz aller Schmerzen kerzengerade Haltung und die Frisur, die fest nach hinten zum Minidutt gebundenen Haare.

Die Familie von Joachim Moebus blickt verächtlich auf sie. Eine gewesene Tänzerin, mehr soll für den Gelehrten nicht drin gewesen sein? Sie holt die Bildung nach. Liest sich durch Bücherregale, liest Zeitung, besucht Theater und Konzerte. Und lernt noch einen Beruf. Sie wird Atemtherapeutin – wohl auch getrieben vom eigenen Leid. Mit Atemtechniken gelingt es, Schmerzen zu lindern. In der Wohnung gibt es neben Salon und Bibliothek ein Behandlungszimmer.

Die Tochter muss sich mit einem Durchgangszimmer begnügen. Sie soll lernen, dass einem nichts geschenkt wird im Leben. Kein gutes Rezept für eine gedeihliche Mutter-Kind-Beziehung. Die Tochter sagt sich später los von ihrer Mutter. Ein bleibender Schmerz.

Tana Herzberg (1932-2015)
Tana Herzberg (1932-2015)
© privat

Als gelte es, dem überbordenden Bewusstsein für Verantwortung und Disziplin etwas Jenseitiges entgegenzusetzen, legt Tana Herzberg jegliche Entscheidung von Tragweite in die Hand höherer Mächte. Was gekocht werden soll, welches Medikament das richtige, welches Buch zu lesen ist – sie pendelt das alles aus.

Über eines aber will sie ganz allein bestimmen: über ihr Ende. Nachdem ihr Mann gestorben ist, lässt sie sich von einer Theaterwerkstatt einen Sarg anfertigen. Der steht bei ihr in der Kammer, zehn Jahre lang. Als sie zweimal schwer gestürzt ist und weiß, dass sie gepflegt werden und womöglich ihre riesige Wohnung verlassen muss, ist es Zeit. Assistiert von einem Arzt, begleitet von Enkeln und Nichten, geht Tana Herzberg ihren letzten Weg. Nichts essen, nichts trinken, ein unglaublicher Willensakt. Nach einer Woche hat sie es geschafft.

An ihrem Kleid aus rotem Samt steckt ein Zettel: „Dies ist das Kleid.“ Darin möchte sie bestattet werden. Es ist alles organisiert, sie hat vorgesorgt. Wer, wenn nicht sie?

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