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Schokolade um Schokolade. Der Verzicht fällt gar nicht so einfach.
© imago/avanti

Fastenzeit hat begonnen: Tagesspiegel-Redakteure verzichten

Seit Aschermittwoch läuft die Fastenzeit, für viele ist das ein Grund, irgendetwas zu entsagen: dem Wein am Abend, der Kippe zwischendurch oder der Nervennahrung Schokolade. Aber warum ist der Verzicht nur so schwierig?

Sieben Wochen ohne, sagen die Christen. Seit dem gestrigen Aschermittwoch heißt es wieder: Entsagen, verzichten, bewusster leben. Bis zum Ostersonntag dauert die Fastenzeit, bis zum 20. April nehmen sich Gläubige und Ungläubige nun vor, keinen Alkohol zu trinken, nicht zu rauchen, keine Schokolade zu essen. Anders als bei den guten Vorsätzen fürs Neue Jahr hat die Fastenzeit den Vorteil, dass sie zeitlich klar begrenzt ist. Denn Ostersonntag heißt es dann: Eierlikör aus dem Schokobecher und dazu Opas Zigarre rauchen! Oder so. Bis dahin haben wir uns Folgendes vorgenommen:

HANDY-FREI

Mein internetfähiges Smartphone ist kaputtgegangen. Ich könnte es nun zum Handydoktor bringen oder einschicken. Aber genau das werde ich nicht machen. Die Fügung will es offenbar so: Dieses Jahr ist Smartphone-Fasten angesagt! Wie passend: Schließlich ist das protestantische 7-Wochen-Ohne, dem ich mich lose verpflichtet fühle, ja kein fest gefügter Buß-Ritus, sondern regt an zum Verzicht auf ganz bestimmte Luxusgüter, Zerstreuungsmechanismen, Bequemlichkeitsgaranten. Zur Überprüfung persönlicher Gewohnheiten, zum Auffrischen des Blicks auf die Welt, zum Mehr-Denken und Weniger-Handeln, zum Zwiegespräch, mit sich, mit Gott, mit allem. Und es ist ja nun tatsächlich so, dass die mobile Kommunikation mich in den vergangenen zwei Jahren deutlich mehr und häufiger aus dem Hier und Jetzt befördert hat als zum Beispiel der Alkohol (auf den ich auch verzichte). Schon bekommt man im Bus viel mehr mit, tagträumt, denkt. Nicht, dass diese Welt grundsätzlich besser wäre als die der großartigen Endloskommunikation im mobilen Netz! Aber sie ist eine, die die andere relativiert – und das ist ja das Tolle am Fasten. Zum Handydoktor gehe ich dann am Dienstag nach Ostern. Mit besonderer Freude. Johannes Schneider

FLEISCH-FREI

Das erste Mal ohne hab’ ich jetzt hinter mir: Mango-Kokosmilch-Suppe mit Ingwer – Hackbraten war gestern. Schuld daran ist, wie immer, meine Frau! Die kriegt nämlich die Bilder der „KZ-Hühnchen“, wie sie sagt, nicht mehr aus dem Kopf. Deshalb isst sie kaum noch Fleisch und beschloss zu fasten. Weil ich ein treu sorgender – andere sagen: ständig besorgter – Vater bin, schlug ich vor, die Kinder für dieses Vorhaben zu gewinnen. Ich lamentierte laut, dass ich so lange Verzicht leisten müsse, und jubelte insgeheim, als Antonia, 8 Jahre, prompt fragte: „Warum denn?“ Ich erzählte ihr, dass wir auf Süßes verzichten und das gute sechs Wochen lang. Sie biss sofort an: „Ich mache mit!“ Jan Philipp, 6, schloss sich auch der Bewegung an. Am Abend vor Aschermittwoch haben wir dann alle Schokoriegel, Zuckerschlangen und Gummibärchen hervorgekramt und kräftig zugelangt. Ich wäre lieber ins Steakhouse gegangen, „all-you-can-eat“. Aber Männer bringen eben Opfer. Ralf Schönball

Keine Schokolade, keine Arbeit.

ARBEITS-LOS

Ich trinke nicht übermäßig, rauche selten und der Heißhunger auf Schokolade überkommt mich auch nur selten. Was aber wäre ein echter Verzicht? Einer, der schwerfällt? Die Erkenntnis ist so einfach wie schwierig umzusetzen: weniger arbeiten. Nein sagen. Aufträge ablehnen, so interessant sie auch sein mögen. Ruhiger werden, weniger gestresst sein. Ich nehme es mir jedes Jahr vor – und scheitere. Als Journalistin, die viel über kirchliche Themen schreibt, sind die Wochen vor Ostern hochproduktive Zeiten. Da sind kirchliche Themen gefragt, da passiert auch meistens viel. Vergangenes Jahr wurde ein neuer Papst gewählt, dieses Jahr wird sich das Schicksal des Limburger Bischofs entscheiden. Zum Beispiel. Aber ist das nicht schon wieder eine Ausrede? Ein Kollege erzählte mir neulich scherzhaft, er wolle dieses Jahr Besserwissenfasten. Leichtigkeit ins Leben bringen, indem er sich und die eigenen Sätze nicht so ernst nimmt. Auch keine schlechte Idee. Deshalb: Schluss jetzt. Punkt. Ostersonntag melde ich mich wieder. Claudia Keller

SCHOKO-FREI

Ob er es dieses Jahr wieder vorhat, hat er noch nicht gesagt. Aber im vergangenen Jahr hatte mein damals achtjähriger Sohn sich vorgenommen, auf Süßigkeiten zu verzichten. Er war wirklich hart gegen sich – uns Erwachsene hat er damit mächtig beeindruckt. Denn während seine Geschwister zulangten wie sonst auch, aß er nicht einmal Müsli, auch keinen Kuchen zur Kaffeezeit, kein erstes Eis der Saison. Das schien ihm auch gar nicht schwerzufallen. Nur eines konnte er fast nicht verdauen: Mein „Nein, natürlich nicht! Sonst wäre es ja kein Verzicht!“ auf seine Frage, ob er all die entgangenen Leckereien denn gutgeschrieben oder hinterher ausgehändigt bekomme. Fatina Keilani

Erklärungs-Los und Freund-Los.

ERKLÄRUNGS-LOS

Der anstrengendste Tag beim Fasten ist nicht der erste und auch nicht der letzte, es gibt eigentlich gar keine anstrengenden Tage. 40 Tage ohne Alkohol, Fleisch und Süßkram – ja und? Fleisch und Süßkram interessieren mich auch an den 325 restlichen Tagen des Jahres kaum, und wenn 40 Tage ohne Alkohol wirklich ein Problem wären – tja, denn hätte ich wirklich ein Problem. Anstrengend sind nur die Fragen der anderen. Bist du schon immer so tiefreligiös? Zählst du schon die Tage bis zum ersten Bier? Verspürst du Entzugserscheinungen? Wem willst du eigentlich was beweisen? Und, ganz besonders gern gehört: Kannste nicht heute mal eine Ausnahme machen? Bei meinen Antworten bin ich durchaus variabel. Es geht dabei um meinen Übertritt vom Hinduismus zum Islam, den kalten Entzug mit lauwarmem Salzwasser oder eine auf Heideggers Kritik der Metaphysik beruhende Unmöglichkeit der Ausnahme. Alles nicht besonders geistreich. Aber wenn es spät genug ist und die anderen genug getrunken haben, glauben sie einem wirklich alles. Allein das ist Motivation genug für 40 Tage ohne Alkohol. Sven Goldmann

FREUND-LOS

Fastenzeit? Langweilig. Wer diese Veranstaltung nicht mitmacht, kann schon mal das „Kicker“-Sonderheft rauskramen, weil am Kneipentresen niemand lehnt, mit dem man sich unterhalten könnte. Es gibt nämlich alljährliche Kurz-Dialoge am Handy, gestern Nachmittag ging’s los:

„Na, Lust auf Fußball? Das Länderspiel gucken?“ – „Nee.“ – „Wie, nee? – „Ich faste.“ Mit diesen zwei knappen Worten (Verzicht!) ist dann auch schon wieder alles gesagt, weil man sein Geld nicht für ein stilles Wässerchen in der Kneipe ausgeben muss und Angetrunkene nüchtern sowieso nicht erträgt. Die Fußballkumpels sieht man dann in den kommenden Wochen höchstens mal auf dem Spielplatz. André Görke

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