Vattenfall-Pläne in der Lausitz: Tagebau Cottbus-Nord soll Badesee werden
Wo bis vor kurzem die Braunkohlebagger fuhren, soll bald gebadet werden. Ein Traum, sagen viele. Andere befürchten Probleme für den Spreewald und das Berliner Trinkwasser.
Das Wasser zwischen den Uferböschungen glitzert in der Frühlingssonne, zwei Liegen laden zum Verweilen auf feinem Sand – ohne den Zaun dazwischen wäre die Illusion perfekt: „Wir wollen die Bevölkerung mitnehmen, etwas Werbung machen für die künftige Landschaft“, sagt Thoralf Schirmer, Lausitz-Pressesprecher von Vattenfall. Der Energiekonzern will aus dem 2015 stillgelegten Tagebau Cottbus-Nord den größten künstlichen See Deutschlands machen.
Man mag es kaum glauben, dass hier vor wenigen Wochen noch die Bagger fuhren im Tagebau – der „Grube“, wie die Bergleute sagen. Einer von ihnen, der 1998 verstorbene Baggerfahrer und Liedermacher Gerhard Gundermann, hat in seinen Songs die schwere Arbeit der Kumpel zu DDR-Zeiten beschrieben, ihre Erschöpfung durch Schichtdienst, Regen, Kälte und schmutzige Luft – aber auch ihre Verzweiflung, als nach 1990 viele Gruben geschlossen wurden und Zigtausende ihre Jobs verloren. „Heute an einem schönen weißen Strand träumen wir von unserm alten Eisenland“, sang Gundermann 1995 und hatte dabei wohl die fernen Länder, in die man endlich reisen konnte, im Blick.
Längste Strandpromenade zwischen Rostock und Rimini
Doch die schönen weißen Strände sollen jetzt hier entstehen: Aus dem alten Eisen- soll das neue Seenland werden. Zahlreiche Tagebaue in der Lausitz werden bereits geflutet, nun also auch Cottbus-Nord. Viele Millionen Tonnen Kohle wurden hier seit 1983 gefördert und im Kraftwerk Jänschwalde verarbeitet.
Der Name „Ostsee“ wurde in einem öffentlichen Wettbewerb gesucht und 2013 von den Cottbuser Stadtverordneten beschlossen. Assoziationen sind durchaus gewollt, von der längsten Strandpromenade zwischen Rostock und Rimini ist die Rede, von Häfen, Wasserskianlagen, Naturschutzgebieten und bis zu 80 Zentimetern hohen (Ostsee-)Wellen. Der endgültige Wasserspiegel soll bei 62,5 Meter über dem Meeresspiegel liegen, mit 126 Millionen Kubikmeter Wasser auf einer Fläche von 1900 Hektar wird der Ostsee mehr als doppelt so groß wie der Berliner Müggelsee – und an einigen Stellen fünfmal so tief.
Vor der Flutung muss die Erde verdichtet werden
Vattenfall muss dafür sorgen, dass der künftige See und die Landschaft sicher sind. Die Erdbau-Arbeiten für das Seebecken haben begonnen, dabei sei man im engen Wissensaustausch mit der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbauverwaltungsgesellschaft (LMBV), sagt Vattenfall-Sprecher Schirmer: „Die haben ja schon viele Erfahrungen mit der Flutung von ehemaligen Tagebauen gesammelt.“
Gerade wegen dieser Erfahrungen regt sich immer mehr Kritik am Cottbuser Ostsee. Dabei geht es vor allem um den Spreewald und die Trinkwasserversorgung Berlins. Der See soll mit Wasser aus der Spree geflutet werden. Relativ sauberes Spreewasser wird also hineinfließen. Dass das, was aus dem See herauskommt, ebenso sauber ist, bezweifeln Umweltschützer wie René Schuster von der Grünen Liga Brandenburg. „Es wird eine hohe Eisenkonzentration geben und auf Dauer könnte das zu einer Verockerung der Spree führen“, sagt er. Zu rotbraunen Fließen im Spreewald also, auf denen kein Tourist mehr paddeln möchte.
Hinzu kämen hohe Sulfatwerte. „Selbst Vattenfall geht in seinen Planungen davon aus, dass Wasser, das vom Ostsee wieder in die Spree geleitet wird, eine Sulfatbelastung von 500 Milligramm pro Liter aufweist. Das wäre doppelt so hoch wie der Trinkwassergrenzwert“, sagt Schuster. Selbst wenn sich das noch mit dem Spreewasser mische, sei man besorgt.
Sulfatbelastung angestiegen
Die Berliner Wasserbetriebe hatten tatsächlich vor einem Jahr Alarm geschlagen, nachdem der durchschnittliche Sulfatwert im Reinwasser des Wasserwerks Friedrichshagen am Müggelsee binnen Jahresfrist von 150 auf 180 Milligramm gestiegen war. Zwar ist Wasser auch bei höherer Sulfatbelastung nicht gesundheitsschädlich, fördert aber Korrosion von Leitungen und Beton. „Inzwischen befinden wir uns in konstruktiven Gesprächen mit Vattenfall, LMBV und den Ländern Sachsen und Brandenburg“, sagt eine Sprecherin der Wasserbetriebe: „Wir beobachten die Situation, sind aber sicher, dass sich das Problem lösen lässt.“
Vattenfall-Sprecher Schirmer betont, dass der Energiekonzern selbstverständlich „das gesamte System im Blick hat – auch und vor allem, was die Wasserqualität angeht“. Ein erhöhter Eiseneintrag aus dem künftigen See in die Spree sei gar nicht zu erwarten, denn das hier vorhandene kalkreiche Sediment wirke neutralisierend und sorge dafür, dass die mit dem Grundwasser aufsteigenden Eisenpartikel sich dauerhaft am Boden absetzen.
Vorhersagen wären ein spekulativ
„Wir haben im Moment keine ausreichenden Informationen, um belastbare Aussagen zu einem eventuellen Einfluss des Ostsees auf das Berliner Trinkwasser zu machen“, sagt Dominik Zak vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Grundsätzlich habe sich zwar gezeigt, dass Flutung von Tagebaurestlöchern in der Regel zu zunehmender Sulfatbelastung der Spree geführt habe – ob diese Kenntnisse übertragbar seien oder wie hoch der tatsächliche Einfluss ausfalle, sei derzeit aber rein spekulativ.
Am künftigen Südkap des Cottbuser Ostsees hat sich mittlerweile ein sogenannter Tagebaurandschlauch bereits mit Wasser gefüllt und vermittelt eine Ahnung, wie schön es hier sein könnte, wenn der See vollständig geflutet ist. Bis 2024 soll das geschehen, zunächst aber muss das Erdreich im und um den einstigen Tagebau mit spezieller Rütteltechnik verdichtet werden, erläutert Schirmer: „Auch dabei helfen uns Erfahrungen der LMBV.“ Die arbeitet seit Jahren an der Flutung älterer Tagebaue in Brandenburg und Sachsen. Das geht langsamer voran als geplant – vor allem was die Qualität des Wassers betrifft, das oft noch zu sauer, also nicht zum Baden geeignet ist. Zudem war es in einigen Seen zu heftigen Erdrutschen gekommen, bereits für den Tourismus freigegebene Bereiche mussten deshalb wieder gesperrt werden.
Kann die Spree austrocknen?
Eine vergleichbare Umwandlung von Tagebau-Restlöchern in Seen hat es noch nicht gegeben. Deshalb beruhen alle Planungen der Bergbaufolgelandschaft auf Modellen, sagen Wissenschaftler. Und Modelle könnten nie alle Faktoren erfassen – beispielsweise die Niederschlagsmengen oder die Klimaentwicklung.
René Schuster, der die Flutung der Tagebaue als billigste, aber keineswegs beste Nachfolgenutzung kritisiert, befürchtet auf lange Sicht eine hohe Verdunstung durch die großen Seenflächen. Das könnte bis Ende des Jahrhunderts zum Austrocknen der Spree führen.
Manche schlagen daher vor, den Ostsee als Speicherbecken anzulegen, um Niedrigwasser in der Spree auszugleichen. Das hätte aber eventuell eine Einschränkung touristischer Nutzung und zeitweise einen noch höheren Wasserspiegel zur Folge. Schon macht eine Bürgerinitiative mobil, die einen permanenten Wasserdruck und daraus folgend nasse Keller und feuchte Grundstücke befürchtet, weil der Wasserspiegel des Ostsees höher liegen wird als die benachbarte Ortschaft Maust. Naturschützer wiederum fürchten, dass es in regenarmen Zeiten zum Austrocknen eines neu angelegten und wunderschönen Renaturierungsgebietes an der Spree kommt.
Chance für Strukturwandel
Der ehrenamtliche Ortsvorsteher von Maust, Harald Groba, teilt die meisten Bedenken nicht. „Ich glaube, dass die zuständigen Behörden sehr genau darauf achten, was sie genehmigen“, sagt er. Im Übrigen seien alle Kommunen bei den Planungen einbezogen und könnten Bedenken geltend machen. „Grundsätzlich bietet der Ostsee den Menschen hier aber die Chance, den schwierigen Strukturwandel zu meistern und neue Arbeitsplätze im Tourismus und Landschaftsschutz zu schaffen“, ist Groba sicher. Der nahe gelegene Erlebnispark Teichland mit Sommerrodelbahn, Kletterfelsen und sorbischem Götterhain werde schon gut besucht. Wenn sich das mit Strandurlaub und Bootsfahrt verbinden lasse, könnten die Menschen im alten Eisenland tatsächlich zu neuen Ufern aufbrechen.