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Westphals Film „Bolzmann“ ist einer von vielen Abschlussfilmen, die an der Schule entstehen.
© Mike Wolff

Filmarche in Berlin-Neukölln: Studieren in Selbstorganisation

In Neukölln lernen und drehen Filmstudenten selbstorganisiert und ohne staatliche Förderung.

Der Weg ins Filmgeschäft ist steinig – und führt häufig durch aufwendige Bewerbungsprozesse an den staatlich anerkannten Hochschulen. Unzählige Bewerber konkurrieren um wenige Plätze, für alternative Lebensformen und Nebenjobs bleibt neben dem Studium häufig ebenso wenig Zeit wie für die Familiengründung. Künftigen Filmemachern, denen das Raster der staatlichen Schulen zu eng ist, will die selbstorganisierte Filmarche in der Neuköllner Lahnstraße eine Alternative bieten.

Selbstorganisation, das heißt hier in erster Linie: Anpacken. Jeder Studierende besucht nicht nur Seminare, sondern organisiert auch den gesamten Schulablauf mit. Jede Klasse plant ihren Unterricht in Eigenregie. Die Studierenden entscheiden selbst, was sie lernen wollen – und wer ihnen das beibringen soll. Ein Curriculum, das über die Jahre in der Schule erarbeitet wurde, dient dabei lediglich als Orientierung. Der Unterricht findet an einem Tag pro Woche statt, sodass Zeit für Nebenjobs, Familie und andere Projekte bleibt. Die Ausbildung ist als Teilzeitstudium auf drei Jahre angelegt.

„Wir stellen alle gemeinsam sicher, dass der Laden läuft“

Parallel ist jeder Student Teil eines Gremiums, das sich etwa um Fundraising, Pressearbeit, die Organisation von Veranstaltungen oder das Bewerbungsverfahren im kommenden Jahr kümmert. Studierende der höheren Semester leiten die neuen Studierenden an, bis diese selbst Verantwortung für folgende Semester übernehmen können. „Wir stellen alle gemeinsam sicher, dass der Laden läuft“, sagt Josephine Kuthning. Sie studiert seit drei Jahren Regie an der Filmarche und fungiert nebenbei als Pressesprecherin. „Uns geht es um ein Miteinander statt Konkurrenz, nichts funktioniert hier ohne die Hilfe der Anderen“, erklärt sie das Prinzip der Schule.

Die Selbstorganisation ermöglicht es den Studierenden, sich früh in ihre gewünschte Richtung zu spezialisieren – erschwert aber auch die Vergleichbarkeit der Ausbildung. Ein offizielles Zertifikat erhalten die Studierenden daher am Ende nicht. Stattdessen haben sie sich ein breites Netzwerk erarbeitet, auf das sie auch nach dem Ende des Studiums zurückgreifen können. „Erstaunlich viele Absolventen landen später auch in der Medienpädagogik, da sie an der Schule ihr Interesse für die Gestaltung des Unterrichts entdeckt haben“, sagt Regie-Student Janis Westphal. Auch er nutzt die Freiheiten, die die Ausbildung lässt. Zunächst jobbte er auf Teilzeit in einer Produktionsfirma und machte sich dann im zweiten Jahr der Ausbildung mit Image- und Eventfilmen selbstständig.

Studierende der Filmarche: Björn Vieweg, Norika Sonder, Josephine Kuthning und Janis Westphal (von links nach rechts).
Studierende der Filmarche: Björn Vieweg, Norika Sonder, Josephine Kuthning und Janis Westphal (von links nach rechts).
© Mike Wolff

Die Filmarche erhält keine staatliche Förderung

Er arbeitet gerade an seinem Abschlussfilmprojekt, „Bolzmann“. Der Kurzfilm erzählt die fiktive Geschichte des ehemaligen Neuköllner Lokalfußball-Stars René „Bolzmann“ Kleinschmidt. 1998 kickte er Tasmania in den Klassenaufstieg. 20 Jahre später hängt er zwar immer noch in seiner mittlerweile gentrifizierten Stammkneipe ab, von seinem Ruhm ist ihm jedoch nichts geblieben. Erneute Anerkennung verspricht ein Kickerturnier – wenn da nicht die Visionen seines früheren Ichs „Bolzmann“ wären, die langsam die Grenzen zwischen Wahn und Realität verschwimmen lassen. „Die Idee zu Bolzmann hatte ich schon zu Beginn der Ausbildung“, sagt Westphal, die Realisierung war jedoch schwierig: Die meisten Fördertöpfe finanzieren keine Filme, die während der Ausbildungszeit entstehen. Als unabhängige Filmschule erhält die Filmarche jedoch auch keine staatliche Förderung. „Schwierig wird es, sobald man den No-Budget-Bereich verlässt“, sagt Westphal, „plötzlich muss man viele gesetzliche Bestimmungen einhalten: finanzielle Entschädigungen für Helfer und Darsteller etwa.“

Björn Vieweg, der den Film produziert hat, ergänzt: „Wir waren mit Bolzmann ziemlich am Limit von dem, was geht. In den zehn Drehtagen haben wir unseren Freundschaftskreis ganz schön ausgeschöpft.“ Gedreht hat die „Bolzmannschaft“ in einer Neuköllner Eckkneipe – tagsüber. „Da kribbeln schon manchmal die Arme und Beine, ob genügend Statisten für eine Kneipenatmosphäre zum Dreh kommen“, sagt Janis Westphal.

Studenten nutzen Crowdfunding

Auch für die Raummiete fehlte es am Budget. Also bauten sie jeden Morgen ab 6 Uhr früh die Kneipe für den Film um, inklusive abgedunkelter Fenster für die authentische Stimmung. Bis 17 Uhr musste alles wieder im Ursprungszustand sein, damit regulär geöffnet werden konnte. „Und das jeden Drehtag", erzählt Westphal und lacht. Dabei lerne man zu improvisieren. „Wir wissen jetzt, dass wir auch für viele verschiedene Probleme, die beim Dreh auftauchen können, schon irgendwie eine Lösung finden“, sagt Vieweg. „Aber immer so arbeiten will man eigentlich nicht.“

Für die Finanzierung haben die Filmemacher eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. „Auch das war eine Erfahrung“, sagt Westphal. „Wir wissen jetzt, dass Crowdfunding schon sehr viel Marketing ersetzt.“ Es hätte sich etwa die Kölner Kickerliga gemeldet, die den Film unbedingt unterstützen und zeigen wolle. Mit den Geldern aus der Kampagne soll der Film jetzt fertig produziert werden und dann im kommenden Jahr auf Festivals zu sehen sein.

Für Janis Westphal ist „Bolzmann“ ein Herzensprojekt, das zeigt, was auch mit begrenzten Mitteln und viel Improvisation möglich ist – „wie die Filmarche“.

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