Görlitzer Park: Struppiger Straßenköter
Ungentrifizierbar: Der Görlitzer Park ist das geschmähte und geliebte Zentrum des alten Kreuzberg 36.
Ein Gespenst geht um in Kreuzberg, das Gespenst der Gentrifizierung. Noch hat es den Görlitzer Park nicht erreicht. Doch in naher Zukunft, so befürchten einheimische Pessimisten, werden hanseatische Zahnarztsöhne hier ihre Polo-Turniere abhalten. Bald, so heißt es, werden Münchner Maklerpärchen hier sonntags neben ihren Picknickkörben aus original englischer Weide ruhen und Kaviarhäppchen speisen, während der Nachwuchs im Bugaboo Cameleon schläft.
Doch so weit ist es noch nicht. Der Görlitzer Park ist immer noch der Straßenköter unter den Berliner Parks. Lang hingestreckt liegt er da, zwischen Görlitzer und Wiener Straße, die Schnauze am Landwehrkanal nach Treptow, die Hinterpfoten am Spreewaldplatz. Eine Promenadenmischung mit struppigem Fell, erschöpft, verdreckt, stellenweise verwahrlost. Er wird als asozial, als hässlich und gefährlich geschmäht.
Viele meiden ihn deshalb, andere lieben ihn genau deswegen. Die schönste Liebeserklärung kam von PR Kantate, es war der Sommerhit 2003: „Ick wohn ja nu Görli, Görli, Alta, det machta fix un ferti.“ Und ganz Kreuzberg 36 sang im schleppenden Reggae-Rhythmus mit. Da war der Görlitzer Park noch jung, kaum zehn Jahre alt, eine echte Kreuzberger Erfolgsgeschichte, eine der wesentlichen positiven Umstrukturierungen im öffentlichen Raum der letzten Jahrzehnte.
Der Görlitzer Park im Wandel der Zeit
Die Kreuzberger bekamen den Park, den sie so dringend brauchten und den sie seit Jahrzehnten gefordert hatten, auf dem Gelände des alten Görlitzer Bahnhofs.
Schon dieser Bahnhof war einst eine Erfolgsstory. Der Generalunternehmer der Berlin-Görlitzer Bahn, Bethel Henry Strousberg, ließ 1866 am damaligen Stadtrand einen prachtvollen Kopfbahnhof im Stil eines italienischen Palazzo bauen. Von hier fuhren die Berliner am Wochenende in den Spreewald, für die Ferien ins Riesengebirge oder nach Wien. Aus Schlesien brachten die Züge nicht nur Kohle, sondern auch Arbeitskräfte, die auf eine bessere Zukunft in der aufblühenden Industriemetropole hofften. Um den Görlitzer Bahnhof entstand ein lebhaftes Viertel mit Hotels, Amüsement, Warenlagern. Die Reichenberger und Skalitzer Straße waren Boulevards mit breiten Bürgersteigen und dichtem Baumbestand. Die Postleitzahl 36, mit der dieser Bezirk später berühmt und berüchtigt wurde, geht zurück auf die „Stadt-Post-Expedition Nr. 36“, die 1872 im Görlitzer Bahnhof ihren Dienst aufnahm.
Im Zweiten Weltkrieg nur wenig beschädigt, wird der Bahnhof in den Nachkriegsjahren zum Treffpunkt der „Hamsterer“, die von hier aus ins Umland fuhren. 1951 wird der Personenverkehr eingestellt, Güterzüge fahren gelegentlich noch in den achtziger Jahren. Das Hauptgebäude steht jahrzehntelang leer, bis es 1975 abgerissen wird.
Schon bald gibt es die Forderung nach einer Grünanlage, die auf dem Gelände des Görlitzer Bahnhofs entstehen soll. Die Reichsbahnverwaltung signalisiert ihre Zustimmung. Dann verfallen visionäre Stadtplaner auf die Idee einer Autobahntrasse, die vom Treptower Park kommend über das Gelände des Bahnhofs und die Skalitzer Straße zum Oranienplatz führen soll, wo ein riesiges Autobahnkreuz vorgesehen ist. Die Teilung der Stadt verhindert diesen Plan.
Das Gelände rottet vor sich hin. Es wird zu einer Enklave, einem exterritorialen Bereich, abgetrennt durch eine Steinmauer. Birken, Ulmen und Robinien siedeln sich an. In einer Schrottpresse werden Autowracks zusammengeknautscht. Die Anwohner nutzen das Gelände als wilde Müllkippe, Altölsickergrube und Hundeklo. Wer von der Oppelner in die Liegnitzer Straße will, muss das Gelände unterqueren; der 180 Meter lange Fußgängertunnel wird wegen seines Geruchs bald als „Pissröhre“ legendär, wegen seiner Resonanz aber gern auch von Saxofonspielern genutzt. Reste des Tunnels sind in der heutigen Mulde verblieben.
Seit 1978 engagiert sich eine kleine, hartnäckige Initiative um die Kreuzbergerin Irmgard Klette für die Verwandlung des brachliegenden Geländes in eine Grünanlage: „Görlitzer Park – aber flott!“ Ein Kinderbauernhof leistet Pionierarbeit. Nun kräht ein Hahn im Kiez, und die Stadtkinder staunen über Schweine, Esel und Ziegen. Die Verhandlungen mit dem Bauamt ziehen sich quälend in die Länge, bis das gesamte Gelände der Reichsbahn abgekauft und schrittweise zu einem Park umgebaut wird.
Ende der Achtziger besetzt die britische Mutoid Waste Company einen Sommer lang das Gelände und macht es zu einem anarchischen Abenteuerspielplatz. Im gespenstischen Schein von Fackeln und Scheinwerfern wird nächtelang an Autos geschweißt und gehämmert, Motoren und Kettensäge heulen auf. Die Fahrzeuge folgen der apokalyptischen Ästhetik der „Mad Max“-Filme. Aus Schrottteilen entsteht der Kaferman, eine fünf Meter hohe Skulptur, die auf den verbliebenen Gleisen zur Mauer am Treptower Ende geschoben wird. Daraufhin bauen die DDR-Grenzer hastig die restlichen Gleise auf der Brücke ab.
Ein Trauerspiel ist die Geschichte des Pamukkale-Brunnens, der als Herzstück des Parks und als Geschenk an die zahlreichen türkischstämmigen Kreuzberger gedacht war. Die Nachbildung der berühmten Sinterterrassen ist 1997 fertig – und verfällt im gleichen Winter. Der Kalkstein des Unterbaus zerbröselt, so dass die ganze Anlage eingezäunt werden muss und für zehn Jahre gesperrt bleibt, bis die Skulpturen abgerissen werden. Nur die betonierten Stufen sind geblieben.
Der Görli heute
Heute stehen an allen Eingängen des Parks afrikanische Drogenhändler und bieten flüsternd ihre Ware feil: „Tag, Chef, alles klar? Brauchst du was?“ Viele Besucher nutzen die große Kuhle als Bühne, auf der man gemeinsam chillen, lesen, schwatzen und sich zeigen kann. Fast täglich zelebriert hier der Frisbeegott Alberto seine Kunst mit gelehrigen Jüngern. Nebenan grillen die türkischen Familien. Im kleinen Wäldchen zur Liegnitzer Straße hin residiert der „Adel vom Görli“, eine Trinker-Gruppe, die das Geschehen im Park lauthals kommentiert.
Der Kinderbauernhof leistet immer noch eine wichtige Arbeit für die vielen Kreuzberger Kinder, deren Familien sich einen Urlaub im Grünen nicht leisten können. In der Kuhle schlagen einige Crossgolfer ihre Bälle auf einem imaginären Putting Green. Grün ist der Park allerdings nur selten. Im Sommer ist das Gras rasch verbrannt, dann wird der Park zu einer staubigen Steppe. Winters trifft sich die Kreuzberger mit der Neuköllner Jugend in der Kuhle zu einer rituellen Schneeballschlacht.
Schön ist der Park auch heute nicht. Da hilft es nur wenig, dass nun Apfelbäume angepflanzt werden sollen. Wer das Gelände noch aus den achtziger Jahren kennt, wird im Görlitzer Park aber stets auch eine Kreuzberger Erfolgsgeschichte sehen. Gerade sein ruppiger Charme macht ihn zu einem Herzstück von Kreuzberg 36.