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Linse
© dpa

Walter Linse: Streit um ein berühmtes Stalin-Opfer

Der Historiker Klaus Bästlein hat gestern in Berlin neue Erkenntnisse zur Nazi-Vergangenheit des Stalin-Opfers Walter Linse vorgestellt. Darf nun ein Preis den Namen Linses tragen?

Der Berliner Jurist Walter Linse war vor 1945 offenbar tiefer in das Nazi-Regime verstrickt als bisher bekannt. Diese auf jüngsten Archivrecherchen basierende Erkenntnis präsentierte der Historiker Klaus Bästlein gestern in Berlin: Linse war NSDAP-Mitglied und für die Arisierung jüdischer Betriebe in Chemnitz zuständig. Die Diskussion um das spätere Opfer des Stalinismus war entbrannt, als der Förderverein der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen im Juni einen mit 5000 Euro dotierten Walter-Linse-Preis ausgelobt hatte. Martin Gutzeit, Landesbeauftragter für Stasi-Unterlagen, hält es „nicht für sinnvoll, Linse zur Ikone zu machen“.

Die spektakuläre Entführung Linses durch die Stasi am 8. Juli 1952 hatte in West-Berlin eine Welle der Solidarität ausgelöst: Am 10. Juli demonstrierten 25 000 Berliner vor dem Rathaus Schöneberg für seine Freilassung. Linse hatte für den „Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen“ Informationen über die DDR-Wirtschaft gesammelt, wofür er von einem sowjetischen Militärtribunal wegen Spionage zum Tode verurteilt und am 15. Dezember 1953 in Moskau hingerichtet wurde. Er war das letzte Opfer der stalinistischen Terrorwelle. Seit 1950 waren 923 Todesurteile an Deutschen vollstreckt worden.

Der 1903 in Chemnitz geborene Linse war jedoch nicht nur seit 1940 Mitglied der NSDAP, sondern als „Arisierungsbeauftragter“ bei der Industrie- und Handelskammer Chemnitz seit 1938 maßgeblich an der Enteignung von 300 jüdischen Betrieben beteiligt. „Er war derjenige, der eine jahrhundertelange Tradition der jüdischen Textilindustrie in Chemnitz zerstört hat“, sagt Bästlein. Die Darstellung früherer Linse-Biografien, wonach Linse Juden vor der Deportation geschützt habe, sei ebenso wenig haltbar wie seine Mitgliedschaft in der Widerstandsgruppe Ciphero 1945. „Diese Organisation ist in der Forschung völlig unbekannt“, resümiert der Historiker. „Seine Vorgeschichte ändert jedoch nichts an dem Unrecht, das ihm nach 1952 zugefügt worden ist,“ sagt Bästlein. Vielmehr sei dieser Fall wohl ein Beispiel für eine „Überlagerung deutscher Zeitgeschichte“.

Jörg Kürschner, Vorsitzender des Fördervereins der Stasi-Gedenkstätte, bezeichnet die Expertise als selektiv. „Die Vorwürfe werden vielfach nicht belegt.“ Der Förderverein werde sich deshalb weiter um eine seriöse Bewertung der Gesamtbiografie von Linse bemühen. Das Auslobungsverfahren für den Preis sei zwar ausgesetzt, einen anderen Namen habe man jedoch noch nicht. Hubertus Knabe, Leiter der Gedenkstätte, sieht dies ähnlich: „Ob der Preis weiterhin den Namen Linses tragen wird, hängt vom Ergebnis einer seriösen Überprüfung ab.“ (mga)

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