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Berlin: Stör-Manöver

Tausende Jungstöre werden am Mittwoch in die Oder ausgesetzt. Sie wurden an den Fluss gewöhnt – damit sie später hierher zurückkehren.

Lutz Zimmermann schwärmt von seinen Babys. Rund 15 000 hat er in den vergangenen Monaten umsorgt und mit winzigen Krebseiern und Mückenlarven großgepäppelt – bis zu einer Länge von etwa zehn Zentimetern. Am Mittwoch muss sich 48-jährige Berufsfischer aber von ihnen verabschieden. Dann kippt er sie in Friedrichsthal bei Schwedt aus großen Bottichen in die Oder. Zimmermann setzt die drei bis vier Monate alten Mini-Störe aus, um den dort längst verschwundenen urtümlichen Knochenfisch wieder in der Oder anzusiedeln. Ähnliche Aktionen gab es schon in den vergangenen Jahren, doch bisher wurden die Jungfische von Zuchtstationen an der Ostsee oder in Frankreich geliefert. Jetzt stammen die Kleinen erstmals aus der Region.

Der Oderfischer freut sich. Das sei ein „ entscheidender Fortschritt“ im Rahmen des langfristigen Ansiedlungsprojekts. Denn Störe sind heimattreu. Sie sehnen sich ihr Leben lang nach dem Flussgewässer, in dem sie ihre Kindertage verbracht haben. Deshalb hat Zimmermann sie in großen Aquarien aufgezogen, die mit Oderwasser gefüllt waren. Wenn er sie nun in den Fluss entlässt, werden sie zwar erst mal für sechs bis sieben Jahre in die Ostsee hinauswandern, bis nach Bornholm oder zum Bottnischen Meerbusen. Aber spätestens mit der Geschlechtsreife drängt es sie zurück in die Heimat. Und Lutz Zimmermann wettet schon jetzt fünf Champagnerflaschen, „dass sie sich zu uns durchschlagen“.

„Vor 2020 bis 2025 werden wir sie kaum wiedersehen“, sagt Jörn Gessner vom Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. Erfahrungsgemäß würden nur 10 bis 20 Prozent der Jungfische überleben. Gessner koordiniert in Brandenburg gemeinsam mit der Gesellschaft zur Rettung des Störs und den großen Naturschutzverbänden die Wiederansiedlung dieses ungewöhnlichen Fischs, der vor allem wegen seines kostbaren Rogens (Kaviar) bekannt ist. Seit 2007 werden im Rahmen dieses Vorhabens außer in der Oder auch in Havel und Elbe alljährlich hunderttausende Jungfische ausgesetzt. „Um Störe dauerhaft in einem Fluss anzusiedeln, müssen wir zehn bis 15 Jahre lang jährlich bis zu 200 000 Exemplare ins Wasser kippen“, sagt Gessner.

Die Aufzucht der Mini-Störe erfolgte in zwei Schritten. Los geht es in der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei von Mecklenburg-Vorpommern auf dem Darß mit einer „kontrollierten Vermehrung“. In einem alten Hafenbecken leben die Elterntiere, teils 20 bis 25 Jahre alte Wildfänge aus Kanada. Das Weibchen legt seine Eier im Kies ab, jedes Mal zwischen 150 000 und fünf Millionen. Es klebt sie fest – erst dann befruchtet sie das Männchen mit seinem Samen. Schon vier Tage später schlüpfen acht Millimeter lange Fischlarven. Zehn Tage lang ernähren sie sich vom Eidotter, danach von Mikroorganismen im Wasser. Im Alter von ein bis zwei Wochen bringt man sie dann zu Lars Zimmermann und den anderen Aufzuchtstationen, die sie ans jeweilige Flusswasser gewöhnen.

Neben diesen Projekten gibt es in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern inzwischen mehrere kommerzielle Aquakulturen. Kaviar wird dort erfolgreich gewonnen und verkauft, beispielsweise von der Zippelsförder Fischzucht GmbH bei Neuruppin. Doch auch als grätenfreie Leckerbissen, perfekt für Barbecue, sind Störe hochgeschätzt. Naturschützer begrüßen die Aquakulturen. Es ist dadurch weniger lukrativ, Störe illegal zu fangen.

Oderfischer Lutz Zimmermann führt seinen Betrieb in der dritten Generation. Seine Vorfahren verdienten mit Stören noch gutes Geld. Er selbst hatte „viel Spaß“ mit seinen Babyfischen, die er nun in die Freiheit entlässt. IlIlusionen macht sich Zimmermann nicht. Dass man in der Oder wieder Störe fischen kann sei „ein absolutes Fernziel“, sagt er. „Das wird unsere Generation nicht mehr erleben.“

Christoph Stollowsky

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