Debatte in Brandenburg: Stolpe rudert bei Kreisreform zurück
Der Ex-Landeschef gibt ein Interview zur umstrittenen Kreisreform – und alle sind verwirrt.
Nun also Textexegese. Denn das Wort von Brandenburgs früherem Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) hat Gewicht. Und eine Meldung zur Kreisreform vom Mittwochabend verursacht Aufsehen im Land, wo die politische Stimmung wegen des höchst umstrittenen Reformprojekts der rot-roten Landesregierung von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ohnehin angespannt ist wie nie. Die „Märkische Oderzeitung“ verbreitete die Nachricht: „Stolpe für Neustart der Kreisreform: ,Augen zu und durch‘ geht nicht“. Für Brandenburg ein Paukenschlag, weil der Alt-Ministerpräsident das zentrale Regierungsprojekt des Amtsinhabers ins Visier nimmt. Am Mittwoch großes Staunen, weil Stolpe eine Erklärung nachschob: Er sei falsch interpretiert worden. Der Regierungssprecher sagte, im Interview stehe nichts von Neustart.
Es ist ein Vorgang, der zeigt, wie blank die Nerven in Potsdam liegen. Wo Landräte und Oberbürgermeister, selbst die mit SPD-Parteibuch, bei einer Mammutanhörung im Landtag die rot-rote Kreisreform als Irrweg geißelten. Wo hinter den Kulissen Sozialdemokraten warnen, um die selbst ernannte Brandenburg-Partei zu retten, müsse die Notbremse gezogen werden. Wo in der SPD ein Kabinettsumbau, die Entlassung eines Ministers als Bauernopfer nicht ausgeschlossen werden, Woidke Abweichler mit Neuwahl- Warnungen auf Linie bringen musste.
„Wer daraus die Forderung nach einem Neustart macht, interpretiert mich falsch.“
Stolpe erklärte, er halte eine Kreisreform für notwendig. Seine Worte seien ein Plädoyer für die Notwendigkeit. „Wer daraus die Forderung nach einem Neustart macht, interpretiert mich falsch.“ Er habe gesagt, dass Stillstand Rückschritt wäre. „Deshalb meine Bitte: Den Interviewtext in Gänze lesen.“ Dabei fällt auf: Stolpe hält eine, aber nicht genau diese Reform für nötig, die Vorgänge nicht für optimal – und offenbar ein Umdenken für nötig.
Stolpe wurde gefragt, ob die geplante Verwaltungsreform zum inneren Zusammenhalt des Landes beiträgt. Klare Antwort: nein. Ein Gesamtpaket sei nötig, das „von allen politischen Kräften und der Bevölkerung getragen wird. Das braucht Zeit.“ Auf die Frage, welche Konsequenzen die Landesregierung aus der breiten Front der Ablehnung ziehen sollte, folgen Kritik und Mahnung. „Vielleicht wäre eine frühere breite Beteiligung der Betroffenen sinnvoll gewesen.“ Den Ausschlag habe wohl gegeben, „dass in der Unübersichtlichkeit der Weltlage die lokale Ebene, die Heimat, wichtiger geworden ist.“ Kommunale Verantwortungsträger spürten, dass sie mit der Unterstützung der Reform Vertrauen vor Ort“ verlören. Vor allem aber: „ Mit ,Augen zu und durch‘ kann Verdruss gefördert werden, der sich nur sehr langfristig abbauen lässt.“ Nötig seien „echte Dialoge“ – und viel Geduld.
Eine Frage der Interpretation
Alle Lager versuchten sich darin, Stolpes Worte zu deuten. Staatskanzleichef Thomas Kralinski (SPD) signalisierte Nachbesserungen, sah sich aber bestätigt, weil Stolpe, „eine wichtige Stimme“, sich für eine Reform ausgesprochen habe. Vor dem Beschluss des Landtags Mitte November würden die Fraktionen mit der Landesregierung diskutieren, „ob im Detail noch Veränderungen notwendig sind“. Die Landesgeschäftsführerin der Linken, Anja Meyer, erklärte, man nehme Stolpes Ratschläge ernst. Ex-Prignitz- Landrat Hans Lange (CDU), Initiator des Volksbegehrens gegen die Kreisreform, sagte, er teile Stolpes Sorgen um den Zusammenhalt des Landes. Er verstehe dessen Appell als Aufforderung an die Koalition, „am eigenen Kurs zu zweifeln“. Die Reformgesetze könnten nicht einfach weiterverfolgt werden. Nötig sei ein Komplettpaket bei der Reform.
Tatsächlich plant Rot-Rot den Neuzuschnitt der Landkreise, deren Zahl von 14 auf 11 sinken soll, wobei einige die drei bisher kreisfreien Städte Cottbus, Brandenburg/Havel und Frankfurt (Oder) aufnehmen. Und Rot-Rot will weit weniger Aufgaben vom Land an die Kreise übertragen als ursprünglich geplant. Die Abgabe von Aufgaben von Kreisen an die Städte und Gemeinden, die zweite Funktionalreform, wurde auf 2018 verschoben.
CDU-Fraktionschef und Oppositionsführer Ingo Senftleben forderte erneut einen Kommunalkonvent. Stolpe habe den Sozialdemokraten an der Basis aus dem Herzen gesprochen. Und Senftleben teilt Stolpes Befürchtung, dass durch die Politik der Woidke-Regierung der Riss zwischen Landespolitik und Kommunen immer größer werde. Grünen-Innenexpertin Ursula Nonnemacher befand, die Kreisreform könne in dieser Form wohl nicht mehr durchgesetzt werden. Es bestehe zwar Reformbedarf, Woidke habe das Projekt aber nie verständlich vermittelt und es nicht geschafft, Bürger und Partei zu überzeugen.