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Männlich, weiblich, egal - durch die geschlechtsneutrale Formulierung sollen sich alle angesprochen fühlen.
© dpa

Gender und Sprache: Sternchensammler*innen

Gendern ist lästig und schafft keine Gleichberechtigung. Ich meine: Wir brauchen es trotzdem!

Arg! Was müssen deine trüben Augen lesen: Schon wieder ein Text über das elende Genderthema. Haben wir denn nichts Besseres zu tun? Schließlich verhunzt der Genderzirkus unsere Sprache, stört den Lesefluss, irritiert durch seine variierenden Erscheinungsformen und führt zu nichts. Weder werden Frauen dadurch besser bezahlt, noch dürfen sie in Saudi-Arabien Auto fahren. Dagegen sollte man etwas unternehmen, anstatt sich mit Sternchen in der deutschen Sprache zu befassen!

Gut gebrüllt, Löwe. Du hast Recht. Nur weil wir von „Mathematiker*innen“ sprechen, landen wir nicht automatisch im Regenbogenland. Aber: Niemand der gendert, erwartet das.

Obwohl wir alle auf dem Papier die gleichen Rechte haben, fällt es uns immer noch schwer, Rollenklischees zu durchbrechen. Mutti bleibt zuhause bei den lieben Kleinen und Vati geht arbeiten. Männer tragen das Alleinernährer-Brandzeichen auf ihrer Stirn, Frauen rackern sich am Sisyphos-Stein der schlechteren Bezahlung für gleiche oder gleichwertige Arbeit ab. Dafür sind nicht die Gene verantwortlich, sondern unsere Kultur. Na gut, nicht nur die Kultur, aber bleiben wir mal dabei. Kultur hat mit der Sprache zu tun und die wirkt sich auf unser Denken aus. In unserem Denken sind alle technischen Berufe männlich. Ingenieur, Chemiker, Physiker. Im Gegensatz zu Krankenschwester, Erzieherin, Arzthelferin.

Zeit dem entgegenzuwirken

Studien beweisen, dass sich Frauen tatsächlich mehr angesprochen fühlen, wenn die weibliche Form genannt wird. Eigentlich logisch, oder? „Der Mitarbeiter“ ist ja auch ein Relikt aus der Zeit, als es nur Mitarbeiter gab. Und Frauen für die Eröffnung ihres eigenen Kontos den Kaiser-Wilhelm ihres Göttergatten benötigten. Zum Glück lange her. Dieser neuen Erkenntnis - Frauen sind selbstständig denkende und handelnde Wesen in den Männern in nichts nachstehender Denkfähigkeit – ist die weibliche Form „Mitarbeiterin“ gezollt. Ist ja erst 60 Jahre her, dass die Gleichberechtigung im Grundgesetz verankert wurde. Doch jetzt ist es tatsächlich auch Frauen erlaubt, selbstverantwortlich zu handeln. Würdigen wir diese weise Entwicklung mit der entsprechenden Anrede. Kein Mann würde sich angesprochen fühlen, wenn am Schwarzen Brett steht: Liebe Mitarbeiterinnen!

Gendern ist unangenehm

Kein Wunder, dass Gendern noch für Diskussionen sorgt. Ist ja auch unangenehm, dass dich das Lesen eines gegenderten Textes auf die Ungleichheiten im Alltag aufmerksam macht und die Debatte in dein Bewusstsein zurückbringt. Dass du früher oder später noch andere Ungerechtigkeiten erkennst.

Das Gute am Gendern: Es kostet nichts und verändert einiges. Nämlich unser Bewusstsein. Es ist ein Schritt zu einer geschlechtergerechteren Gesellschaft. So, wie ein dunkelhäutiger Präsident in den USA noch nicht das Ende des Rassismus ist und Homophobie nicht durch den Beschluss, dass Homosexuelle auch heiraten dürfen, verschwindet. Aber immerhin ein deutliches Zeichen.

Und keine Angst, umständlich und irritierend muss gendern nicht sein – eigentlich findest du es nur ungewohnt, weil es sich noch nicht automatisiert hat. Je nach Anlass kannst du aus einem Strauß an unterschiedlichen Möglichkeiten auswählen, was den Textfluss nicht stört. Wenn du Binnen-i, Asterisk oder Unterstrich vermeiden willst, verwende innerhalb des Textes mal die männliche und mal die weibliche Form. Oder einfach pro Text die Formen abwechselnd.

Fantasiesprache!

Gender-Hasser haben das Gendern abwertend als „Neu- oder Kunstsprech“ bezeichnet. Dem schleudere ich entgegen: Sprache ist lebendig! Und jede einzelne Äußerung verändert unsere Sprache ein wenig. „Neusprech“ ist ein ganz natürliches Phänomen. Erst, wenn wir automatisch alle Texte gendern, wird die Gleichberechtigung vollständig in unserem Denken verankert sein. Es mag sein, dass wir wichtigere Probleme haben – unser Überleben sichern, Hungersnöte auf der Welt verringern, den Klimawandel aufhalten – aber eine geschlechtergerechte Gesellschaft kann nur mit wie auch immer gegenderten Texten existieren. Das sollten wir nicht vergessen.

How to Gender for Beginners

Um zwischen dem biologischen Geschlecht (engl. sex) und dem sozialen Geschlecht differenzieren zu können, wurde der englische Begriff „Gender“ ins Deutsche übernommen. Während die Geschlechtsorgane aus biologischer Sicht als männlich oder weiblich eingestuft werden, sind die sozialen Geschlechterrollen – Genderrollen – gesellschaftlich entstanden. Gendern oder Gendering bezeichnet die Berücksichtigung des Geschlechteraspekts, insbesondere im Sprachgebrauch.

Vielleicht am einfachsten ist die Verwendung substantivierter Partizipien, wie zum Beispiel in „Studierende“. Das lässt sich allerdings nicht immer einrichten. Mitte der achtziger Jahre wurde das Binnen-I als Alternative zum bis dahin verwendeten Schrägstrich eingeführt „die LeserInnen“. Die Queer-Theory kritisiert hier die absolute Zweigeschlechtlichkeit, da alle, die sich weder als männlich noch als weiblich einordnen, ausgeschlossen werden. Dem sollen Asterisk oder Unterstrich entgegen wirken: „Journalist*innen“, „Friseur_in“. Damit es beim Sprechen nicht so wirkt, als stünde dort nur die weibliche Form, ist der sind die Satzzeichen wie ein Bindestrich zu lesen, mit einer kurzen Pause an ihrer Stelle.

Bei Anreden und sonstigen einmaligen Erwähnungen lohnt es sich, beide Formen auszuschreiben, „Liebe Freundinnen und Freunde!“ Manchmal ist es sinnvoll, die Formen abzuwechseln, zum Beispiel bei „die Helferinnen und Unterstützer“ oder abwechselnd einen Text ganz in weiblicher und den nächsten ganz in männlicher Form zu schreiben.

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Anna Dombrowsky

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