Anklage gegen Attentäter von Halle: Stephan Balliet wollte möglichst viele Menschen in der Synagoge töten
Die Bundesanwaltschaft wirft dem Antisemiten zweifachen Mord und weitere schwere Straftaten vor. Balliet droht die Höchststrafe.
Er wollte das schlimmste rechtsextreme Massaker in der Geschichte der Bundesrepublik anrichten. Dass der Plan weitgehend misslang, bewahrt Stephan Balliet wahrscheinlich jedoch nicht vor einer harten Strafe. Die Bundesanwaltschaft hat am Donnerstag, wie jetzt bekannt wurde, beim Oberlandesgericht Naumburg (Sachsen-Anhalt) Anklage gegen den 28-jährigen Antisemiten aus Sachsen-Anhalt erhoben. Die Hauptvorwürfe lauten zweifacher, heimtückischer Mord und versuchter Mord an fast 60 Menschen. Als „Tatmotivation“ wird die „antisemitische, fremdenfeindliche und rassistische Gesinnung“ des Beschuldigten genannt.
In der Synagoge befanden sich 52 Menschen
Der schwer bewaffnete Balliet hatte am 9. Oktober 2019 in Halle versucht, die vollbesetzte Synagoge zu stürmen. In dem Gotteshaus hatten sich am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur 52 Männer und Frauen zum Gebet eingefunden. Balliet habe eine möglichst große Anzahl von Menschen in der Synagoge töten wollen, heißt es in der Anklage. Es gelang Balliet jedoch nicht, die verschlossene Tür aufzuschießen. In seiner Wut tötete er auf der Straße eine Frau und in einem Döner-Imbiss einen Mann. Auf der Flucht schoss Balliet weiter und verletzte weitere Menschen, die Polizei konnte ihn erst nach einer Verfolgungsjagd überwältigen. Balliet droht nun im Fall einer Verurteilung eine Strafe, die das bei Mord vorgesehene „lebenslang“ noch übertrifft.
Balliet zeigt keine Reue
Sollte das Oberlandesgericht Naumburg die Taten so werten wie die Bundesanwaltschaft, wird dem Judenhasser wahrscheinlich eine besondere Schwere der Schuld bescheinigt. Damit käme Balliet nicht nach 15 Jahren aus dem Gefängnis heraus. Denkbar erscheint zudem, dass die Richter eine Sicherungsverwahrung für die Zeit nach Verbüßung der Strafe für notwendig halten. Zweifel an der Schuldfähigkeit von Balliet haben die Sicherheitsbehörden nicht. Mildernde Umstände sind ebenfalls nicht zu erkennen. Balliet hat sich in den Vernehmungen zu den Taten bekannt. Ohne Reue. Er gab zu, er habe in der Synagoge soviele Menschen wie möglich erschießen wollen. Auch den Tod der Passantin bedauert er nicht. Balliet bedrückt nur, dass das Opfer in dem Döner-Imbiss ein weißer Mann war wie er selbst, kein Migrant aus dem Nahen Osten.
"Ein Tag der Scham und der Schande"
Der Angriff in Halle löste über Deutschland hinaus einen Schock aus. „Dieser Tag ist ein Tag der Scham und der Schande“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, als er am 10. Oktober die Synagoge und den Döner-Imbiss aufsuchte. „Dass in diesem, unserem Land – ein Land mit dieser Geschichte – ein Anschlag auf eine voll besetzte jüdische Synagoge – und das am höchsten jüdischen Feiertag – stattfindet, das erfüllt uns alle mit Entsetzen und Abscheu.“ Hinzu kam, dass der Anschlag bereits die zweite tödliche Attacke eines Rechtsextremisten 2019 war. Vier Monate zuvor hatte mutmaßlich der Neonazi Stephan Ernst den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschossen. Die Sorge vor weiterem Terror wuchs, auch im Ausland. In Israel schrieb Regierungschef Benjamin Netanjahu bei Twitter nur wenige Stunden nach dem Angriff in Halle, dieser sei „ein weiteres Zeichen dafür, dass der Antisemitismus in Europa auf dem Vormarsch ist“. Und Israels Botschafter in Deutschland, Jeremy Issacharoff, sprach später von einem „Warnsignal an die deutschen Behörden“. Die Polizei hatte die Synagoge am Tag der Tat nicht bewacht, obwohl eine größere Zusammenkunft von Juden zu erwarten war.
Balliets Vorbild war der Massenmörder Brenton Tarrant
Balliet wollte offenkundig seinem Vorbild nacheifern, dem australischen Massenmörder Brenton Tarrant. Der Rassist hatte im März 2019 in Neuseeland in zwei Moscheen insgesamt 51 Muslime erschossen. Wie Tarrant übertrug Balliet seinen Angriff über eine Helmkamera live ins Internet, wie Tarrant hinterließ Balliet ein Manifest. Und hätte Balliet in die Synagoge eindringen können, wären womöglich ähnlich viele Juden gestorben wie Muslime in Christchurch. Die 52 Menschen im Gotteshaus in Halle hörten die Schüsse und zitterten um ihr Leben.
Der Täter hatte Waffen, Sprengsätze und Brandflaschen
Balliet hatte sich lange auf den Angriff vorbereitet. Er beschaffte sich drei Waffen, eine weitere bastelte er selbst. Zum Arsenal zählten auch Sprengsätze und Brandflaschen. Am Vormittag des 9. Oktober fuhr er von einem Dorf nahe Eisleben, wo er bei seiner Mutter wohnte, mit einem Mietwagen nach Halle. Balliet ging davon aus, dass wegen des Feiertages Jom Kippur viele Juden zur Synagoge kommen würden. Über das Internet hatte sich der Einzelgänger in einen Hass auf Juden reingesteigert, grausame Videos der Terrormiliz „Islamischer Staat“ senkten Balliets Hemmschwelle, selbst Gewalt anzuwenden. In Halle agierte er dann hektisch, aber auch mit dem unbedingten Willen, Menschen zu töten und ein Fanal zu setzen.
Passantin auf der Straße erschossen
Kurz nach zwölf Uhr zündet Balliet an der Tür der Synagoge einen Sprengsatz. Doch der wirkt nicht wie erhofft. Als die entsetzte Passantin Jana Lange ihn anspricht, schießt er auf sie. Die 40 Jahre alte Frau stirbt am Tatort. Balliet versucht, über den Hinterhof des jüdischen Anwesens in die Synagoge zu gelangen, kommt aber auch von dort nicht hinein. Zurück auf der Straße zielt er auf den Fahrer eines Lieferwagens, doch die Waffe hat eine Ladehemmung. Das potenzielle Opfer kann fliehen. Balliet versucht nun ein drittes Mal, die Synagoge zu stürmen. Er schießt auf die hölzerne Flügeltür, doch sie hält stand.
Tödliche Schüsse im Imbiss
Balliet läuft zum Mietwagen zurück, holt vier Sprengsätze heraus und wirft sie über die Mauer des jüdischen Friedhofs. Frustriert über den gescheiterten Angriff fährt Balliet durch Halle, um nun Migranten zu töten. An dem Imbiss „Kiez Döner“ hält er an und schießt auf einen Mann, der in der Tür steht. Das Opfer, der 20 Jahre alte Kevin Schwarze, flüchtet in den Imbiss. Balliet läuft hinterher und schießt wieder auf den Mann. Schwarze bleibt verletzt in dem Imbiss liegen, ein anderer Besucher kann entkommen. Balliet geht zum Mietwagen zurück, holt eine andere Waffe und feuert auf drei Passanten, ohne sie zu treffen. Dann kehrt er in den Imbiss zurück und richtet Schwarze mit mehreren Schüssen regelrecht hin.
Ein Ehepaar widersetzt sich dem Täter
Mit seinem Mietwagen fährt Balliet weiter, doch schon nach wenigen Metern versperrt ihm ein Polizeifahrzeug den Weg. Balliet schießt, die Beamten feuern zurück, eine Kugel streift ihn am Hals. Doch er kann flüchten. In Landsberg-Wiedersdorf, knapp 15 Kilometer von Halle entfernt, will er den Mietwagen loswerden und ein anderes Fahrzeug kapern. Balliet schießt auf ein Ehepaar, das sich weigert, sein Auto dem Täter zu überlassen. Der Mann und die Frau werden schwer verletzt.
In einer nahen Werkstatt steht ein Taxi, Balliet schießt auf einen Mitarbeiter des Betriebs, verletzt den Mann und rast mit dem Taxi davon. Er fährt über die Autobahn in Richtung Süden, bei Weißenfels wechselt er auf die B 91 in Richtung Zeitz. An einer Baustelle bei Hohenmölsen rammt er einen Lkw. Balliet versucht, zu Fuß zu flüchten, doch ein Streifenwagen der Polizei, die das Taxi bereits im Blick hatte, ist schnell zur Stelle. Zwei Beamte holen Balliet ein, der zu Fuß flüchten will, und nehmen ihn fest. Etwa 60 Kilometer von Halle entfernt endet der Spuk, anderthalb Stunden nach dem Beginn des Angriffs auf die Synagoge.
Keine Hinweise auf Hintermänner
Sicherheitskreise erwarten, dass der Prozess gegen Balliet ohne größere Komplikationen verläuft. Nicht nur, weil der Täter auf zynische Weise geständig ist. Der Hergang der Tat erscheint weitgehend klar, Hinweise auf Hintermänner gibt es bislang nicht. Offen bleibt, in welchem Maße in der Hauptverhandlung die Radikalisierung Balliets über das Internet ausgeleuchtet wird, vor allem sein Treiben in der Gamer-Szene.
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