Das Haus des Reisens in Berlin: Startbahn Sehnsucht
Das Haus des Reisens am Alexanderplatz war ein Traum, eine in Stein gefasste Sehnsucht nach der Welt. Nun soll der DDR-Bau am Alexanderplatz zum Denkmal werden. Robert Ide wird noch heute von Sehnsucht erfasst, wenn er daran vorbeigeht. Eine persönliche Erinnerung.
Es war das Haus meiner Kindheitsträume, meiner Sehnsucht nach der großen Welt. Hier flog ich in Gedanken in all die Länder, in denen die Märchen aus 1001 Nacht spielten und die Märchen aus der Reklame im Westfernsehen. Meine Mutter arbeitete hier am wichtigsten, größten und sowieso tollsten Platz der DDR, dem Alexanderplatz, was mich als kleinen Jungen natürlich stolz machte. Sie tippte für die DDR-Fluggesellschaft "Interflug" Kundendaten in würfelförmige Computerbildschirme ein, verschickte Teletexttelegramme und bot Fernreisen ans Schwarze Meer und den Balaton an.
Sehnsucht - eine kleine Freiheit
In der Schalterhalle zeigte ein bronzenes Relief ein Flugzeug, das über alle Grenzen hinwegflog, sogar über die Mauer, die ich als Kind lernte, nicht fotografieren zu dürfen (im Fotogeschäft waren diese Bilder aussortiert worden), hier also im Haus des Reisens am weitläufigen Alex war die große Freiheit ganz nah. Und schon diese Sehnsucht war eine kleine Freiheit. Bei den Feiern zum Jahresende schenkte mir der Interflug-Weihnachtsmann in der Schalterhalle ein Iljuschin-Flugzeug aus Plastik, das über alle Ozeane hinweg flog.
Früher holte ich meine Mutter oft am Alex ab, um mal mit ihr durch den Intershop zu stöbern, wo es unerschwingliche Quarzuhren gab (10 D-Mark) und dann zum Trost ein Eis an der Weltzeituhr zu essen. Der Personalausgang im Haus des Reisens war durch eine Schleuse mit einem strengen Wärter gesichert; im Warteraum lagen Flugpläne (immerhin flog Interflog bis nach Bangkok - auch wegen der West-Berliner Sex-Touristen, aber das verstand ich erst später).
Eine silberne Lampe und eine rote Badetasche - zwei persönliche Erinnerungsstücke
Ich erinnere mich auch an die bequemen schwarzen Lederstühle, neben denen erhöhte runde Aschenbecher aus Silber auf wartende Erwachsene warteten. Heute sind die eleganten Ascheeimer verschwunden, nach der Wende und der hektischen Abwicklung der Interflug wurde hier alles ausgeräumt und für ein paar D-Mark verscherbelt. Eine silberne Lampe mit einem bauchig-milchigen Glasschirm habe ich mir damals als Jugendlicher gesichert, sie leuchtet bei mir abends noch im Schlafzimmer. Und eine kleine rote Badetasche begleitet mich noch heute auf meinen Reisen. Darauf steht: Um Ihr Wohlbefinden bemüht - Interflug.
Nun soll das Haus des Reisens unter Denkmalschutz gestellt werden - wie auch nebenan das hässliche Haus der Elektroindustrie, in dem heute die TLG-Platten hinter neuer Wärmedämmung verwittern. Nach dem Umbruch saß hier die in Ostdeutschland verhasste Treuhandanstalt, die auch die Interflug über die Klippe fliegen ließ. Nun wird das größte DDR-Reisebüro wohl ein Denkmal. Interflug darf also weiterfliegen, zumindest in Gedanken. Mich beruhigt das irgendwie.
Der Alexanderplatz - im Spröden elegant
Im Haus des Reisens sind inzwischen Diskotheken untergebracht - eine nutzt noch die Schleuse des alten Personaleingangs. Vom Dach des "Weekend"-Clubs hat man einen Berlin-ist-sowieso-die-coolste-Stadt-Blick hinüber zum Fernsehturm und über die wild zusammengewürfelte Architektur des Zentrums hinweg. Drumherum ist alles immer irgendwie Baustelle, doch der Alexanderplatz ist äußerlich geblieben, wie er war: im Spröden elegant. Am Elegantesten ist wohl das Haus des Reisens mit seiner so plastischen Aluminium-Fassade und dem träumerischen Kupferstich "Der Mensch überwindet Zeit und Raum". Immer wenn ich daran vorbeigehe, befällt mich die Sehnsucht. Nicht nach der DDR. Aber nach meiner damaligen Sehnsucht.
Robert Ide